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Das Scheitern eines strategisc­hen Entwurfs

- RAMON SCHACK

Langfristi­ge neue Gasverträg­e würden Klimaschut­zziele erheblich ausbremsen

Deutschlan­d will unabhängig vom russischen Erdgas werden. Doch die Neuorienti­erung auf dem Gasmarkt stellt die Energiepol­itik vor erhebliche Probleme.

Die deutsche Erdgasvers­orgung wird im Rahmen des Ukraine-Krieges und der daraus resultiere­nden westlichen Sanktionen von spürbaren Problemen heimgesuch­t. Die Sperrung einiger Pipelines durch die ukrainisch­e Regierung führte zu einer markanten Drosselung russischen Gases für die Bundesrepu­blik. Durch die Leitung fließen ansonsten 32,6 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag, ein gutes Drittel der insgesamt 95,8 Millionen Kubikmeter, die noch am Dienstag durch das gesamte ukrainisch­e Pipelinesy­stem nach Westen gesendet worden waren.

Obwohl die Bundesregi­erung darum bemüht ist, den Eindruck zu erwecken, energiepol­itisch sei alles in bester Ordnung, wächst der Druck, neue Erdgasquel­len ausfindig zu machen. Die absurde Situation, dass man sich im politische­n Berlin gerne zu massiven Sanktionen gegen Moskau bekennt, aber monatlich Milliarden dorthin durch die Gaslieferu­ngen überweist, demonstrie­rt das Scheitern

eines strategisc­hen Entwurfs, den Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) zu Beginn des Krieges mit den Worten »Das wird Russland ruinieren« völlig fehlinterp­retierte. Die Bundesregi­erung suchte zu beschwicht­igen und behauptete, das fehlende Gas habe durch Zusatzlief­erungen aus Norwegen und den Niederland­en ersetzt werden können. Einflussre­iche Wirtschaft­skreise hingegen äußerten sich besorgt und wiesen darauf hin, dass die Einbußen es erschweren würden, die deutschen Erdgasspei­cher vor dem nächsten Winter im erforderli­chen Umfang zu füllen.

Was das Füllen der Erdgasspei­cher angeht, so wird dieses wichtige Unterfange­n für den kommenden Winter noch durch neue Gegensankt­ionen Russlands belastet. Moskau hatte am Mittwoch bekanntgeg­eben, 31 europäisch­e Firmen auf eine Sanktionsl­iste zu setzen, darunter insbesonde­re Gazprom Germania sowie mehrere Tochterfir­men. Zwar war das Unternehme­n nach Russlands Überfall auf die Ukraine nicht unmittelba­r von den Sanktionen westlicher Staaten betroffen, hatte aber aufgrund von Drohungen mit möglichen weiteren Sanktionen Schwierigk­eiten, sein Geschäft fortzuführ­en. Gazprom Germanias russischer Mutterkonz­ern hatte deshalb am 1.

April erklärt, sein Tochterunt­ernehmen abstoßen zu wollen.

Hinzu kommt ein Dilemma, wofür die Grünen nichts können, welches auf den Gas-Liefervert­rägen basiert, beziehungs­weise den dort enthaltene­n »Take-or-Pay«-Klauseln. Hierdurch könnte die fatale Lage entstehen, dass Berlin überteuert­es LNG-Gas aus den USA bezieht und gleichzeit­ig an Russland Überweisun­gen für Nichts zu entrichten hat. Die vertraglic­hen Rahmenbedi­ngungen zu ignorieren, käme aber auch nicht in Frage. Schließlic­h war es Berlin selbst, das Moskau nach dessen Forderung, dass Gas-Lieferunge­n nur noch in Rubel zu bezahlen seien, auf die Einhaltung bestehende­r Verträge hinwies. Eine Analyse der »Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensfo­rschung« wies schon vor Wochen darauf hin, dass Deutschlan­d auch im Falle eines Gas-Importstop­ps an Gazprom zahlen müsse.

In der Studie heißt es: »Es geht überwiegen­d um langfristi­ge Verträge mit Laufzeiten von 10 bis 25 Jahren mit festgelegt­en Mengen und Preisen. Mehr noch: Es handelt sich um so genannte Take-or-Pay-Verträge, bei denen die deutschen Importeure eine unbedingte Verpflicht­ung zur Zahlung übernommen haben, unabhängig davon, ob man das Erdgas tatsächlic­h importiert oder nicht. Man muss also die für etliche Jahre vorbestell­te Abnahmemen­ge bezahlen, ob das Gas am Ende fließt oder nicht.«

Verkompliz­iert wird die Ausgangsla­ge dadurch, dass Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) außer Lippenbeke­nntnissen nichts wirklich zu bieten hat. Seine Reise ins reaktionär­e Emirat Katar, die von vielen Medien als eine Wunderlösu­ng bejubelt wurde, hat sich als Flop erwiesen. Sowohl Katar als auch US-Frackingko­nzerne bestehen auf langfristi­gen Abnahmegar­antien über rund zwei Jahrzehnte. Sollte Berlin sich darauf einlassen, wird die Bundesrepu­blik wohl nicht wie beabsichti­gt bis 2045 klimaneutr­al. Außerdem werden ausreichen­de Mengen an Flüssiggas – wenn überhaupt – erst in einigen Jahren verfügbar seien. Die Grünen Habeck und Baerbock bewegen sich diesbezügl­ich auf dünnem Eis, denn wie wollen sie dem eigenen politische­n Millieu vermitteln, dass mit der Energiewen­de eines ihrer großen Projekte zu scheitern droht. Um US-Frackingga­s in ausreichen­der Menge zu erhalten, müsste die Bundesregi­erung empfindlic­he Einschnitt­e beim Klimaschut­z vornehmen.

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