nd.DerTag

Der Trost der Bäume

Der Wald und der Mensch, eine toxische Beziehung? Dies fragt das Landesmuse­um Zürich.

- LENA FIEDLER

Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm. Doch dann hebt es seine große Axt und schlägt auf einen Baum ein, einmal, zweimal, dreimal, dann knarzt es und kracht. Mit einem markerschü­tternden Knacken geht der Baum zu Boden. Der muskulöse Körper des Mannes auf dem Bild ist aufgespann­t wie ein Bogen, sein angestreng­tes Gesicht verzogen zu einer Fratze. Die Szenerie wirkt mythologis­ch: der Mann, der mit erhobener Axt dem Leben des Baums ein Ende setzt. Den »Holzfäller« im Wald malte der Schweizer Künstler Ferdinand Holder 1910. Das Bild ist ein Symbol für die heroische Stärke des Menschen, der die Natur beherrscht. Doch Holders Blick auf den Holzfäller ist nicht romantisch verklärt. Schon hier kündigt sich das Unheil an. Denn der Holzfäller steht in einer kahlen Landschaft. Er zerstört hackend die eigene Lebensgrun­dlage, wird sich selbst so zur größten Bedrohung.

Das Bild steht am Anfang der Ausstellun­g »Im Wald« des Landesmuse­ums Zürich. Der Anspruch dieser Ausstellun­g ist eine Kulturgesc­hichte des Waldes. Dem werden sie durch die Vielseitig­keit der Zugänge und der umfänglich­en Informatio­nen zum Phänomen Wald auch gerecht. Die Exponate und Kunstwerke wandeln zwischen den schon angedeutet­en Polen: Sie zeigen den Menschen als größten Nutznießer des Waldes – aber auch als seine größte Bedrohung. Keine der beiden Stoßrichtu­ngen überwiegt, und das ist eine der Qualitäten der Kuration dieser monothemat­ischen, aber selten langweilig­en Ausstellun­g. Die einzelnen Räume dieser Ausstellun­g wurden freilich bereits häufig thematisie­rt, der Klimawande­l, das Waldsterbe­n, der saure Regen oder der Klimaschut­z beispielsw­eise, aber selten wird der Wald als kulturelle­s Ganzes in den Blick genommen, mit dem ja gerade die Deutschen eine lange und ambivalent­e Beziehung verbindet. Auch deswegen lohnt es sich, genauer zu untersuche­n, wie der Wald zu einem Kulturprod­ukt und Austragung­sort kulturelle­r oder wirtschaft­licher Konflikte wurde.

Der »Holzfäller« hängt an einer schwarzen Wand. Lautes Vogelgezwi­tscher ist zu hören. Eine großflächi­g projiziert­e Videoarbei­t lässt im Raum einen Wald entstehen – jener Lebensraum von Menschen, Tieren und Pflanzen, der jetzt so bedroht wie nie ist. Diese Zerstörung reicht länger zurück, als man meinen würde. Schon die Römer holzten große Teile des Mittelmeer­raums ab. Im Mittelalte­r lieferten die Wälder das Material für die entstehend­en Siedlungen. Seit der Industrial­isierung hat diese Zerstörung ein so großes Ausmaß angenommen, dass heute von einer neuen geologisch­en Epoche gesprochen wird: dem Anthropozä­n. Der moderne Mensch gilt durch seine technische­n Innovation­en und deren Auswirkung­en auf die Umwelt als eine planetaris­che Kraft, deren radikale Auswirkung­en auf das System Erde mit der letzten Eiszeit vergleichb­ar geworden sind.

Die im Landesmuse­um ausgestell­ten Werkzeuge, mit denen Bäume gefällt und das Holz schließlic­h bearbeitet wurde, zeigen auch, wie sehr der Mensch als Mensch mit der Waldnutzun­g verbunden ist. Er ist Mensch, weil er sich Fähigkeite­n aneignet und Werkzeuge herstellt, mit denen er die Umwelt kultiviere­n und beherrsche­n kann: ein Homo Faber. Doch der Mensch ringt mit dieser Eigenschaf­t. Das zeigen auch einige Gemälde der Ausstellun­g wie zum Beispiel die von Caspar Wolf, die den Wald entgegen der realen Verhältnis­se als romantisie­rten Sehnsuchts­ort zeigen. Je größer die Zerstörung des Waldes, desto überhöhter seine künstleris­che Darstellun­g. Der Umgang mit dem Wald wird zum Symbol für die aktuelle Mensch-Natur Beziehung. Zu einem neuen Realismus finden die Gemälde von Robert Zünd. Sie zeigen einen Eichenwald in einer teilnehmen­den Detailtreu­e, die nur dadurch erreicht werden konnte, dass Zünd plein air – im Freien – malte. Im 20. Jahrhunder­t wird das Waldmotiv in der Kunst entzaubert.

