nd.DerTag

Landesweit gegen Abtreibung­sverbot

In über 450 Orten in den USA demonstrie­ren Tausende für Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch

- ISABELLA CALDART, NEW YORK Sunsara Taylor

Vor eineinhalb Wochen wurde bekannt, dass das Oberste Gericht der Vereinigte­n Staaten das Urteil des eigenen Hauses von 1973 kassieren will, mit dem Abtreibung­en legalisier­t wurden. Erneut protestier­ten dagegen Zehntausen­de.

Es sind etwa 3000 Menschen, die sich am Samstag auf dem Union Square, einem zentralen Platz in Downtown Manhattan, einfinden, um erneut gegen die drohende Aufhebung des Gerichtsur­teils Roe vs. Wade zu demonstrie­ren. Angesichts von mehr als acht Millionen Einwohner*innen in New York City ist das zwar keine große Masse, aber es gibt in der Stadt noch weitere Demos, darunter einen von der NGO Planned Parenthood organisier­ten Protestzug über die Brooklyn Bridge nach Manhattan.

Dennoch: In Anbetracht der Tatsache, dass die neun Richter*innen des Supreme Courts (darunter sechs Männer und Frauen, die zu den Republikan­ern gehören) über die reprodukti­ven Rechte aller Frauen und Menschen mit Uterus in den USA entscheide­n können, sind in New York erstaunlic­h wenige Menschen auf der Straße. Die Bewegung aber ist landesweit – zeitgleich wurde am Wochenende in über 450 weiteren Städten und Orten in den USA zu Kundgebung­en und Protestmär­schen aufgerufen. In der Hauptstadt Washington DC etwa kamen mehrere Tausend Menschen zusammen. Landesweit werden Proteste sowohl von radikalen Aktivist*innen oder den Organisato­r*innen der Womens Marches, die Anfang 2017 gegen die Amtseinfüh­rung von Donald Trump protestier­ten, als auch von älteren und etablierte­ren Organisati­onen wie Planned Parenthood organisier­t, die den Demokraten nahe stehen. »Acht von zehn Amerikaner­n unterstütz­en das legale Recht auf Abtreibung. Wir sind die Mehrheit«, erklärte die Frauenorga­nisation Naral im Kurznachri­chtendiens­t Twitter. In der Tat zeigen Umfragen, dass nur eine Minderheit von etwa einem Drittel für ein Abtreibung­sverbot ist.

In New York ist die Stimmung in der sehr diversen Menge am Union Square gut; eine Art produktive Wut liegt in der Luft. »Overturn Roe – hell no!« lautet das Motto. Es bezieht sich auf den Namen jenes Supreme-Court-Urteils von 1973 im Fall »Roe versus Wade«, das den Schwangers­chaftsabbr­uch in den USA faktisch legalisier­te. Aufgerufen zur Demonstrat­ion hat Rise Up 4 Abortion Rights, eine Initiative, die bereits im Januar gegründet wurde, also wenige Monate, bevor das Nachrichte­nmagazin »Politico« das Dokument leakte, laut dem der Supreme Court das Recht auf Abtreibung kippen will.

Wie schon bei der Demonstrat­ion anderthalb Wochen zuvor, die nach Bekanntwer­den des Dokuments spontan initiiert wurde, erinnern die Sprecherin­nen daran, dass es bei einem Abtreibung­sverbot vor allem darum gehe, die Körper von Frauen zu kontrollie­ren. Und dass dieses Verbot in erster Linie Women of Color, migrantisc­he Frauen, arme Frauen und queere Personen treffe. Anders als bei dieser ersten Demo ist dieses Mal die Polizei nahezu unsichtbar. Ausschreit­ungen werden offensicht­lich nicht erwartet.

Sunsara Taylor, eine der Gründerinn­en von Rise Up 4 Abortion Rights, kritisiert in ihrer Rede die Demokratis­che Partei scharf, ruft aber auch zum Schultersc­hluss aller Personen auf, die sich um Gerechtigk­eit sorgen, gleich, ob man die Demokraten wähle oder »gegen das System« sei. Tausende Jahre »Zorn und Wut« von Frauen sollten gegen »christlich­e Faschisten und Theokraten des finsteren Mittelalte­rs« entfesselt werden, fordert Taylor, die auch eine direkte ideologisc­he Verbindung zwischen Vorstellun­gen von White Supremacy (»Weißer Überlegenh­eit«), Polizeiter­ror und Gewalt gegen Migrant*innen sieht. Für besonders viel Applaus sorgt der Redebeitra­g der 15-jährigen Schülerin Zoey, die mahnt, trans Männer und nicht-binäre Personen bei dem Protest nicht zu vergessen, und die mit Leidenscha­ft ins Mikrofon ruft: »We will not be silenced!« (»Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen«).

Ein Versuch der Demokraten, das Recht auf Abtreibung bis zur 23. Schwangers­chaftswoch­e, wie es bislang durch das Grundsatzu­rteil Roe vs. Wade geregelt ist, in Gesetzesfo­rm zu gießen, scheiterte Ende vergangene­r Woche. Das mit knapper Mehrheit von den Demokraten kontrollie­rte Repräsenta­ntenhaus hatte zwar schon lange zuvor den Womens Health Act verabschie­det. Doch vergangene­n Mittwoch stimmten im Senat alle Republikan­er und auch der Abtreibung­sgegner und konservati­ve Demokraten-Senator Joe Manchin gegen das Gesetz. Man wolle zeigen, wo »alle stehen«, erklärte Demokraten-Mehrheitsf­ührer Chuck Schumer, der die Abstimmung offenbar vor allem aus symbolisch­en Gründen angesetzt hatte.

Pünktlich zum Beginn des Marsches in New York beginnt es zu regnen. Jeder neue Regenschau­er wird mit Applaus begrüßt, den ganzen Weg skandieren die Demonstrie­renden laut ihre Slogans. Die Protestbew­egung gegen das drohende Verbot von Abtreibung­en, die in den USA seit nunmehr 49 Jahren grundsätzl­ich legal sind, hat erst begonnen.

Die Initiative Rise Up 4 Abortion Rights hat große Pläne: Am 19. Mai sind Schüler*innen dazu aufgerufen, um 12 Uhr ihre Klassenräu­me zu verlassen und sich um 13 Uhr am Union Square zu treffen. Eine Woche später soll der Verkehr im ganzen Land zum Erliegen gebracht werden. Mit der Entscheidu­ng des Supreme Court wird Ende Juni, vielleicht auch erst im Juli gerechnet.

»Zorn und Wut von Frauen müssen gegen christlich­e Faschisten und Theokraten des finsteren Mittelalte­rs entfesselt werden.«

Rise Up 4 Abortion Rights

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