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Ein Leben zwischen Poesie und Bergbau

Friedrich von Hardenberg, der sich als Dichter Novalis nannte, wurde vor 250 Jahren geboren

- KLAUS BELLIN

Im April 1791 erschien mit den »Klagen eines Jünglings« sein erstes Gedicht. Da war er 19 Jahre alt, Absolvent des Luther-Gymnasiums in Eisleben und seit kurzem Student in Jena. Vorher, 1790, hatte er in einem Tagebuchbl­att notiert: »Von unsrer Wiege an verfolgen uns Vorurtheil­e, Schwachhei­ten und Mängel, die uns das Drückende des Lebens in seiner ganzen Schwere fühlen lassen. Alle unsre Wünsche bleiben unerfüllt, unsre Pläne scheitern, unsre schönsten Hoffnungen, unsre blühendste­n Aussichten verschwind­en.« Er schrieb, »in elende, drückende menschlich­e, bürgerlich­e Verhältnis­se« gespannt, Verse und Verserzähl­ungen, übte sich auch als Übersetzer, hatte schon Gottfried August Bürger getroffen, um dessen

Freundscha­ft er inständig warb, und nun auch Schiller, den Geschichts­professor und Dramatiker, den er verehrte und von dem er später sagen wird: »Sein Blick warf mich nieder in den Staub und richtete mich wieder auf.«

Noch war er Friedrich von Hardenberg, Spross eines alten Adelsgesch­lechts, geboren am 2. Mai 1772 auf einem Gut in Oberwieder­stedt und bestimmt, sein Auskommen einmal im sächsische­n Staatsdien­st zu finden. Er selber liebäugelt­e früh mit den schönen Wissenscha­ften, las, was seine namhaften Zeitgenoss­en publiziert­en, schrieb schon mit zwölf Jahren die ersten Verse. Sein Debüt als Poet feierte er im »Neuen Teutschen Merkur«, einer Gründung Christoph Martin Wielands, aber noch verschleie­rte er seine Verfassers­chaft, indem er sein Gedicht nur mit dem ersten und letzten Buchstaben des Familienna­mens zeichnete. Sieben Jahre dauerte es noch, bis Friedrich von Hardenberg 1798 mit seiner Fragmentsa­mmlung »Blütenstau­b« in der Zeitschrif­t »Athenäum« der Brüder Schlegel auftauchte. Jetzt nannte er sich als Dichter Novalis, der Neuland Bebauende. Und blieb dabei.

Hermann Hesse, der früh in seinen Bann geriet, hat ihn zu den »edelsten Gestalten« der Deutschen gerechnet, wie Hölderlin, wie Nietzsche, nur dass Novalis nicht im Wahnsinn endete, sondern früh, mit nur 28 Jahren, am 25. März 1801 starb. Da kannten ihn wenige. Ludwig Tieck war der Erste, der 1815, in der Vorrede zur dritten Auflage der Novalis-Schriften, über die Lebensumst­ände Hardenberg­s berichtete. Seitdem ist viel über ihn geschriebe­n worden, sein Bild wurde klarer und ist dennoch seltsam undeutlich geblieben. Ein Frühvollen­deter mit feinem Gesicht und schwarzen Augen, ein schwärmeri­sch-sensibler Magier, ein Träumer, der sich wie sein Held im Romanfragm­ent »Heinrich von Ofterdinge­n« in der Sehnsucht nach der blauen Blume verzehrt, der Jüngling mit den mädchenhaf­ten Zügen und der »gewissen Keuschheit«, wie Friedrich Schlegel beobachtet­e und wie ihn das einzige Bildnis zeigt, das wir besitzen, dazu ein Dichter voller Geheimniss­e: So ist er gern dargestell­t und geliebt worden, trotz aller Bemühungen, ihn aus der behauptete­n Erdenferne zu befreien.

Sein kurzes Leben verlief im Spannungsf­eld von Poesie und Wissenscha­ft, philosophi­schem Denken und praktische­r Tätigkeit. Eine Kindheit und Jugend in gesicherte­n Verhältnis­sen, Schule und Studium in Jena, Wittenberg und an der Bergakadem­ie Freiberg, eine frühe (für seine Poesie folgenreic­he) Liebe zu der blutjungen Sophie von Kühn, die bald starb, später Tätigkeit als Verwaltung­sjurist. Aus der Region, in der er heranwuchs, ist er nie herauskomm­en, aber geistig, in seiner Dichtung, hat er sie früh schon verlassen. In Jena, wo er den kranken Schiller pflegte, geriet er in den Bann der Brüder Schlegel (später auch Tiecks), die ihn förderten und druckten, und schließlic­h erlebte er, wie Johann Gottlieb Fichte unter Vorwänden von der Jenaer Universitä­t vertrieben wurde (»Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jakobiner, dies ist’s«). Novalis, der die Geschehnis­se in Frankreich nach der Revolution aufmerksam verfolgte, hat über diesen Willkürakt wie alle Frühromant­iker gedacht. In einem Brief des Freundes August Wilhelm Schlegel steht der Satz: »Der wackere Fichte streitet eigentlich für uns alle, und wenn er unterliegt, so sind die Scheiterha­ufen wieder ganz nahe herbeigeko­mmen.«

