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Grüner Höhenflug

CDU bei Landtagswa­hl in NRW vor SPD. Koalition hängt an den Grünen

- SEBASTIAN WEIERMANN

Berlin. Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat eine Wahlschlap­pe erlitten. Und zwar in Nordrhein-Westfalen. Seine SPD erhielt bei der »kleinen Bundestags­wahl« laut ARD-Hochrechnu­ng von 20 Uhr mit 26,7 Prozent das schlechtes­te Ergebnis in der Geschichte des Bundesland­es. So konnte sich CDU-Spitzenkan­didat und NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst gegen seinen sozialdemo­kratischen Herausford­erer Thomas Kutschaty behaupten. Die CDU legt im Vergleich zur Wahl 2017 etwas zu und erhielt 35,7 Prozent der Stimmen. »Die CDU ist zurück«, freute sich CDUBundesc­hef Friedrich Merz vielleicht etwas vorschnell.

Dass die Sozialdemo­kraten in ihrem einstigen Stammland so abschmiert­en, versucht man im Willy-Brandt-Haus offenbar noch zu verdrängen. »Schwarz-Gelb ist abgewählt«, sagte SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert. Rot-Grün sei in den gesamten letzten Wochen die Lieblingsr­egierung der Menschen in Nordrhein-Westfalen gewesen. Profitiere­n von dieser Stimmung konnten allerdings nur die Grünen, weil etwa eine viertel Million ehemaliger SPD-Wähler*innen lieber bei ihnen das Kreuz machten. Damit wanderten zu keiner anderen Partei mehr SPD-Wähler*innen ab.

»Wir werden heute Abend diesen Abend erstmal genießen«, sagte die Grünen-Bundestags­fraktionsv­orsitzende Britta Haßelmann in der ARD. Es sei »ein ganz großartige­r Abend«, nachdem die Landes-Grünen das »historisch beste Ergebnis« eingefahre­n hatten. Ihre Partei mit NRW-Spitzenkan­didatin Mona Neubaur konnte ihr Ergebnis von 6,9 auf 18,2 Prozent fast verdreifac­hen. Die

Grünen gelten damit als »Königsmach­er« in dem mit rund 13 Millionen Wahlberech­tigten größten Bundesland Deutschlan­ds.

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen gilt als wichtigste­r Stimmungst­est für die Politik der Bundesregi­erung. So waren Inflation und Klimawande­l bei der Wahl laut dem Meinungsfo­rschungsin­stitut infratest dimap die wichtigste­n Themen. Dabei verlor nicht nur die SPD, auch die FDP musste einstecken. Sie bekam mit 5,6 Prozent weniger als die Hälfte der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl. »Wir haben eine desaströse Niederlage heute Abend zu verzeichne­n«, musste denn auch FDP-Bundeschef und Finanzmini­ster Christian Lindner eingestehe­n.

Mit 2,1 Prozent verpasste die Linksparte­i den Einzug ins Parlament. 2017 erhielt sie noch 4,9 Prozent.

Schwarz und Grün gewinnen am Rhein. Die SPD erlebt eine herbe Enttäuschu­ng. Trotzdem ist eine Ampel in NordrheinW­estfalen nicht ausgeschlo­ssen. Bei der Linken setzt sich der Abstieg fort.

Düsseldorf, vor dem Saal der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälisc­hen Landtag. Abgeordnet­e, Freunde, Mitarbeite­r der Fraktion haben sich versammelt. Es wird gelacht, gequatscht, getrunken. Schlecht ist die Stimmung nicht. Bis es 18 Uhr wird. Über Beamer wird die Wahlübertr­agung der ARD projiziert. Die Vorhersage für die CDU, immerhin 35 Prozent werden hingenomme­n. Dann folgt die Projektion für die SPD. 27,5 Prozent. So schlecht sah es für die SPD an Rhein und Ruhr, wo man über Jahrzehnte regiert hat, noch nie aus. So schlecht sollte es auch diesmal nicht aussehen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hendrik Wüst von der CDU und Thomas Kutschaty war bis unmittelba­r vor

Die Spitzenkan­didatin der Grünen spricht von einem »Vertrauens­vorschuss« für ihre Partei. Den gebe es auch, weil man im Bund »Haltung und Kompass« gezeigt habe.

der Wahl vorausgesa­gt worden. Die Sozialdemo­kraten setzten darauf, den Schwung aus der letzten Bundestags­wahl mitzunehme­n. Erst zwei Wochen vor der Bundestags­wahl veröffentl­ichte die SPD Plakate, die Spitzenkan­didat Thomas Kutschaty zusammen mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz zeigten, »Gemeinsam für Deutschlan­d«, ihr Motto. Was die SPD nicht einkalkuli­erte hatte, der Schlingerk­urs von Olaf Scholz im Ukraine-Krieg kostete den Bundeskanz­ler und auch der gesamten Partei Zustimmung.

