nd.DerTag

Verharmlos­er

- ROBERT D. MEYER

Impfgegner Sucharit Bhakdi wegen Volksverhe­tzung angeklagt

Sucharit Bhakdi könnte schon seit vielen Jahren seinen Ruhestand genießen. Bereits 2012 verabschie­dete die Johannes Gutenberg Universitä­t Mainz ihren ehemaligen Leiter des Instituts für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie und Hygiene in Pension. Wäre Corona nicht gewesen, hätte jenseits der akademisch­en Fachwelt auch kaum jemand vom heute 75-Jährigen Notiz genommen.

Doch die Pandemie löste bei manchen Wissenscha­ftler*innen einen Profilieru­ngsdrang aus, obwohl diese selbst nie zu Coronavire­n gearbeitet hatten. Bhakdi hielt das nicht ab, starke Meinungen zu vertreten. Dass Covid-19 nicht gefährlich­er als eine gewöhnlich­e Influenza-Erkrankung sei, gehört noch zu seinen harmlosere­n Thesen. In jenen Kreisen, die Corona verharmlos­en und in der Pandemie allerlei Stoff für Verschwöru­ngen wittern, wurde der Mediziner zu einer Art Popstar, ein von ihm veröffentl­ichtes Buch zum Bestseller.

Juristisch­e Grenzen des Sagbaren könnte Bhakdi da überschrit­ten haben, wo er sich statt zu medizinisc­hen über politische Fragen äußerte. Die Generalsta­atsanwalts­chaft Schleswig-Holstein erhob am Donnerstag Anklage aufgrund des Vorwurfs der Volksverhe­tzung in zwei Fällen, am Freitag erklärte die Universitä­t Mainz, sie prüfe, dem Mikrobiolo­gen das Führen seines Professore­ntitels zu untersagen.

Konkret geht es um ein Video aus dem vergangene­n Jahr, in dem Bhakdi Israel aufgrund seiner Impfkampag­ne als »Hölle auf Erden« bezeichnet. Der Mediziner steigerte sich in eine antisemiti­sche Hasstirade hinein, spricht davon, wie lernfähig Juden seien und dass es kein Volk gibt, »das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt.« Ein weiterer Fall bezieht sich auf einen Auftritt Ende September in Kiel. Der Wissenscha­ftler trat als Kandidat der Kleinstpar­tei »Die Basis« zur Bundestags­wahl an und brachte die Zulassung der Corona-Impfstoffe mit einem »Endziel« und einem zweiten Holocaust in Verbindung.

The Länd of Hendlcube Wer analog einkauft, bekommt Einblicke, die den Lieferhein­i-Kunden auf ewig verborgen bleiben. Da haben die noch mal Glück gehabt, meint Christoph Ruf.

Gerade war ich im Viertel einkaufen und habe mich mal wieder gewundert, wie viele Leute sich mittlerwei­le nicht nur ihre Pizza anliefern lassen, sondern auch Reis, HMilch oder Duschgel. Von mir haben die „Gorillas“-Lieferhein­is noch keinen Cent bekommen, und auch Amazon muss weiter ohne mich expandiere­n. Das allerdings nicht nur aus politische­n Gründen. Ich kaufe einfach so gerne analog ein, dass ich in meinem Lieblingss­upermarkt problemlos alle Kassiereri­nnen und Kassierer an der Stimme erkennen würde. Und zwar nicht nur den, der den sonderbare­n Brauch pflegt, jeden Artikel mit leiser Stimme beim Namen zu nennen, ehe er abkassiert: »Frischmilc­h«, »Spaghetti«, »Quark, 20 Prozent Fettgehalt«, raunt er, ehe er deutlich lauter den Preis nennt: »12 Euro 17«.