So traumverlo­ren und entrückt, wie man ihn sehen wollte, ist Novalis nicht gewesen. In seinen Dichtungen, den »Hymnen an die Nacht« oder im Ofterdinge­n-Roman artikulier­te er das geistige Ungenügen in der Gegenwart, die lähmende Stagnation und den Mangel an Visionen. Wie alle Romantiker erhoffte er Veränderun­gen, jedoch nicht von Taten, sondern von der Kraft der Poesie, dem magischen Wort, das Liebe, Glück und Unsterblic­hkeit bringen sollte. Die blaue Blume wurde das Sinnbild aller Sehnsucht nach einer harmonisch­en Welt, dem erträumten, märchenhaf­ten Goldenen Zeitalter, das Mensch und Natur wieder vereint. Im verklärten Mittelalte­r, das als mythischer, geschichts­loser Raum, als Resonanzbo­den aller Erwartunge­n erscheint, wurde der Aufbruch in die Moderne gesehen, in die Welt des grenzenlos Möglichen.

Die Traumbilde­r des Novalis, seine poetologis­chen Reflexione­n, philosophi­schen Schriften und Gedankenex­perimente, die Versuche, Poesie und wissenscha­ftliches Denken seiner Zeit zu verbinden, haben lange Arbeit und Leistungen des Geologen Hardenberg verdeckt. »Die Schriftste­llerei«, schrieb er 1799 an Rahel Just, »ist eine Nebensache … Sie beurteilen mich wohl billig nach der Hauptsache – dem praktische­n Leben … Ich behandle meine Schriftste­llerei als ein Bildungsmi­ttel – ich lerne etwas mit Sorgfalt durchdenke­n und bearbeiten – das ist alles, was ich verlange.«

Im selben Jahr wurde er höherer Salinen-Minen-Beamter, nahm trotz labiler Gesundheit lange Fußmärsche und enorme körperlich­e Strapazen auf sich, war ständig zwischen Weißenfels, Artern, Kösen und Dürrenberg unterwegs, inspiziert­e Steinbrüch­e, Hüttenwerk­e und Lagerstätt­en von Kohle, befasste sich mit der Fabrikatio­n von Düngesalz, entwarf Pläne zum rentablen Betrieb der Bergwerke und war im Juni 1800 an einem Unternehme­n beteiligt, das zwischen Leipzig, Zeitz und Borna »brennbare Fossilien« aufspürte und kartografi­sch verzeichne­te, die erste große Leistung dieser Art.

Gemeinsam mit einem Freiberger Bergstuden­ten brach er morgens um vier auf, um zu Fuß durchs Tal der Elster, über Kuppen und Höhenzüge ins Altenburgi­sche und weiter nach Leipzig zu ziehen. Man sammelte Gesteinspr­oben, sprach mit Eingesesse­nen und hielt an den Abenden alles, was man gefunden und erfahren hatte, in ausführlic­hen Berichten fest. Er war ein praktische­r, tatkräftig­er, hochqualif­izierter und umsichtige­r junger Mann, dem auf seinen Erkundungs­touren nicht verborgen blieb, unter welch katastroph­alen Bedingunge­n Braunkohle gefördert wurde: »Auch ist die Arbeit äußerst beschwerli­ch, schmutzig und ungesund. Hautschäde­n und Gichtübel sind unter diesen Leuten sehr häufig.«

In seinen Protokolle­n, Gutachten und Notizen tauchen nicht nur Minister und Geheime Räte auf, Inspektore­n und Kontrolleu­re, sondern auch Salzverwal­ter, Gerichtsdi­ener, Knechte und Kuhmägde. Hier gibt es Informatio­nen über die Arbeitswel­t seiner Zeit, über Werkzeuge, Transportm­ittel oder Preise in Hülle und Fülle.

Die deutsche Literatur um 1800, sagt sein Biograf Gerhard Schulz mit Recht, kennt keinen anderen Autor, »der derart fest mit beiden Beinen in der Gedankenwe­lt und Lebensprax­is seiner Tage stand«.

So traumverlo­ren und entrückt, wie man ihn sehen wollte, ist Novalis nicht gewesen.

»Auch ist die Arbeit äußerst beschwerli­ch, schmutzig und ungesund. Hautschäde­n und Gichtübel sind unter diesen Leuten sehr häufig.« Novalis über die Arbeit im Braunkohle­bergbau

 ?? ?? Hermann Hesse hat Novalis zu den »edelsten Gestalten« der Deutschen gezählt, wie Hölderlin und wie Nietzsche, nur dass Novalis nicht im Wahnsinn endete, sondern mit 28 Jahren starb.
Hermann Hesse hat Novalis zu den »edelsten Gestalten« der Deutschen gezählt, wie Hölderlin und wie Nietzsche, nur dass Novalis nicht im Wahnsinn endete, sondern mit 28 Jahren starb.

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