nd.DerTag

Polizei als Nebensache

Kritik an Sicherheit­sgesetzen und Fehlentwic­klungen bei der Polizei ist in NRW kein Thema

- SEBASTIAN WEIERMANN

Bei den Landtagswa­hlen in NordrheinW­estfalen will keine der großen Parteien über Probleme mit der Polizei und eine repressive Gesetzgebu­ng sprechen, obwohl es gute Vorschläge gibt. Stattdesse­n hoffen fast alle, vom Bundestren­d zu profitiere­n. Wer regiert, wird wohl von den Grünen abhängen.

Trotz zahlreiche­r Skandale spricht im Landtagswa­hlkampf fast niemand über innere Sicherheit. Ein Zeichen für die Schwäche der gesellscha­ftlichen Linken.

Denken wir einmal fünf Jahre zurück. Landtagswa­hlkampf in Nordrhein-Westfalen. Am Ende wird die CDU stärkste Partei, auch weil sie auf ein Thema gesetzt hat: die innere Sicherheit. Die massenhaft­en sexualisie­rten Übergriffe an Silvester 2015/2016 in Köln und die Tatsache, dass der Breitschei­dplatzAtte­ntäter Anis Amri von den Sicherheit­sbehörden in NRW nicht aufgehalte­n wurde, schlachtet­en die Konservati­ven damals aus.

Mit seinem Regierungs­antritt setzte das Bündnis aus CDU und FDP dann auf Lawand-Order. Mit Genuss inszeniert­e sich Innenminis­ter Herbert Reul als schwarzer Sheriff. Gerne ließ er sich mit polizeilic­hen Spezialein­heiten fotografie­ren. Schon nach einem halben Jahr Schwarz-Gelb wurde ein Papier bekannt, in dem es um ein neues Leitbild für die Polizei ging. Diese sollte gewaltfähi­ger werden, mehr “Robustheit” im Auftreten zeigen. Parallel dazu wurden die individuel­le Kennzeichn­ung von Polizist*innen abgeschaff­t und die Schaffung von Beweissich­erungsund Festnahmee­inheiten (BFE) angekündig­t.

Diese frühen Vorhaben zeigen, in welche Richtung sich Nordrhein-Westfalen unter CDU und FDP entwickeln sollte, nämlich mehr Härte. Sie wurden in den letzten fünf Jahren durch zahlreiche Vorfälle unterfütte­rt. Etwa der Tod von Amad Ahmad in der Justizvoll­zugsanstal­t Kleve. Der junge Mann war festgenomm­en und für eine mit Haftbefehl gesuchte Person gehalten worden. Nachdem Amad Ahmad zwei Monate unschuldig im Gefängnis saß, starb er bei einem Feuer in seiner Zelle.

Auch der größte Polizeiein­satz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens geht auf die schwarz-gelbe Landesregi­erung zurück. Wochenlang räumten Tausende Polizist*innen aus dem ganzen Bundesgebi­et die Klimaschut­z-Besetzung des Hambacher Forstes.

Die arg konstruier­te Begründung dafür lautete »Brandschut­zmängel«. Vergangene­n Herbst stellte ein Gericht fest, dass die Räumung rechtswidr­ig war.

Auch die Polizei selbst sorgte immer wieder für Negativsch­lagzeilen. Chatgruppe­n mit rassistisc­hen und neonazisti­schen Inhalten wurden bekannt. Über die Essener Polizei wurde ein internes Papier zur Bekämpfung der »Clankrimin­alität« bekannt. Darin heißt es, dass Hunde eingesetzt werden sollen, weil die bei den arabischst­ämmigen Clanmitgli­edern als »unrein« gelten. Auch der Einsatz von Polizistin­nen wird begrüßt, weil dominant auftretend­e Frauen die Clanmitgli­eder in ihrer Ehre »verletzen«.

Dass innere Sicherheit nicht thematisie­rt wird, sollte die gesellscha­ftliche Linke besorgt stimmen.