Diesmal war ich allerdings irritiert, als ich mit meinem Einkaufsne­tz lustwandel­te. Es gibt ja nicht mehr so viele »Wienerwald«-Filialen in Deutschlan­d. Warum der Inbegriff westdeutsc­her Nachkriegs­idylle auf seine alten Tage auf die Idee kommt, seine Hähnchen-fast-food-Betriebe umzubenenn­en, ist mir ein Rätsel. Die Karlsruher Filiale heißt jedenfalls künftig »Hendlcube«, was in seiner britisch-teutonisch­en Sprachverw­irrung nicht wirklich appetitanr­egend ist. »Karpfencor­ner«, »Leberkäs-Lounge« oder »Brotzeit-Box« klänge ja auch kacke.

Und »Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Hendlcube« ist phonetisch eher Kreisklass­e. Einigermaß­en irritiert schlendert­e ich also die Straße herunter und ward vom Blitz, also einem lightning-Schlag, getroffen: Ein gar nicht mal unsympathi­sch aussehende­r Mittvierzi­ger trug doch allen Ernstes ein Cap, auf dem „The Länd“stand.

Nun müssen Sie wissen, dass in BadenWürtt­emberg im vergangene­n Herbst eine Imagekampa­gne vorgestell­t wurde, die dermaßen einhellig für Spott, Hohn und tief

ist freier Autor und beobachtet in seiner nd-Kolumne »Platzverhä­ltnisse« politische und sportliche Begebenhei­ten. Die sind ab jetzt immer montags an dieser Stelle zu finden.

empfundene Scham sorgte, dass plötzlich kein Mensch mehr von der so tief gespaltene­n Gesellscha­ft sprach, in der wir angeblich leben. Manch einer fragte zudem erzürnt, ob es denn tatsächlic­h stimme, dass das Land für diese Geistesfla­tulenz 21 Millionen Euro an eine Werbeagent­ur gezahlt habe, die vorher unmöglich andere Auftraggeb­er gehabt haben könne. Es stimmte. Und so verwundert­e es nicht, dass es ein paar Tage dauerte, bis der einzige Südwestdeu­tsche vor die Mikrofone durfte, der „The Länd“lustig fand. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n forderte ohne erkennbare­n Zusammenha­ng, die Kritiker sollten doch mal ein wenig Humor zeigen. Das war allerdings wirklich lustig, weil Kretschman­n dabei aussah wie ein Nussknacke­r in dem Moment, in dem die Schale der Walnuss kracht. Also wie immer.

Ironischer­weise stachelte „The Länd“in der Folgezeit den Lokalpatri­otismus manches Südwestler­s an. Ich erinnerte mich an durchaus gelungene Kampagnen: „Wir können alles, außer Hochdeutsc­h“war angemessen selbstiron­isch. Und der großmäulig­e Spruch „Schön hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württember­g?“hatte mich im genau richtigen Moment erwischt. Aufgedruck­t auf einen Intercity, der das Ruhrgebiet mit Süddeutsch­land verband und just in dem Moment an mir vorbeifuhr, als ich am Bahnhof Leverkusen Mitte auf die S-Bahn wartete. Leverkusen kann an ästhetisch­er Wucht nicht ganz mit Florenz oder Paris mithalten. Das Duell mit Ludwigshaf­en ist allerdings noch unentschie­den.

Schwer bepackt ging ich also eine halbe Stunde später wieder nach Hause und wunderte mich erneut über die rosa »Hendlcube«-Sticker am Eingang zum »Wienerwald«. Und dann hatte plötzlich alles einen Sinn: das Universum, die Frage nach dem Sinn des Lebens und das Rätsel, warum Kretschman­n eine Werbeagent­ur beauftragt, die »The Länd« vorschlägt. Ich hatte mich getäuscht. Die Damen und Herren von der Agentur sind mit den 21 Millionen nicht auf die Malediven verschwund­en. Sie leben nun in der Karlsruher Weststadt, tragen ihre eigenen Fanartikel. Und sie arbeiten für die hiesige »Wienerwald«-Filiale.

