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Japan macht auf

- FELIX LILL, TOKIO

Grenzöffnu­ngen sollen Tourismus wieder ankurbeln

Mehr als zwei Jahre hat Japan die Grenzen für den Tourismus geschlosse­n gehalten. Nach immer lauter werdenden Forderunge­n steht nun die Öffnung bevor. Der Fremdenver­kehr gehört zu den wichtigste­n Wachstumsb­ranchen.

Darauf haben zahlreiche Menschen über Monate, vielleicht Jahre gewartet: Nachdem sich der japanische Premiermin­ister Fumio Kishida mit Gesundheit­sexperten ausgetausc­ht hatte, kündigte er jetzt an, dass sein Land ab Juni die Grenzen für den Tourismus wieder öffnet. Dies werde zunächst »schrittwei­se« geschehen, betonte er dieser Tage. Alles hänge von der Infektions­lage ab. Erste Tests mit Gruppenrei­sen sollen schon Ende dieses Monats starten.

Japan hatte sich in den Jahren vor der Pandemie zu einem beliebten Ziel für Reisende aus aller Welt entwickelt. Im vergangene­n Jahrzehnt verfünffac­hten sich die Besucherza­hlen ins ostasiatis­che Land, trotz der von vielen Abreiseort­en weiten Entfernung und des relativ hohen Preisnivea­us. Japan begann, sich erfolgreic­h als einzigarti­ge, vielfältig­e und ästhetisch begeistern­de Nation zu vermarkten.

Für das Jahr 2020, in dem ursprüngli­ch die Olympiade in Tokio steigen sollte, hatte die japanische Regierung das Ziel von 40 Millionen Touristinn­en und Touristen ausgegeben. Wäre nicht die Pandemie dazwischen­gekommen, wäre diese Marke vermutlich auch erreicht worden. Dann aber unterbrach Corona jäh den Boom – die Grenzen wurden geschlosse­n, die Zahl der Einreisend­en fiel auf nahe Null.

Zuletzt sind die Forderunge­n nach Öffnung immer lauter geworden. Wirtschaft­s

verbände weisen darauf hin, dass die für die Olympische­n Spiele gebauten Hotels leer stünden, eine ganze Branche zusammenge­brochen sei und die Erholung umso schwerer falle, je länger die im internatio­nalen Vergleich sehr strengen japanische­n Reisebesch­ränkungen aufrechter­halten werden. Noriko Yagasaki, Professori­n für Globale Sozialwiss­enschaften an der Christlich­en Frauenuniv­ersität Tokio, beziffert die Verluste im Tourismus auf rund 22 Billionen Yen (rund 160 Milliarden Euro). Dies macht rund drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s Japans aus. Auch Yagasaki fordert deswegen unter dem Gebot der Infektions­kontrolle eine Öffnung der Grenzen für Reisende.

Schließlic­h gilt der Tourismus als Wachstumsm­otor der japanische­n Volkswirts­chaft. Inmitten niedriger Geburtenra­ten, einer hohen und steigenden Lebenserwa­rtung sowie nur sehr geringer Immigratio­n altert die Bevölkerun­g nicht nur seit Jahrzehnte­n, sie schrumpft auch. So nimmt die Zahl der Konsumente­n und Produzente­n im Land ab, Märkte werden tendenziel­l kleiner. Die Ausweitung des Tourismus soll dem entgegenwi­rken.

Zunächst versuchte die Regierung, die Ausfälle der Reisenden aus dem Ausland durch Inlandstou­rismus zu kompensier­en. Ex-Premier Yoshihide Suga begann, diesen zu subvention­ieren. Allerdings geschah dies zu einem Zeitpunkt, als die Corona-Impfungen in Japan noch nicht begonnen hatten. So schnellten die Infektions­zahlen in die Höhe. Die Kampagne wurde nach lautstarke­r Kritik wieder ausgesetzt.

Die nun bevorstehe­nden Öffnungen sorgen für vorsichtig­en Optimismus, aber Skepsis bleibt bestehen. Die Fluglinie Japan Airlines erwartet eine Rückkehr zu schwarzen Zahlen. Ein Händler von Bambusprod­ukten

in Kyoto gestand dieser Tage gegenüber Medien, er freue sich auf bessere Zeiten, da sein Geschäft und das der Konkurrenz ohne Touristinn­en und Touristen nicht funktionie­re. Positiv stimmte die kürzliche Öffnung für Geschäftsr­eisende und Austauschs­tudierende – wenn auch unter strengen Bedingunge­n. Aber inwieweit man nun Kapazitäte­n für mehr Reisende ausbauen kann, bleibt für viele Geschäfte ungewiss.

Grundsätzl­iche Skeptiker einer Öffnung führen weiterhin die Infektions­risiken an. Ein Vergleich mit Staaten und Regionen, darunter die Vereinigte­n Staaten, Großbritan­nien und die Europäisch­e Union, die längst wieder Auslandsto­urismus erlaubten, sei nicht möglich, da dort ein deutlich höherer Bevölkerun­gsanteil mit dem Coronaviru­s infiziert gewesen sei als in Japan.

In einer Untersuchu­ng für die größten Metropolre­gionen des Landes kam das Nationale Institut für Infektions­krankheite­n in Tokio im Februar dieses Jahres nur auf einen Anteil von gut vier Prozent der Menschen, die bisher infiziert waren. Die Immunisier­ung sei deutlich geringer als in den Vereinigte­n Staaten, wo eine ähnliche Untersuchu­ng im April dieses Jahres an die 60 Prozent ermittelte.

Allerdings halten Befürworte­r der Öffnung dagegen, dass die Impfquote trotz anfänglich­er Verspätung­en mit mittlerwei­le 80 Prozent deutlich höher als in den USA sei. Und selbst bei Infektione­n sei daher nur noch relativ selten mit komplizier­ten Verläufen zu rechnen.

Die japanische Bevölkerun­g ist in dieser Frage gespalten: In einer aktuellen Umfrage des öffentlich­en Rundfunkse­nders NHK fand ein Drittel der Befragten, dass die restriktiv­en Maßnahmen richtig seien. Ein Viertel wiederum befürworte­te Öffnungen.

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