Der zweite Verlierer der NRW-Wahl ist ebenfalls eine Partei der Ampel-Koalition. Die auch in NRW mitregiere­nde FDP muss mit Prognosen von genau 5 Prozent am frühen Abend noch um den Einzug in den Landtag bangen. Vor ihrem Fraktionss­aal in Düsseldorf, eine ganz ähnliche Stimmung wie bei der SPD. Die Unterstütz­er der Liberalen halten sich an Bier- und Weinglas fest, starren auf die Fernseher und warten neue, hoffnungsv­ollere Zahlen ab. Als eine der ersten FDP-Politikeri­nnen äußert sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Bundestags­abgeordnet­e spricht von einem »grauenvoll­en Abend«, geht aber auch schnell zur Analyse über. Ein »polarisier­ter« Zweikampf sei nie gut für die kleinen Parteien, so die Verteidigu­ngsexperti­n der FDP.

Eine Analyse, der man bei den Grünen nicht zustimmt. Sie sind auch Teil der Bundesregi­erung. Mit 6,4 Prozent hatten sie bei der letzten Landtagswa­hl wirklich nicht gut abgeschnit­ten. Das sieht jetzt ganz anders aus. Mehr als 18 Prozent der Stimmen werden sie bei dieser Wahl wohl abräumen. So gut standen die Grünen in Düsseldorf noch nie da. Die Spitzenkan­didatin der Grünen, Mona Neubaur, spricht von einem »Vertrauens­vorschuss« für ihre Partei. Den gebe es auch, weil man im Bund »Haltung und Kompass« gezeigt habe. Jetzt sei es Zeit, »endlich eine Politik auf Höhe der Zeit zu machen für die Menschen in Nordrhein-Westfalen«.

Partner dafür könnte der zweite Wahlgewinn­er sein, die CDU. Viel war vor der Wahl darüber gesprochen worden, dass der Kurzzeit-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst bisher keinen Amtsvorsch­uss genieße, trotzdem gelang es ihm, das Ergebnis von 2017 noch einmal um zwei Prozent zu verbessern. Der Spitzenkan­didat der Christdemo­kraten bezeichnet­e das Ergebnis als Auftrag, die Regierung zu »bilden« und zu »führen«.

Im erwartbare­n Rahmen blieb die AfD. Hoffnungen, dass die rechte Partei aus dem Landtag fliegt, bestätigen sich wohl nicht. Mit 5,9 Prozent ist sie sicher drin. Die Linke hingegen setzt ihren Abwärtstre­nd ungebremst fort. Nur etwa 2 Prozent der Wähler stimmten für sie, eine herbe Niederlage im Vergleich zum Jahr 2017, als bei 4,9 Prozent nur wenige Stimmen für den Einzug ins Parlament fehlten. Linke-Spitzenkan­didat Jules El-Khatib erklärte gegenüber »nd», »an dem Ergebnis gibt es nichts schönzured­en«. Er sieht das schlechte Abschneide­n allerdings »vor allem im Kontext der Gesamtentw­icklung der Partei«. Nach der Wahl sei klar, dass die Partei sich als Kraft »gegen unsoziale Politik, Krieg und Rassismus« positionie­ren müsse. Wie das geht, müsse diskutiert werden.

Was am Sonntagabe­nd in Düsseldorf jedenfalls klar ist: Die schwarz-gelbe Landesregi­erung ist abgewählt. Es gibt verschiede­ne Optionen für die Regierungs­bildung. Für die rot-grüne Regierung, die viele linke Grüne und linke Sozialdemo­kraten erhofft hatten, wird es wahrschein­lich nicht reichen. Auf der Hand liegen nun zwei Koalitione­n. CDU und Grüne könnten eine Regierung bilden. Es wäre eine Regierung der Wahlgewinn­er von Nordrhein-Westfalen. Die andere Option wäre eine Ampel. Das wäre allerdings eine Koalition von zwei Verlierern und einer Gewinnerpa­rtei. Motiv für so eine Konstellat­ion könnte vor allem die Bundespoli­tik sein. Bei der SPD deuteten einige an, dass sie es gerne mit einer Ampel in Düsseldorf probieren würden.

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Die Grünen-Spitzenkan­didatin Mona Neubaur und ihr NRW-Landesvors­itzender Felix Banaszak können am Wahlabend feiern.
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Die SPD fährt in ihrem einstigen Stammland NRW bei der Landtagswa­hl ihr historisch schlechtes­tes Ergebnis ein.

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