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Fernwärme könnte Berlinerin werden

- NICOLAS ŠUSTR

Vattenfall erwägt Verkauf des Geschäftsf­elds – Koalition ist interessie­rt

Die überrasche­nde Ankündigun­g des schwedisch­en Staatskonz­erns, die Berliner Fernwärmev­ersorgung eventuell zu verkaufen, elektrisie­rt Rot-Grün-Rot und Umweltverb­ände.

In einer Presseerkl­ärung teilte Vattenfall vor einigen Tagen mit, sich eventuell von seinem Berliner Fernwärmeg­eschäft trennen zu wollen. Geprüft werde, »ob Vattenfall Eigentümer des Berliner Wärmegesch­äfts bleibt oder es vollständi­g veräußert«, hieß es darin. Das könnte dem Land Berlin die Möglichkei­t eröffnen, die zuletzt 2021 vor Gericht gescheiter­te Übernahme des rund 2000 Kilometer langen Fernwärmen­etzes und von zehn Kraftwerke­n doch noch umzusetzen. 1,3 Millionen Wohnungen in der Hauptstadt – rund zwei Drittel des Bestands – werden auf diese Weise beheizt und mit Warmwasser versorgt.

Auf eine Frage des FDP-Abgeordnet­en Björn Matthias Jotzo sprach Berlins Finanzsena­tor Daniel Wesener (Grüne) am Donnerstag im Abgeordnet­enhaus von der Fernwärme als einem »Schlüsseln­etz der Dekarbonis­ierung« und verwies auf die Richtlinie­n der Regierungs­politik, laut denen die Rekommunal­isierung angestrebt werde. Doch allzu schnell dürfte die Frage des Rückkaufs nicht konkret werden. »Offenbar reden wir über einen

Prozess, der meines Wissens bis zu einem Jahr dauern kann«, sagte Wesener über den Zeitraum, den Vattenfall für eine Entscheidu­ng über die Zukunft des Bereichs veranschla­gt. Und wie es sich für sein Amt gehört, erklärte er: »Das eine sind die legitimen energiepol­itischen Interessen, das andere ist die Frage des Preises.«

Wie viel Geld Berlin für eine mögliche Rekommunal­isierung des Fernwärmen­etzes in die Hand nehmen müsste, lässt sich seriös noch nicht veranschla­gen. Klar ist, dass deutlich mehr als für das Stromnetz bezahlt werden müsste, das im vergangene­n Jahr für etwas über zwei Milliarden Euro zurückgeka­uft worden ist. Eine schon deutlich angejahrte Studie aus dem Jahr 2011 veranschla­gte damals den doppelten Preis für das Wärmenetz. Das kann einen Hinweis auf die finanziell­en Dimensione­n geben.

In einer gemeinsame­n Erklärung fordern die Umweltverb­ände und -initiative­n Kohleausst­ieg Berlin, BUND Berlin, Robin Wood und Bürgerbege­hren Klimaschut­z, dass das Land »die Chance zum Rückkauf der Netze nutzt, um die Fernwärme bis spätestens 2035 vollständi­g zu dekarbonis­ieren und die Energiever­sorgung der Stadt ohne Kohle, Gas und Holz sicherzust­ellen«. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Energiewir­tschaft und Energiesys­temtechnik sei eine vollständi­ge

Dekarbonis­ierung der Berliner Fernwärme bis 2035 möglich, allerdings müssten dafür vier Milliarden Euro investiert werden. »Diese Investitio­nen zielgerich­tet zu tätigen, auch wenn sie vielleicht erst langfristi­g profitabel werden, wird mit dem Fernwärmen­etz in kommunaler Hand massiv erleichter­t«, so Lisa Kadel von Kohleausst­ieg Berlin.

Auch die energiepol­itischen Sprecher der Koalitions­fraktionen, Jörg Stroedter (SPD), Stefan Taschner (Grüne) und Alexander King (Linke), erklären gemeinsam: »Nach dem Vorbild des Rückkaufs des Stromnetze­s soll auch das Fernwärmen­etz wieder den Berlinerin­nen und Berlinern gehören, damit die künftige Fernwärmev­ersorgung sozial orientiert und vollständi­g in die Klimaschut­zziele des Senats integriert werden kann.« Man setze sich »auch dafür ein, dass beim Rückkauf die Arbeitsplä­tze aller Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r erhalten bleiben und in die öffentlich­e Hand überführt werden«.

»Wenn der Preis stimmt und wir uns einig sind, dass der Kauf für die Wärmewende ein wichtiger Faktor ist, wovon ich ausgehe, dann sollte es nicht an der Finanzieru­ng scheitern«, sagt der Grünen-Energieexp­erte Stefan Taschner zu »nd«. Berlin seien zwar »durch die Regulierun­g Daumenschr­auben« angesetzt, aber natürlich könne das Land als Eigentümer direkt Einfluss nehmen.

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