Grüner Höhenflug
CDU bei Landtagswahl in NRW vor SPD. Koalition hängt an den Grünen
Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine Wahlschlappe erlitten. Und zwar in Nordrhein-Westfalen. Seine SPD erhielt bei der »kleinen Bundestagswahl« laut ARD-Hochrechnung von 20 Uhr mit 26,7 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Bundeslandes. So konnte sich CDU-Spitzenkandidat und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gegen seinen sozialdemokratischen Herausforderer Thomas Kutschaty behaupten. Die CDU legt im Vergleich zur Wahl 2017 etwas zu und erhielt 35,7 Prozent der Stimmen. »Die CDU ist zurück«, freute sich CDUBundeschef Friedrich Merz vielleicht etwas vorschnell.
Dass die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland so abschmierten, versucht man im Willy-Brandt-Haus offenbar noch zu verdrängen. »Schwarz-Gelb ist abgewählt«, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Rot-Grün sei in den gesamten letzten Wochen die Lieblingsregierung der Menschen in Nordrhein-Westfalen gewesen. Profitieren von dieser Stimmung konnten allerdings nur die Grünen, weil etwa eine viertel Million ehemaliger SPD-Wähler*innen lieber bei ihnen das Kreuz machten. Damit wanderten zu keiner anderen Partei mehr SPD-Wähler*innen ab.
»Wir werden heute Abend diesen Abend erstmal genießen«, sagte die Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Britta Haßelmann in der ARD. Es sei »ein ganz großartiger Abend«, nachdem die Landes-Grünen das »historisch beste Ergebnis« eingefahren hatten. Ihre Partei mit NRW-Spitzenkandidatin Mona Neubaur konnte ihr Ergebnis von 6,9 auf 18,2 Prozent fast verdreifachen. Die
Grünen gelten damit als »Königsmacher« in dem mit rund 13 Millionen Wahlberechtigten größten Bundesland Deutschlands.
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen gilt als wichtigster Stimmungstest für die Politik der Bundesregierung. So waren Inflation und Klimawandel bei der Wahl laut dem Meinungsforschungsinstitut infratest dimap die wichtigsten Themen. Dabei verlor nicht nur die SPD, auch die FDP musste einstecken. Sie bekam mit 5,6 Prozent weniger als die Hälfte der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl. »Wir haben eine desaströse Niederlage heute Abend zu verzeichnen«, musste denn auch FDP-Bundeschef und Finanzminister Christian Lindner eingestehen.
Mit 2,1 Prozent verpasste die Linkspartei den Einzug ins Parlament. 2017 erhielt sie noch 4,9 Prozent.
Schwarz und Grün gewinnen am Rhein. Die SPD erlebt eine herbe Enttäuschung. Trotzdem ist eine Ampel in NordrheinWestfalen nicht ausgeschlossen. Bei der Linken setzt sich der Abstieg fort.
Düsseldorf, vor dem Saal der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag. Abgeordnete, Freunde, Mitarbeiter der Fraktion haben sich versammelt. Es wird gelacht, gequatscht, getrunken. Schlecht ist die Stimmung nicht. Bis es 18 Uhr wird. Über Beamer wird die Wahlübertragung der ARD projiziert. Die Vorhersage für die CDU, immerhin 35 Prozent werden hingenommen. Dann folgt die Projektion für die SPD. 27,5 Prozent. So schlecht sah es für die SPD an Rhein und Ruhr, wo man über Jahrzehnte regiert hat, noch nie aus. So schlecht sollte es auch diesmal nicht aussehen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hendrik Wüst von der CDU und Thomas Kutschaty war bis unmittelbar vor
Die Spitzenkandidatin der Grünen spricht von einem »Vertrauensvorschuss« für ihre Partei. Den gebe es auch, weil man im Bund »Haltung und Kompass« gezeigt habe.
der Wahl vorausgesagt worden. Die Sozialdemokraten setzten darauf, den Schwung aus der letzten Bundestagswahl mitzunehmen. Erst zwei Wochen vor der Bundestagswahl veröffentlichte die SPD Plakate, die Spitzenkandidat Thomas Kutschaty zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz zeigten, »Gemeinsam für Deutschland«, ihr Motto. Was die SPD nicht einkalkulierte hatte, der Schlingerkurs von Olaf Scholz im Ukraine-Krieg kostete den Bundeskanzler und auch der gesamten Partei Zustimmung.