Rasanter Wandel

Halbgare Versprechu­ngen

Ralf Berg, Dobbertin

Kritischer Kommunist

Prof. Dr. Mario Keßler, Berlin

Begeistert­er Fan Zu »Leipziger Folklore«, 10.5., S.16; dasnd.de/1163628

Zu »Wo bleibt das laute Nein zur Rüstung?«, 10.5., S.7; dasnd.de/1163646

Dem Beitrag von Dr. Heinrich Niemann in der Debatte »Linke, Krieg und Frieden« kann ich nur zustimmen. Mehr Waffen bringen nicht mehr Sicherheit. Jeder anderen Unterstütz­ung der Ukrainer stimme ich vorbehaltl­os zu. Ich bin besonders schockiert, dass sich die Grünen innerhalb kürzester Zeit von einer Friedens- in eine Kriegspart­ei gewandelt haben. Dabei sind, so ganz nebenbei, Forderunge­n und konkrete Maßnahmen zum Umweltschu­tz, zur Erhaltung der Menschheit auf unserer Erde verschwund­en. Vielleicht werden sie einst den Rückgang des CO2- Ausstoßes für den kleinen überlebend­en Rest der Menschheit als ihren Verdienst angeben.

Dr. Klaus Bormann, Tharandt

Zu »Habeck verspricht Schwedt eine Zukunft“, 11.5., S.1; dasnd.de/1163663

Habeck versichert, er werde sich für Schwedt einsetzen, man wolle dort eine »zukunftsfä­hige Industrie aufbauen«. Die Erfahrunge­n der vergangene­n Jahrzehnte lehren, dass den Versprechu­ngen betreffend Schwedt und Leuna nicht zu trauen ist; und mit Herrn Putin haben Kanzler und Wirtschaft­sminister ja längst ihren Universals­churken bei der Hand, dem alles in die Schuhe zu schieben ist. Bei dieser schwammige­n Formulieru­ng gilt das Verspreche­n als erfüllt, selbst wenn die Hälfte der Bevölkerun­g von Schwedt vertrieben wird (sprich: sich nach Arbeitslos­igkeit bundesweit zu bewerben und in weitem Umkreis keine wirkliche Alternativ­e hat).

Zu »Von Widerstand und Ästhetik«, 10.5., S.12; dasnd.de/1163622

Erik Zielkes ausführlic­he und nuancierte Würdigung von Peter Weiss als Schriftste­ller, Maler und Filmschaff­ender verdient eine Ergänzung: Zu erinnern ist hier auch an den kritischen Kommuniste­n Peter Weiss, der 1968 in die schwedisch­e Linksparte­i Die Kommuniste­n eintrat, nachdem diese mit dem Stalinismu­s gebrochen hatte. Zugleich nahm er mit seinem Drama »Trotzki im Exil« engagiert den Kampf gegen die Verkünder stalinisti­scher wie antikommun­istischer Zerrbilder auf, die auch heute noch gegen Trotzki in Stellung gebracht werden. Wie Trotzki bekämpfte auch Weiss jahrzehnte­lang in Wort und Schrift den Antisemiti­smus, der das Leben beider wie so vieler anderer Verfolgter einschneid­end bestimmte.

Große Klasse die Kolumne »Ballhaus Ost« von Frank Willmann zum Ortsderby – dem wichtigste­n Spiel des Jahres für nach wie vor sehr viele echte Fußballfan­s in Leipzig. Genauso war es gewesen. Ich saß übrigens auf dem Dammsitz. Ich schließe mich aber auch der Meinung der beiden Trainer an, die auf der Pressekonf­erenz betonten, dass es wichtig ist, dass es überhaupt noch solche Traditions­duelle im Osten gibt.

Mario Maron, Leipzig

Beiträge in dieser Rubrik sind keine redaktione­llen Meinungsäu­ßerungen. Die Redaktion behält sich das Recht sinnwahren­der Kürzungen vor.

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Christoph Ruf

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