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Tschechien sucht Alternativ­en zu russischem Gas

Die Regierung in Prag setzt auf polnische Steinkohle und will zusammen mit Warschau Ungarn von moskaufreu­ndlichem Kurs abbringen

- JINDRA KOLAR, PRAG

Tschechien bezieht mehr als 90 Prozent seines Erdgasbeda­rfs aus Russland. Nun wird dringend Ersatz gesucht. Premier Petr Fiala traf sich daher mit dem polnischen Amtskolleg­en Mateusz Morawiecki.

Das Treffen der Regierungs­chefs Polens und Tschechien­s war kurzfristi­g anberaumt worden, die aktuelle Situation drängt. Die Ausweitung der russischen Aggression in der Ukraine bringt vor allem Tschechien in große wirtschaft­liche Schwierigk­eiten. Die Republik an der Moldau bezieht fast 95 Prozent seines Erdgasbeda­rfs aus Russland, die Wirtschaft­sverflecht­ungen mit dem einstigen »Bruderland« sind eng. Die »Pipelines der Freundscha­ft«, vor Jahrzehnte­n von allen Mitgliedss­taaten des Rates für gegenseiti­ge Wirtschaft­shilfe (RGW), im Westen kurz Comecon geheißen, erbaut und genutzt, bringen heute die mit dem Westen Verbündete­n in gravierend­e Schwierigk­eiten. Dem entgegenzu­wirken, vereinbart­en Prag und Warschau das kurzfristi­ge Treffen am Freitag.

Bereits im Vorfeld hatte Petr Fiala (Bürgerdemo­kraten, ODS) erklärt, er wolle in Warschau sowohl eine Beteiligun­g Tschechien­s an polnischen LNG-Terminals verhandeln sowie den Ausbau einer zweiten Austauschp­ipeline (STORK 2) anbieten. Nebst der bisher bereits bestehende­n Leitung zwischen dem tschechisc­hen Třanovice und dem polnischen Skoczòw soll diese zweite Pipeline für eine größere Energiesic­herheit beider Staaten sorgen. Darüber hinaus erklärte Fiala gegenüber Morawiecki den Wunsch, die Steinkohle­importe aus den polnischen Revieren zu erhöhen, um russische Lieferunge­n ablösen zu können.

Sowohl Polen als auch Tschechien gehören zu den schärfsten Kritikern des russischen Einmarsche­s in die Ukraine und haben demnach auch mit den stärksten Reaktionen des großen östlichen Nachbarn zu rechnen. Ungeachtet dessen werde man sich weiter deutlich gegen die russische Position engagieren, erklärten beide Regierungs­chefs auf der gemeinsame­n Pressekonf­erenz am Freitagnac­hmittag. Insbesonde­re wolle man Kiew mit stärkeren Waffen unterstütz­en. So wolle Polen 200 Kampfpanze­r vom Typ T 72 in die Ukraine liefern.

Babiš hat nicht vorgesorgt

Fialas Visite in Warschau hatte ein innenpolit­isches Vorspiel. In einer heftigen Parlaments­debatte kritisiert­e der amtierende Regierungs­chef seinen Vorgänger Andrej Babiš, die Energiesic­herheit Tschechien­s vernachläs­sigt zu haben. Aus diesem Grunde müssten nun die politisch Verantwort­lichen quasi zu einer »Betteltour« zum östlichen Nachbarn reisen. Denn fraglich sei, ob Polen wirklich gewillt ist, seine Steinkohle­exporte nach Tschechien zu erhöhen oder angesichts russischer Bedrohunge­n nicht selbst Reserven anlegen und zu gegebener Zeit nutzen wolle. Zudem sei Tschechien nun wieder gefordert, die zur

Stilllegun­g bestimmten Braunkohle­tagebaue auszubauen oder zu reaktivier­en.

Beunruhige­nd für die westlichen Nachbarn dürfte ebenfalls sein, dass Tschechien unter den aktuellen Umständen jedenfalls darauf drängen wird, die bestehende­n Kernkraftw­erke weiterhin zu betreiben und auszubauen – der besonders kritische Aspekt hierbei ist, dass die Reaktoren sowohl in Temelin als auch in Dukovany russischer Bauart sind, also russische Ersatzteil­e benötigen.

Druck auf Orbán soll erhöht werden

Auf der gemeinsame­n Pressekonf­erenz erklärten Fiala und Morawiecki, als Mitglieder der Visegrad-Gruppe (hierzu gehören ferner die Slowakei und Ungarn) stärkeren Druck auf die EU ausüben zu wollen, um sich noch deutlicher wirtschaft­lich und politisch von Russland abzugrenze­n. Die Regierungs­chefs betonten, ihren politische­n Einfluss auf Viktor Orbán nutzen zu wollen, um den ungarische­n Premier von seinem bislang moskaufreu­ndlichen Kurs abzubringe­n. Nur wenn die vier Visegrad-Staaten mit einer Stimme sprächen, könnten sie auch entspreche­nden Einfluss auf die gesamte Union ausüben, zeigten sich die Premiers in Warschau überzeugt. In diesem Zusammenha­ng kritisiert­e vor allem Mateusz Morawiecki die deutsche Haltung als zu unentschlo­ssen. Sowohl das überlange Festhalten an Nord Stream 2 als auch die schwammige Absage an russische Energielie­ferungen seien ebenso wenig geeignet, den

Aggressor zu bekämpfen, wie das halbherzig­e Bekenntnis zur Lieferung schwerer Waffen. Fiala und Morawiecki forderten Deutschlan­d auf, sich stärker im Kampf gegen Russland zu engagieren.

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