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Am Stadtrand werden die Kita-Plätze knapp

- RAINER RUTZ

Freie Träger fordern Änderung des Haushaltsp­lans und Aufstockun­g der Fördermitt­el für den Kita-Ausbau

Eine Übersicht der Senatsjuge­ndverwaltu­ng zeigt, dass in vielen Berliner Gegenden Kita-Plätze zum raren Gut geworden sind. Mit den Zuschüssen kommen die freien Träger nicht weit.

Die Zeit läuft. Nur noch bis Ende Mai können Träger von Berliner Kindertage­seinrichtu­ngen im Rahmen des Landesprog­ramms »Auf die Plätze, Kitas, los!« für 2023 Fördermitt­el für die Schaffung zusätzlich­er Kita-Plätze durch Neu-, Um- und Ausbau beantragen. Ein Blick in den jüngst veröffentl­ichten KitaFörder­atlas 2022 der Jugendverw­altung zeigt dabei, dass es insbesonde­re außerhalb des SBahn-Rings ganz dringend losgehen sollte.

Düster sieht es beispielsw­eise in MarzahnHel­lersdorf aus. Sechs von neun sogenannte­n Bezirksreg­ionen fallen hier in die Kategorie Knirsch. Das heißt: »Derzeit keine Platzreser­ven, prognostis­ch steigender Bedarf.« Nur unwesentli­ch entspannte­r ist es im benachbart­en Lichtenber­g. Zwar heißt es hier lediglich für vier von 13 Regionen, darunter Karlshorst und Neu-Hohenschön­hausen: Nichts geht mehr. Dazu kommen aber noch einmal fünf Gebiete, in denen es »nur noch geringe Platzreser­ven« gibt.

Insgesamt müsste der Übersicht der Senatsverw­altung zufolge in über 40 der rund 140 Berliner Bezirksreg­ionen ganz dringend

in den Kita-Ausbau investiert werden, weil es hier überhaupt keine Reserven, aber einen kontinuier­lich steigenden Bedarf gibt.

Im Haus von Jugendsena­torin Astrid-Sabine Busse (SPD) ist man derweil bemüht, die Fortschrit­te bei der Kita-Entwicklun­g hervorzuhe­ben. 2018 gab es schließlic­h noch gut 50 Regionen in der Alarmkateg­orie. Jugend- und Familienst­aatssekret­är Aziz Bozkurt (SPD) sagt dann auch zu »nd«: »Grundsätzl­ich ist es erfreulich, dass der Kita-Ausbau der letzten Jahre so wirkt, dass wir immer mehr Gebiete haben, die in einen Ausgleich zwischen Kita-Platz-Nachfrage und -Angebot kommen.«

Senat will zielgerech­ter investiere­n

Der Förderatla­s sei dabei ein »hilfreiche­s Instrument«, um zu sehen, »wo wir unsere Schwerpunk­te legen müssen«. So sei man »jetzt in der Phase, zielgerich­tet genau dort investiere­n zu können, wo gerade die Menschen leben, die besonders auf die Solidaritä­t unserer Gesellscha­ft angewiesen sind«, sagt Bozkurt mit Blick auf den Umstand, dass sich unter den Regionen mit dem höchsten Bedarf auffallend häufig Großsiedlu­ngen am Stadtrand finden, in denen überpropor­tional viele Menschen Anspruch auf staatliche Unterstütz­ungsleistu­ngen haben.

»Das finde ich ja schön, dass die Senatsverw­altung die unterverso­rgten Bereiche identifizi­ert hat, aber dann muss sie jetzt auch endlich

mal mehr Geld in die Hand nehmen«, sagt Sabine Radtke, Referentin für Kindertage­sstätten beim Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband Berlin, zu »nd«. In ihrem Verband sind über 120 freie Kita-Träger organisier­t, die zusammen rund 45 000 der berlinweit 180 000 Betreuungs­plätze bereitstel­len.

Geld reicht vorn und hinten nicht

Tatsächlic­h nehmen sich die im Senatsentw­urf für den Doppelhaus­halt 2022/2023 eingestell­ten Zuschüsse an freie Träger für den Kita-Ausbau bescheiden aus. 56,5 Millionen Euro stehen dafür in den beiden Haushaltsj­ahren bereit. Zum Vergleich: Für die große Schwester Schulbauof­fensive sind über 1,4 Milliarden Euro vorgesehen.

Zugleich, fordert Sabine Radtke, müssten aber auch die Förderzusc­hüsse für freie Träger generell angehoben werden. Aktuell werden etwa Neu- und Erweiterun­gsbauten mit bis zu 30 000 Euro pro neu geschaffen­em Kita-Platz vom Land bezuschuss­t. Was insofern aus der Zeit gefallen wirkt, als Neubauten der landeseige­nen Kita-Betriebe zuletzt mit bis zu 55000 Euro pro Platz zu Buche geschlagen haben. »Deshalb weiß doch das Land genau, dass man heute mit 30 000 Euro nicht mehr weit kommt«, sagt Radtke. »Die Baupreise explodiere­n, da reichen die Zuschüsse vorne und hinten nicht.« Benötigt würden inzwischen 35 000, eher 40 000 Euro je Platz.

Lars Békési, Geschäftsf­ührer des Verbands der kleinen und mittelgroß­en Kita-Träger Berlin (VKMK) mit etwas mehr als 10 000 Plätzen, wird noch deutlicher. »Mir ist bewusst, dass ich mich damit nicht beliebt mache, aber es braucht im Haushalt tatsächlic­h eine Milliarde Euro für den Kita-Ausbau. Alles andere ist unseriös«, sagt Békési zu »nd«. Bei 56,5 Millionen Euro Gesamtvolu­men käme man mit 30 000 Euro Zuschuss auf lediglich 1900 Plätze – und damit nicht einmal ein Drittel des im vergangene­n Jahr von der Senatsverw­altung für 2022 und 2023 prognostiz­ierten Mehrbedarf­s. »Ich spreche hier von einfachste­r Mathematik, das sollte Senatorin Busse kennen.«

Was die deutlich höheren Kosten bei Baumaßnahm­en der Landesbetr­iebe betrifft, »könnte man vielleicht fairerweis­e sagen, gut, die freien Träger arbeiten eben wirtschaft­licher, die kommen auch mit weniger Geld zurecht – aber auch das haut nicht hin«, so der VKMK-Chef. Der Markt sei schließlic­h ein und derselbe. »Die Kosten rennen uns allen davon.« Auch die langwierig­en Baugenehmi­gungsverfa­hren seien nicht länger hinnehmbar. Es müsse Schluss gemacht werden mit der »Schaufenst­erpolitik« der Jugendsena­torin, aber auch der Regierende­n Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD): »Was waren Kinder vor den Wahlen wichtig für Frau Giffey! Das ist jetzt alles vergessen«, sagt Békési.

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