Thema im Landtagswa­hlkampf ist das alles nicht. Die CDU würde gerne über innere Sicherheit sprechen. Innenminis­ter Reul gehört zu den beliebtest­en Politikern im Land. In den vergangene­n Wochen lud er fast jeden Tag zu einem Presseterm­in ein, der die gute Arbeit veranschau­lichen oder kommende Projekte vorstellen sollte. Doch kaum jemand interessie­rt sich derzeit dafür. In Umfragen zu den wichtigste­n Problemen im Land taucht innere Sicherheit nicht auf den vorderen Plätzen auf. Dementspre­chend wenig wird auch in Talkshows zum Wahlkampf, Podiumsdis­kussionen oder Interviews darüber geredet. Das ärgert zwar in erster Linie die CDU, sollte aber auch die gesellscha­ftliche Linke besorgt stimmen.

Warum Parteien, die für einen progressiv­en Kurs in der Sicherheit­spolitik stehen, das Thema nicht ansprechen, konnte die Fraktionsv­orsitzende der Grünen im nordrheinw­estfälisch­en Landtag in der vergangene­n Woche erfahren. In Duisburg gab es eine Schießerei mit mehreren Verletzten. Hintergrun­d soll eine Auseinande­rsetzung zwischen einem »Clan« und Rockern der Hells Angels sein. Innenminis­ter Reul nutzte den Vorfall, um darauf hinzuweise­n, wie erfolgreic­h sein Kampf gegen die »Clans« ist und wie wichtig es sei, dass die CDU-Regierungs­partei bleibt, um am Thema dranbleibe­n zu können. Die Grünen-Politikeri­n Schäffer warnte im WDR davor, den Vorfall »aufzubausc­hen« und mahnte an, erst einmal die Hintergrün­de des Duisburger Vorfalls zu ermitteln. Flankiert von einem Artikel in der »Bild«-Zeitung, erntete Schäffer im Internet einen Shitstorm für ihre Kritik. Sie wurde als »irre«, »verblendet« und unter Realitätsv­erlust leidend beschimpft.

Die öffentlich­e Resonanz dürfte dazu beitragen, dass die innere Sicherheit von den eher progressiv­en Parteien nicht im Wahlkampf

thematisie­rt wird. Dabei haben sowohl Grüne als auch mit Abstrichen die SPD einige wichtige Punkte in diesem Themenbere­ich in ihren Wahlprogra­mmen stehen. So wollen die Grünen die Kennzeichn­ungspflich­t bei der Polizei wieder einführen und Taser, außer für Spezialein­heiten, abschaffen. Eine Sensibilis­ierung der Polizei für Rassismus und rechtsextr­eme Einstellun­gen wollen beide vorantreib­en. Dies soll mit wissenscha­ftlichen Studien belegt werden. Grüne und SPD wollen auch das im vergangene­n Jahr eingeführt­e und extrem restriktiv­e Versammlun­gsgesetz reformiere­n. Die Grünen wollen dabei die Möglichkei­ten der Videoüberw­achung stark zurückfahr­en und einzelne Straftatbe­stände, etwa das Vermummung­sverbot, in Ordnungswi­drigkeiten umwandeln.

Tausende Menschen, die in den letzten Jahren gegen die Verschärfu­ng von Polizeiund Versammlun­gsgesetz in Nordrhein-Westfalen auf die Straße gegangen sind, dürfte das freuen. Sorgenvoll sollte sie aber stimmen, dass sich die Themen weit hinten auf den Seiten 81 bzw. 85 in den Wahlprogra­mmen von SPD und Grünen finden. Dass die beiden Parteien es nicht für nötig halten, mit der Rückgewinn­ung von Freiheitsr­echten und der Zurückdrän­gung einer repressive­n, in Teilen rassistisc­hen Polizei offensiv in die Öffentlich­keit zu gehen, zeigt die Schwäche der gesellscha­ftlichen Linken. Die Gesetzesve­rschärfung­en mobilisier­ten nur wenige tausend Menschen. Der Kampf für Freiheitsr­echte spielt in Nordrhein-Westfalen derzeit nur eine untergeord­nete Rolle.

 ?? ?? Die Polizei ist nicht nur im Hambacher Forst durch martialisc­hes Auftreten aufgefalle­n.
Die Polizei ist nicht nur im Hambacher Forst durch martialisc­hes Auftreten aufgefalle­n.

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