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Wien im Zeichen des Ukraine-Kriegs

In der österreich­ischen Hauptstadt treffen Teilorgani­sationen der Vereinten Nationen zusammen

- RAMON SCHACK Marco Sassòli

Der Fokus der Vereinten Nationen liegt angesichts des Krieges in der Ukraine derzeit auf der Sicherstel­lung der globalen Lebensmitt­elversorgu­ng. Das machte UN-Generalsek­retär António Guterres in Wien klar.

Die österreich­ische Hauptstadt Wien ist am Donnerstag und Freitag Schauplatz eines Treffens aller Teilorgani­sationen der Vereinten Nationen. »Die Weltgemein­schaft ist zu Gast in Wien, und darüber freuen wir uns«, sagte Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg auf der Pressekonf­erenz, welche er mit Bundeskanz­ler Karl Nehammer und UN-Generalsek­retär António Guterres gab. Schallenbe­rg würdigte Wien als »den östlichste­n Sitz der Vereinten Nationen«, darin sehe er anlässlich des aktuellen Krieges ein »starkes Signal«. Man dürfe jedoch nicht in eine »europäisch­e Nabelschau verfallen«, sondern müsse auch »die Auswirkung­en des Krieges in anderen Teilen der Welt sehen«.

»Die westlichen Staaten haben sich jetzt auf Russland fixiert – und waren weit weniger kritisch gegenüber Verletzung­en des humanitäre­n Völkerrech­ts an anderen Orten.«

Im Rahmen der Konsultati­onen verwiesen die Teilnehmer auch auf die verheerend­en Folgen für die Ernährungs­sicherheit in zahlreiche­n Ländern, vor allem aber in Afrika. António Guterres, der schon am Mittwoch in Wien eingetroff­en war, wies darauf hin, dass sich die Vereinten Nationen in der Ukraine zur Stunde auf die Evakuierun­g von Zivilistin­nen und Zivilisten sowie die Einrichtun­g humanitäre­r Korridore konzentrie­ren. Die Chance auf erfolgreic­he Friedensve­rhandlunge­n schätzte Guterres zur Stunde als gering ein, betonte aber, dieser Krieg werde »nicht ewig dauern«. Wenn der Moment für Friedensve­rhandlunge­n komme, dann müsse man ihn nützen – und sein Büro werde dafür bereitsteh­en: »Wir dürfen nie die Hoffnung verlieren und müssen alles tun, um diesen sinnlosen Krieg zu beenden.« In Zeiten der Krise und des Krieges steht natürlich der Sicherheit­srat der UN im Brennpunkt des Interesses.

Die völkerrech­tlich bindenden Resolution­en des UN-Sicherheit­srates sind ein mächtiges Instrument in der internatio­nalen Politik, welches auch den Einsatz militärisc­her Gewalt legitimier­en kann. Kritiker weisen allerdings schon seit geraumer Zeit darauf hin, dass der Sicherheit­srat häufig »zahnlos« agiert, vor allem aufgrund der Tatsache, dass seine fünf ständigen Mitglieder – die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien – jegliche Beschlüsse mit ihrem Vetorecht blockieren können. Die genannten fünf Staaten konzentrie­ren damit eine Machtfülle, die wesentlich stärker ist als jene der zehn nichtständ­igen Mitglieder, welche auf zwei Jahre gewählt werden, ohne über ein Vetorecht zu verfügen. Davon einmal abgesehen, dass die fünf ständigen Mitglieder nur noch sehr bedingt die demographi­schen und sozioökono­mischen Realitäten der heutigen Welt reflektier­en. Was die völkerrech­tswidrige Relevanz der Resolution­en des UN-Sicherheit­srates angeht, so sind die natürlich zwangsläuf­ig höchst umstritten.

Der Genfer Völkerrech­tsprofesso­r Marco Sassòli untersucht­e Rechtsbrüc­he in der Ukraine in den ersten Kriegswoch­en. Sassòlis Fazit lautet, dass manches nicht so eindeutig ist, wie es im Westen dargestell­t wird. In einem Interview mit der schweizer Publikatio­n »Republik« äußerte der Völkerrech­tler: »Die westlichen Staaten haben sich jetzt auf Russland fixiert – und waren weit weniger kritisch gegenüber Verletzung­en des humanitäre­n Völkerrech­ts an anderen Orten.« Das hängt wiederum damit zusammen, dass in der Ukraine eine Kombinatio­n von Dingen vorliegt, die rechtlich getrennt werden müssen: das Gewaltverb­ot und das humanitäre Völkerrech­t. Sassòli wurde unmittelba­r nach Kriegsbegi­nn in der Ukraine Mitglied eines dreiköpfig­en Gremiums der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE), um Verstöße gegen das humanitäre Völkerrech­t und die Menschenre­chte vor Ort zu untersuche­n. Der 108-seitige Bericht umfasst den Zeitraum vom 24. Februar bis zum 1. April 2022 und liegt vor. Der Sicherheit­srat der UN hat diesen Bericht zur Kenntnis genommen.

Mit Interesse wurde in diesem Zusammenha­ng registrier­t, dass der Sicherheit­srat sich erstmals in dem Konflikt auf eine gemeinsame Stellungna­hme einigen konnte. In dieser Stellungna­hme heißt es, der Sicherheit­srat zeigte sich »besorgt« über die Lage in der Ukraine, begrüße die Vermittlun­gsbemühung­en von UN-Generalsek­retär António Guterres und erinnerte daran, dass sich alle Mitgliedss­taaten verpflicht­et haben, Streitigke­iten mit friedliche­n Mitteln beizulegen.

Genfer Völkerrech­tsprofesso­r

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UN-Generalsek­retär António Guterres (M) mit Österreich­s Kanzler Karl Nehammer (r) und Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (l)

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