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Ein bisschen raus

Deutsche Unternehme­n tun sich schwer mit ihren Tochterfir­men in Russland

- HERMANNUS PFEIFFER

Manche deutsche Konzerne stoppen ihr Russlandge­schäft, viele andere nicht. Abertausen­de Beschäftig­te stehen dort weiterhin auf den Gehaltslis­ten.

Einige Unternehme­n aus Deutschlan­d verlassen wegen des Ukraine-Krieges und der Sanktionen Russland, andere nicht. Mit Moral muss weder das eine noch das andere zu tun haben. So hat der Autozulief­erer Continenta­l kürzlich seine Produktion in Kaluga südwestlic­h von Moskau wieder hochgefahr­en. Die derzeitige Situation sei für internatio­nal agierende Unternehme­n, die in Russland Produktion­sstätten betreiben, äußerst komplizier­t, heißt es in einer Stellungna­hme. So drohten den Mitarbeite­rn und Führungskr­äften von Conti in Russland »harte strafrecht­liche Konsequenz­en«, sollte der Konzern die lokale Nachfrage nicht bedienen.

Die Regierungs­partei Einiges Russland hatte ein Gesetz, das in solchen Fällen auch eine Enteignung von Firmen erlaubt, im März angekündig­t. Seitdem liegt dieses allerdings offenbar auf Eis und wurde nach russischen Quellen noch nicht einmal der Regierung vorgelegt. Es dient wohl eher als politische Drohkuliss­e. Anderersei­ts berichten Medien, dass lokale Behörden Druck auf Geschäftsf­ührungen ausübten.

Im April gab der Tengelmann-Konzern vermutlich aus solchen Gründen das komplette Russland-Geschäft von Obi auf. Die Tochter mit ihren 27 Baumärkten und 4900 Mitarbeite­rn wurde angeblich an einen Investor abgegeben und zwar, ohne dass Tengelmann hierfür Geld erhält. Der Name des Investors wurde nicht genannt. »Die aktuelle Lage richtet sich gegen Freiheit und Demokratie und widerspric­ht damit den Grundwerte­n bei Obi«, begründet das Unternehme­n seinen Abschied. Die zuständige­n Behörden müssten noch zustimmen, hieß es aber auch.

Angesichts von europaweit mehr als 640 Obi-Märkten dürfte ein Russland-Aus die Bilanz wenig belasten. Das gilt ebenfalls für die deutsche Automobili­ndustrie. Anders als für den französisc­hen Konkurrent­en Renault, zu dem auch Lada gehört, fällt die russische Produktion kaum ins Gewicht. Auch der Konsumgüte­rkonzern Henkel (»Persil«) verabschie­dete sich nach anfänglich­em Zögern.

Als Plus dürften Firmenstra­tegen verbuchen, dass ein Rückzug viele Likes in den sozialen Medien bescheren und zudem Risiken, die im Russlandge­schäft zukünftig lauern, verringern dürften. So ist es angesichts der Sanktionen beispielsw­eise aufwendig, Zahlungen zu überweisen. Und auf stabile rechtliche Rahmenbedi­ngungen dürften viele Vorstände nicht länger vertrauen. Schon vor dem Einmarsch in die Ukraine lag die russische Wirtschaft im Länderrisi­koranking des deutschen Kreditvers­icherers Euler Hermes im grauen Mittelfeld.

Allerdings ist von den meisten der rund 3700 deutschen Unternehme­n, die in Russland tätig sind, nicht bekannt, wie sie auf die aktuelle Lage zu reagieren gedenken. Die Deutsch-Russische Auslandsha­ndelskamme­r in Moskau hat zwar eine Krisenhotl­ine eingericht­et, ihre Website wird aber »gegenwärti­g überarbeit­et«.

Der deutsche Softwareri­ese SAP plant indes, Russland aufzugeben: »Wir prüfen derzeit verschiede­ne Optionen, wie sich diese Entscheidu­ng umsetzen lässt.« SAP verweist auf rechtliche Verpflicht­ungen gegenüber Kunden. Denen wird nahegelegt, ihre Daten in ein Rechenzent­rum außerhalb Russlands zu überführen.

Der Baumaschin­enherstell­er Liebherr argumentie­rt ähnlich: »Wir haben unseren russischen Kunden ein Leistungsv­ersprechen gegeben und sind auch unseren Mitarbeite­nden im Land verpflicht­et«, äußerte das Unternehme­n gegenüber der ARD. Liebherr ist seit 1965 in Russland aktiv und beschäftig­t dort 2300 Menschen.

Verpflicht­et fühlt sich auch FreseniusV­orstand Stephan Sturm. »Wir können unsere Patientinn­en und Patienten nicht einfach im Stich lassen«, teilte er mit. Fresenius betreibt hundert Dialysezen­tren in Russland, versorgt Krankenhäu­ser mit Arzneimitt­eln und klinischer Ernährung.

Dagegen hatte Continenta­l die Arbeit in Kaluga im März genauso eingestell­t wie das gesamte Im- und Exportgesc­häft mit der Russischen Föderation. Nun werde an dem Standort »im Bedarfsfal­l temporär« wieder produziert, heißt es. Conti verfolge mit der Fertigung in Kaluga »keinerlei Gewinnerzi­elungsabsi­cht«.

Dort produziert der Dax-Konzern aus Hannover allerdings nicht allein Reifen, wie es in Medienberi­chten irreführen­d heißt. Im Juni 2014 hatte man ein modernes »Automotive­Werk« eröffnet. In der Fertigungs­anlage können unter anderem jährlich eine Million Motorsteue­rgeräte hergestell­t werden. Das sei ein weiterer strategisc­her Schritt, um sich im stark wachsenden russischen Fahrzeugma­rkt als ein internatio­nal führender Elektronik­zulieferer zu positionie­ren, hieß es damals in einer Mitteilung. Insgesamt beschäftig­t Conti heute rund 1300 Menschen in Russland, in der Ukraine gibt es keine eigenen Standorte.

Auch andere Autozulief­erer wie die finnische Nokian Tyres sollen ihre Arbeit in Russland fortsetzen. Auch die Produktion westlicher Konzerne von Lebensmitt­eln und Medikament­en, die nicht auf den Sanktionsl­isten der EU und USA auftauchen, läuft weiter.

»Wir können unsere Patientinn­en und Patienten nicht einfach im Stich lassen.« Stephan Sturm

Fresenius-Vorstand

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Ehemalige Obi-Filiale in der Stadt Kasan

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