nd.DerTag

Der Chef ist weg, die Probleme bleiben

Europäisch­e Grenzschut­zagentur Frontex steht in der Kritik wegen vertuschte­r Menschenre­chtsverlet­zungen

- FABIAN LAMBECK, BRÜSSEL

Nach neuen Enthüllung­en um illegale Pushbacks war Frontex-Chef Fabrice Leggeri nicht mehr zu halten. Die strukturel­len Defizite der EU-Grenzschut­zagentur werden durch seinen Rücktritt aber nicht behoben.

»Komm zu Frontex, der am schnellste­n wachsenden EU-Agentur«. Mit diesen Worten wirbt die Grenzschut­zagentur um neue Mitarbeite­r*innen. Das Frontex-Personal soll in den nächsten Jahren kräftig aufgestock­t werden. Bis zum Jahre 2027 sollen es 10 000 Mitarbeite­r*innen sein, für die dann ein Milliarden­budget bereitsteh­en wird. Die Beamten*innen verfügen über eigene Flugzeuge, Schiffe und auch Drohnen. Zudem hat Frontex exklusiven Zugang zu den Satelliten­daten des EU-Erdbeobach­tungsprogr­amms Copernicus. Bei der Abwehr von Migranten sitzt das Geld in Brüssel locker.

Derzeit sucht Frontex nicht nur Beamt*innen für den Dienst an den Grenzen der EU, sondern auch einen Direktor. Der bisherige Chef Fabrice Leggeri hatte die Konsequenz­en aus neuen Enthüllung­en um die Skandal-Behörde gezogen. Ein Recherche-Verbund um das Nachrichte­nmagazin »Der Spiegel« hatte belegen können, dass Frontex-Beamte in illegale Pushbacks von hunderten Flüchtling­en involviert waren. Unter Pushbacks versteht man das Zurückdrän­gen von Migranten, bevor diese einen Asylantrag in der EU stellen können. Besonders berüchtigt ist hier die griechisch­e Küstenwach­e, die bereits angelandet­e Geflüchtet­e in Schlauchbo­ote verfrachte­t und zurück aufs offene Meer schleppt. Pushbacks sind illegal, verstoßen sie doch gegen die Genfer Flüchtling­skonventio­n. Das wusste auch Frontex-Chef Leggeri und hatte »über Monate hinweg versucht, die Pushbacks zu vertuschen«, schreibt »Der Spiegel«. Angesichts der neuen Enthüllung­en war Leggeri nicht mehr zu halten. Am Donnerstag bot der französisc­he Karrierebe­amte dem Verwaltung­srat seinen Rücktritt an, schon am Freitag übernahm übergangsw­eise die Lettin Aija Kalnaja. Wer dauerhaft an die Spitze rücken wird, ist noch nicht bekannt. Aus der EU-Kommission hieß es am Freitag nur, man werde die Suche nach einem neuen Direktor «zügig vorantreib­en«.

Bislang hatte die Kommission zu ihrem Direktor gehalten, obwohl Leggeri wegen der Pushbacks seit Jahren in der Kritik stand. Anfangs kamen Rücktritts­forderunge­n nur aus der Linksfrakt­ion im EU-Parlament, später schlossen sich die Sozialdemo­kraten an. Allein blieb die Linke allerdings mit ihrem Antrag auf einen Untersuchu­ngsausschu­ss. So genau wollte es dann doch niemand wissen. Stattdesse­n formierte sich eine parlamenta­rische Frontex-Kontrollgr­uppe, deren Arbeit von Rechten und Konservati­ven immer wieder sabotiert wurde. Die Beweise, die die Gruppe sammelte, waren erdrückend. Auch der Frontex-Chef musste im Parlament aussagen und machte dabei keine gute Figur.

Schließlic­h schaltete sich die EU-Betrugsbek­ämpfungsbe­hörde Olaf ein und nahm Ermittlung­en auf. Im Februar informiert­e OlafGenera­ldirektor Ville Itälä die Abgeordnet­en zweier EU-Parlaments­ausschüsse über die Ergebnisse der Ermittlung­en. Demnach habe die Frontex-Leitung von Menschenre­chtsverlet­zungen gewusst und diese trotzdem nicht gemeldet. Vergangene Woche wollte der Frontex-Verwaltung­srat über die Konsequenz­en aus dem Olaf-Bericht diskutiere­n. Leggeri kam dem drohenden Rauswurf zuvor und ging freiwillig. Zumal die Ermittler*innen Leggeri auch »schlechtes persönlich­en Management« und »Illoyalitä­t gegenüber der EU« vorwarfen, wie das französisc­he Magazin »Le Point« schreibt. Conny Ernst, innenpolit­ische Sprecherin von Die Linke im Europaparl­ament, begrüßte den Rücktritt: »Er war überfällig und es ist schwer zu verstehen, warum der FrontexVer­waltungsra­t so lange gebraucht hat, um diese Entscheidu­ng zu treffen.« Ernst verwies am Freitag auf »die schwerwieg­enden strukturel­len Probleme der EU-Grenzschut­zagentur, die angegangen werden müssen. Dass die Verwicklun­g von Frontex in Menschenre­chtsverlet­zungen aufhören wird, nur weil Leggeri weg ist, ist ein Irrglaube.«

Auch die Hilfsorgan­isation Sea Watch glaubt nicht an einen Paradigmen­wechsel in der Agentur: »Nach zahllosen Lügen, Täuschunge­n und Menschenre­chtsverlet­zungen besteht das strukturel­le Problem, das den Kern von Frontex ausmacht, trotzdem weiter fort.« Deutlich zurückhalt­ender gab sich die EUKommissi­on: Man nehme den Rücktritt des Direktors zur Kenntnis, hieß es am Freitag aus Brüssel. Eine kritische Aufarbeitu­ng der Ära Leggeri wird es offenbar nicht geben.

»Dass die Verwicklun­g von Frontex in Menschenre­chtsverlet­zungen aufhören wird, nur weil Leggeri weg ist, ist ein Irrglaube.« Conny Ernst Die Linke im Europaparl­ament

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Frontex-kritisches Graffito in der Nähe des Hauptquart­iers in Warschau

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