Der zweite Verlierer der NRW-Wahl ist ebenfalls eine Partei der Ampel-Koalition. Die auch in NRW mitregierende FDP muss mit Prognosen von genau 5 Prozent am frühen Abend noch um den Einzug in den Landtag bangen. Vor ihrem Fraktionssaal in Düsseldorf, eine ganz ähnliche Stimmung wie bei der SPD. Die Unterstützer der Liberalen halten sich an Bier- und Weinglas fest, starren auf die Fernseher und warten neue, hoffnungsvollere Zahlen ab. Als eine der ersten FDP-Politikerinnen äußert sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Bundestagsabgeordnete spricht von einem »grauenvollen Abend«, geht aber auch schnell zur Analyse über. Ein »polarisierter« Zweikampf sei nie gut für die kleinen Parteien, so die Verteidigungsexpertin der FDP.
Eine Analyse, der man bei den Grünen nicht zustimmt. Sie sind auch Teil der Bundesregierung. Mit 6,4 Prozent hatten sie bei der letzten Landtagswahl wirklich nicht gut abgeschnitten. Das sieht jetzt ganz anders aus. Mehr als 18 Prozent der Stimmen werden sie bei dieser Wahl wohl abräumen. So gut standen die Grünen in Düsseldorf noch nie da. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Mona Neubaur, spricht von einem »Vertrauensvorschuss« für ihre Partei. Den gebe es auch, weil man im Bund »Haltung und Kompass« gezeigt habe. Jetzt sei es Zeit, »endlich eine Politik auf Höhe der Zeit zu machen für die Menschen in Nordrhein-Westfalen«.
Partner dafür könnte der zweite Wahlgewinner sein, die CDU. Viel war vor der Wahl darüber gesprochen worden, dass der Kurzzeit-Ministerpräsident Hendrik Wüst bisher keinen Amtsvorschuss genieße, trotzdem gelang es ihm, das Ergebnis von 2017 noch einmal um zwei Prozent zu verbessern. Der Spitzenkandidat der Christdemokraten bezeichnete das Ergebnis als Auftrag, die Regierung zu »bilden« und zu »führen«.
Im erwartbaren Rahmen blieb die AfD. Hoffnungen, dass die rechte Partei aus dem Landtag fliegt, bestätigen sich wohl nicht. Mit 5,9 Prozent ist sie sicher drin. Die Linke hingegen setzt ihren Abwärtstrend ungebremst fort. Nur etwa 2 Prozent der Wähler stimmten für sie, eine herbe Niederlage im Vergleich zum Jahr 2017, als bei 4,9 Prozent nur wenige Stimmen für den Einzug ins Parlament fehlten. Linke-Spitzenkandidat Jules El-Khatib erklärte gegenüber »nd», »an dem Ergebnis gibt es nichts schönzureden«. Er sieht das schlechte Abschneiden allerdings »vor allem im Kontext der Gesamtentwicklung der Partei«. Nach der Wahl sei klar, dass die Partei sich als Kraft »gegen unsoziale Politik, Krieg und Rassismus« positionieren müsse. Wie das geht, müsse diskutiert werden.
Was am Sonntagabend in Düsseldorf jedenfalls klar ist: Die schwarz-gelbe Landesregierung ist abgewählt. Es gibt verschiedene Optionen für die Regierungsbildung. Für die rot-grüne Regierung, die viele linke Grüne und linke Sozialdemokraten erhofft hatten, wird es wahrscheinlich nicht reichen. Auf der Hand liegen nun zwei Koalitionen. CDU und Grüne könnten eine Regierung bilden. Es wäre eine Regierung der Wahlgewinner von Nordrhein-Westfalen. Die andere Option wäre eine Ampel. Das wäre allerdings eine Koalition von zwei Verlierern und einer Gewinnerpartei. Motiv für so eine Konstellation könnte vor allem die Bundespolitik sein. Bei der SPD deuteten einige an, dass sie es gerne mit einer Ampel in Düsseldorf probieren würden.