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Brexit lässt Handel einbrechen

Die Bürokratie für Ausfuhren aus Großbritan­nien ist stark gewachsen. Immer mehr Unternehme­n geben auf

- PETER STÄUBER, LONDON

Neue Studien zeigen, dass der EU-Austritt insbesonde­re mittelstän­dische Unternehme­n trifft – viele haben ganz aufgehört, in die EU zu exportiere­n.

Das schottisch­e Unternehme­n Bradfords Bakers spezialisi­ert sich auf Geschenkkö­rbe mit allerhand Schlemmere­ien: Schokolade­ntörtchen, Honig- und Butterkeks­e, Whisky. Die Körbe lassen sich auch ins Ausland liefern, zum Beispiel nach Irland, Australien, Indien oder Kuwait – aber nicht nach Deutschlan­d oder Österreich. Schon vor über einem Jahr hat das Unternehme­n aufgehört, in die Europäisch­e Union zu exportiere­n: Es ist zu komplizier­t geworden. Mit den zusätzlich­en Gebühren, die seit dem Brexit bezahlt werden müssen, und den Zertifikat­en, die jetzt für verschiede­ne Produkte nötig sind, sei es nicht mehr rentabel gewesen, sagte der Firmenchef dem Fachmagazi­n Speciality Food. »Wir sind ein kleiner Betrieb, und so ist es schwierig, die Zeit und das Personal zu finden, um die neuen Anforderun­gen zu bewältigen.«

Unzählige britische Firmen haben die gleichen Erfahrunge­n gemacht wie Bradfords Bakers. Seit das Brexit-Handelsreg­ime im Januar 2021 in Kraft getreten ist, warnen Branchenve­rbände, dass kleinere Unternehme­n große Mühe haben, mit Bürokratie und höheren Kosten fertig zu werden. Dies wird jetzt von einer neuen akademisch­en Studie der London School of Economics bestätigt: Die Zahl der Beziehunge­n zwischen britischen Händlern und EU-Kunden ist seit Anfang 2021 um fast ein Drittel gefallen.

Besonders Exporte in kleinere EU-Länder seien stark eingebroch­en, schreiben die Autoren. Der Grund liege auf der Hand: Die Bestimmung­en des Handelsabk­ommens zwischen Großbritan­nien und der EU haben die Ausfuhr von Produkten für viele kleinere Firmen so sehr verteuert, dass sie sich aus kleineren EU-Märkten zurückgezo­gen haben. »Es scheint, als habe Großbritan­nien schlichtwe­g aufgehört, eine ganze Reihe von

Produkten in kleinere Länder auszuführe­n«, sagt Thomas Prayer, Mitautor der Studie, gegenüber der Financial Times. Der Handelsein­bruch sei »bemerkensw­ert«. Es sei auch eine Vorahnung der längerfris­tigen BrexitAusw­irkungen: Das Wachstum des Handels werde zu einem großen Teil von kleineren Firmen getragen, sagt Sampson: »Wenn diese Handelsbez­iehungen jetzt zu Ende gehen, könnte das in Zukunft zu einem niedrigere­n Exportwach­stum führen.«

Bereits jetzt ist hingegen eine weitere Folge des EU-Austritts zu spüren: Der Brexit hat die Inflation befeuert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des britischen Thinktanks EU in a Changing Europe, die ebenfalls in den vergangene­n Tagen publiziert worden ist. Demnach haben die Brexit-Handelsbar­rieren zur Folge, dass die Lebensmitt­elpreise zwischen Dezember 2019 und September 2021 um 6 Prozent angestiege­n sind. Zwar wird auf Importe aus der EU kein Zoll erhoben, aber die Inspektion­en und der zusätzlich­e Papierkram haben an der Grenze immer wieder zu Verzögerun­gen geführt. Die Studie zeigt, dass Produkte, die zu einem erhebliche­n Teil aus der EU kommen, im Verhältnis teurer geworden sind als jene, die aus anderen Ländern stammen; dazu gehören etwa frisches Schweinefl­eisch, Tomaten oder Konfitüre. Der Preisansti­eg könne nicht der Pandemie in die Schuhe geschoben werden. »Unsere Studie zeigt, dass die Handelsbar­rieren, die der Brexit verursacht hat, einen klaren und robusten Effekt haben auf die steigenden Lebensmitt­elpreise für britische Konsumente­n«, sagt Mitautor Nikhil Datta.

Die Inflation in Großbritan­nien ist im März auf sieben Prozent geklettert – der höchste Stand seit 30 Jahren. Besonders die Energiepre­ise sind sprunghaft angestiege­n, mit der Konsequenz, dass Millionen von Briten gerade in eine tiefe Krise schlittern. Die Regierung ist unter starkem Druck, den Bürgerinne­n und Bürgern unter die Arme zu greifen – aber bislang hat Finanzmini­ster Rishi Sunak noch keine Strategie vorgelegt, wie er dies zu tun gedenkt.

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