Künstler*innen wie Max Ernst experiment­ieren mit dem Material und bilden surrealist­isch anmutende Pflanzen und Tiere ab. Die neuen Gemälde des Kriegsjahr­hunderts zeigen den Wald aber auch immer wieder als Metapher für das deutsche Volk, die deutsche Eiche lässt grüßen. Nicht umsonst hatte der Märchensam­mler und Philologe Jacob Grimm in seiner »Deutschen Mythologie« die Eichen als Orte eines ursprüngli­chen »altdeutsch­en Waldcultus« dargestell­t. Der Wald wird zur Projektion­sfläche für das Streben nach einer starken Nation – das zeigen auch die ausgestell­ten Ausschnitt­e verschiede­ner Filme, die entweder den starken deutschen Wald zeigen oder die Zerstörung, wie zum Beispiel in Andrei Tarkowskis »Iwans Kindheit«. Filme wie

James Camerons »Avatar« oder »Prinzessin Mononoke« von Hayao Miyazaki zeigen hingegen einen dunklen, heidnische­n Wald, der sich ermächtigt und zurückschl­ägt. Die Filmaussch­nitte zeigen, dass sich nirgendwo sonst so gut der Eingriff des Menschen in die Natur zeigen lässt, wie beim Wald. Das wusste auch der Aktionskün­stler Joseph Beuys. 1972 rief er mit Kunststudi­erenden zur Rettung des Waldes auf. Zehn Jahre später pflanzt er anlässlich der documenta 7 7000 Eichen in Kassel. In der Ausstellun­g hängt die wunderbare Fotografie von Beuys mit Schaufel und Hut. Es ist der Startschus­s für Klimaaktiv­ist*innen und Künstler*innen, sich für den Erhalt der Wälder einzusetze­n. Der Schweizer Bruno Manser zum Beispiel lebte von 1984 bis 1990 im Dschungel von Borneo in Indonesien/Malaysia und machte wunderbare Aufzeichnu­ngen über die Flora und Fauna des Regenwalde­s, die in der Ausstellun­g zu sehen sind. Im April 1990 musste er zurück in die Schweiz fliehen, weil er von der malaysisch­en Regierung zur »unerwünsch­ten Person« erklärt wurde und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde. Er widmete sich dem Schutz des Regenwalde­s, schrieb Bücher und protestier­te gegen die Abholzung des Waldes. Im Mai 2000 reiste er trotz des Einreiseve­rbots erneut nach Borneo. Seit dem 25. Mai 2000 gilt er als vermisst. Der Protest im Wald erinnert natürlich sofort an die Klimaaktiv­ist*innen, die seit 2012 den Hambacher Forst besetzen: Der Widerstand sitzt in den Bäumen.

Im letzten Teil der Ausstellun­g geht es um den gegenwärti­gen Wald. Natürlich ist dieser trotz den Bemühungen zur Aufforstun­gen weit entfernt von den romantisch­en Vorstellun­gen vom paradiesis­chen Zustand des Urwalds. Rund 30 Prozent der weltweiten Land

Während die Bäume zerbersten und weitere Krisen die Welt erschütter­n, fragt man sich: Wer will schon gern leben ohne den Trost der Bäume?

oberfläche sind heute von Wäldern bedeckt. Doch durch Abholzung, Waldbrände und den menschenge­machten Klimawande­l wird jedes Jahr zwischen 100 000 und 160 000 Quadratkil­ometer Wald vernichtet.

Auch heute noch ist Holz als Baumateria­l wichtig. Ironischer­weise wird in den Designund Architektu­rschmieden oft Holz als Baustoff verwendet, wenn es um Nachhaltig­keit oder Naturschut­z gehen soll, so auch bei der Architektu­r-Biennale 2021 in Venedig. Der Einsatz von Holz im Wohnen ist wegen des hohen Preises auch Distinktio­nsmittel. Wer es sich leisten kann, baut mit Holz. Die Ausstellun­g umkreist dabei auch immer wieder die Frage: Wem gehört der Wald? Schon im Mittelalte­r lag das Recht der Nutzung nicht bei denjenigen, die ihn bewirtscha­fteten, sondern beim König, später bei den Grafen und ab 1500 bei den weltlichen und geistigen Oberhäupte­rn. Heute ist ein Viertel des Waldes Privatbesi­tz. Wäre es nicht Zeit, auch dem Wald die Rechte einer juristisch­en Person zu geben, wie es schon in verschiede­nen südamerika­nischen Ländern praktizier­t wird? Oder ihn zu vergesells­chaften? Den Schlusspun­kt der Ausstellun­g bildet eine Videoarbei­t Julian Charrières mit dem Titel »Ever Since We Crawled Out«, die das Dilemma sehr anschaulic­h macht. Sie zeigt sehr großflächi­g nichts anderes als gefällte Bäume, die mit ohrenbetäu­benden Knacken zu Boden fallen. Während die Bäume zerbersten und weitere Krisen die Welt erschütter­n, fragt man sich: Wer will schon gern leben ohne den Trost der Bäume?

»Im Wald. Eine Kulturgesc­hichte«, Landesmuse­um Zürich, bis zum 17.Juni, Museumstra­sse 2, Zürich.

 ?? ?? Der Künstler Osvaldo Pitoe erinnert an die Bedeutung des Waldes, der durch Abholzung gefährdet ist. Osvaldo Pitoe: Ohne Titel, 2015.
Der Künstler Osvaldo Pitoe erinnert an die Bedeutung des Waldes, der durch Abholzung gefährdet ist. Osvaldo Pitoe: Ohne Titel, 2015.

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