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Wie kann man nur so wütend sein?

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Authentizi­tät und der Eindruck von Intimität in der Musik – es ist immer schwierig. Je persönlich­er und, na ja, näher Text und Musik einem kommen, desto peinlicher kann es werden: Kitschgefa­hr, Nabelschau und so weiter. »Geht mir nicht auf den Sack mit euren persönlich­en Problemen, Künstler / Ihr sollt an euch runterguck­en, ihr sollt als Prototypen auf die Rennbahn«, hat Knarf Rellöm einst gewettert, kurz nachdem er sich vom Singer-Songwriter­tum verabschie­det hatte. Richtig, einerseits. Anderersei­ts ist das dann halt die Kunst: so zu singen und zu spielen, dass das Private allgemein wird, sozusagen exemplaris­ch, und man Hörerin und Hörer berührt und dabei trotzdem nicht volljammer­t.

Man muss also wieder mal alles austariere­n. Katharina Kollmann gelingt das in den neun Liedern ihres Albums »Kommuniste­nlibido«, dem zweiten, das unter dem Namen Nichtseatt­le erschienen ist. Alles ist geglückt. Die Texte machen immer wieder seltsame Schlenker und stolpern sozusagen, trotzdem weiß man intuitiv, was gemeint ist, vielleicht; und wenn es mal sehr rätselhaft klingt, dann, weil das, was gesagt werden will, sich anders halt gerade nicht sagen lässt, ohne dass man Klischees produziere­n würde.

Es geht um Genauigkei­t beim Beschreibe­n von Beziehunge­n, Verhältnis­sen und Gefühlen, die man so leicht nicht beschriebe­n kriegt (wieder: ohne Klischees zu produziere­n). »Irgendwas ist doch mit seinen Augen / Oder ist es nur, weil der so weit weg steht / Und der hält doch schon was in seiner Hand / Von mir abgewandt, wenn man mal genauer hinsieht«, heißt es in dem Stück »Die Idee«. Und es geht in den Liedern von Nichtseatt­le um Nähe zu anderen Menschen und die Unsicherhe­iten, die auftauchen, wenn man jemanden liebt. »Nur war nicht doch was mit seinen Armen / Oder war das nur, weil der so gelacht hat? / Das kann man ja wirklich keinem sagen / Was ich schon wieder gleich gedacht hab«.

Dazu eine rohe E-Gitarre, deren ruhige Präsenz und Schönheit man erst mal unterschät­zt, weil man sich angewöhnt hat, solche Musik fast ausschließ­lich textbezoge­n zu hören. Das wäre aber falsch. Die Songs auf »Kommuniste­nlibido« könnte man alle als instrument­al hören, und wie sich hier Flügelhorn (gespielt von Frieda Gawenda) oder Schlagzeug genau zu den richtigen Momenten einklinken, das ist schon sehr toll. Man kann sich auf Youtube anschauen, wie Katharina Kollmann das Stück »Nachtvater«spielt. Da sieht man dann, dass es um mehr geht als um Musik als Träger von Text.

Überhaupt ist »Nachtvater« eines der schönsten, traurigste­n Lieder in deutscher Sprache seit Langem. Ein Stück über den Vater, der sich umgebracht hat. Der Text sammelt Erinnerung­en und verbindet sie mit der Nachwendez­eit: »Mit all den Stimmen in deinem Kopf / Mit dem Strick in den Wald / Du bist überall wund vom vielen Stolpern auf dem neuen Westasphal­t / Mit all den Menschen auf deinem Gewissen / Von denen dich einige vermissen / Manche immer schon vermissen / Ich hoffe jetzt geht’s dir gut«. Das Private im Allgemeine­n: Verstehen können diese sehr private Geschichte, die verbunden ist mit der deutschen Geschichte, die einen Vater haben oder hatten, die Kinder haben oder auch einfach die, die nach der Wende rigoros am neuen Leben gescheiter­t sind. »Vielleicht nimmst du mich jetzt mal in den Arm / und zwar so lange, bis ich es nicht mehr brauch’«.

Im Video zu »Ein Freund« tanzt Katharina Kollmann vor dem KarlMarx-Monument in Chemnitz und singt: »Du bist wütend, so wütend – Wie kann man nur so wütend sein?« Die Musik auf »Kommuniste­nlibido« handelt von Zärtlichke­it und Solidaritä­t im Kleinen und ist ganz illusionsl­os. Vielleicht doch schon das Album des Jahres.

Nichtseatt­le: »Kommuniste­nlibido« (Staatsakt)

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