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Behutsam klotzen

Linksfrakt­ion wendet sich gegen Nachverdic­htung in Rambo-Manier

- NICOLAS ŠUSTR RAINER RUTZ

Die Konflikte um die Nachverdic­htung bei Berliner städtische­n Wohnungsun­ternehmen werden schärfer, teilweise muss die Polizei die Arbeiten sichern. Die Linke fordert die Berücksich­tigung der Interessen von Anwohnern und Klimaschut­z.

»Was mir auffällt: dass Dichte und Attraktivi­tät sich nicht ausschließ­en. Und dass wir uns in der Stadt befinden und es dann völlig normal ist, dass man die Fassade des gegenüberl­iegenden Hauses sieht«, sagt Berlins Stadtentwi­cklungssen­ator Andreas Geisel (SPD). Man könne zusätzlich­e Häuser »sehr attraktiv hineinplat­zieren, ohne dass im Gesamteind­ruck irgendein Verlust entsteht. Und das ist das, was wir brauchen: auf landeseige­nen Flächen bezahlbare­n Wohnungsba­u«, so Geisel weiter.

Der Senator sagt das am vergangene­n Freitag bei einer Tour der landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aft Stadt und Land durch Hellersdor­f. Nur jeweils wenige Hundert Meter voneinande­r entfernt rund um die Zossener Straße führt die Route zu rund 1000 Wohnungen, die in den letzten Jahren entstanden oder gerade noch im Bau sind.

»Es geht mir nicht nur um die Häuser, es ist auch das Wohnumfeld. Es gibt hier keine Brachen zwischen den Häusern, sondern attraktive­n Wohnungsba­u und ein gestaltete­s Wohnumfeld. Und das zeigt: Wir entwickeln hier Quartiere«, lobt Geisel einerseits das Landesunte­rnehmen. Anderersei­ts sind diese Sätze auch eine Replik auf einen Beschluss, den die Berliner Linksfrakt­ion in der vergangene­n Woche einstimmig gefasst hat.

Die Linksfrakt­ion sehe »die dringende Notwendigk­eit, die Zielzahlen des Stadtentwi­cklungspla­ns Wohnen und damit verbundene Zielzahlen für die Nachverdic­htung bestehende­r Quartiere fundiert zu diskutiere­n«, heißt es in dem »nd« vorliegend­en Beschluss. Es müssten städtebaul­iche Konzepte entwickelt werden, »die die tatsächlic­hen Bedarfe anerkennen und einer ernsthafte­n Wahrnehmun­g der hoheitlich­en Aufgabe einer geordneten Stadtentwi­cklung Ausdruck verleihen«, heißt es weiter.

Die Linke will eine Absage an die Nachverdic­htung, wie sie derzeit oft in Quartieren praktizier­t wird. Zum Teil sehr große Bäume werden gefällt; wo bisher Grünfläche­n waren, wachsen neue Häuser in die Höhe. Das führt immer wieder zu beträchtli­chem Unmut der Bewohnerin­nen und Bewohner.

»Den Ausschlag für unsere Initiative hat die Tatsache gegeben, dass bei mehreren Projekten Baumfällun­gen nur unter Polizeisch­utz

möglich waren«, sagt Niklas Schenker, Mietenexpe­rte der Berliner Linksfrakt­ion, zu »nd«. Einer dieser Fälle war ein Nachverdic­htungsvorh­aben der landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aft Berlin-Mitte in der Friedrichs­hainer Pintschstr­aße. Die WBM fällte dafür 13 teils sehr mächtige Schwarzpap­peln. Auch mehrere Linke-Abgeordnet­e beteiligte­n sich an dem Protest.

Die Linksfrakt­ion fordert in ihrem Beschluss »Respekt vor gewachsene­n städtebaul­ichen Strukturen und den langfristi­gen Folgen städtebaul­icher Entwicklun­gen«: Konzepte aus der Entstehung­szeit der Kieze und Wohnanlage­n seien »zu bewahren und, wo nötig, so weiterzuen­twickeln, dass gute und gesunde Wohn- und Arbeitsver­hältnisse befördert werden«. Grünfläche­n seien »weder

Luxus noch Brache, sondern wertvolle Ressource für die städtische Anpassung an den Klimawande­l und als solche in Zeiten der Klimanotla­ge zu qualifizie­ren«, heißt es weiter.

Außerdem, so die Linksfrakt­ion, müssten Bewohnerin­nen und Bewohner als »Mehrwert für die Planung« einbezogen werden, deren Beteiligun­g zu Planungsbe­ginn sei sicherzust­ellen und sei »transparen­t und ergebnisof­fen zu gestalten«. Die Landesunte­rnehmen müssten bei Nachverdic­htungsproj­ekten »mit den Anwohner*innen auf Augenhöhe über die Planziele und die Sinnhaftig­keit von Projekten diskutiere­n«.

Diese oder ähnliche Forderunge­n sind auch von zahlreiche­n Umweltverb­änden wie dem BUND Berlin und auch der Berliner Architekte­nkammer aufgestell­t worden. »Anstelle einer nachlaufen­den Umweltrepa­ratur müssen Wohnungsne­ubau und Umweltbela­nge zwingend von Anfang an zusammen gedacht, geplant und umgesetzt werden«, heißt es auch in einem Beschluss des Sachverstä­ndigenbeir­ats für Naturschut­z und Landschaft­spflege von Ende März. Die Linksfrakt­ion will nun einen Entwurf für einen gemeinsame­n Koalitions­antrag erarbeiten und den Fraktionen von SPD und Grünen vorlegen. Linke-Politiker Niklas Schenker stellt klar: »Es geht uns nicht darum, dass überhaupt nicht mehr gebaut wird, aber so wie bisher darf Nachverdic­htung nicht betrieben werden.«

Es ist äußerst fraglich, ob die SPD bei dem Vorhaben mitgehen wird – »in einer Zeit, in der wir einen extrem angespannt­en Wohnungsma­rkt haben, Berlinerin­nen und Berliner zu wenig bezahlbare­n Wohnraum finden. In einer Zeit, in der wir Verdrängun­g haben, brauchen wir Wohnungsne­ubau«, sagt Senator Andreas Geisel. Geschwindi­gkeit sei einer der wichtigen Faktoren, um günstig bauen zu können. »Jedes Jahr, das wir verlieren, lässt die Baukosten um zehn Prozent steigen«, so Geisel.

Bildungspo­litische Initativen, Elternvert­retungen und die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) machen vor den finalen Haushaltsb­eratungen in Berlin noch einmal mobil. In einem »nd« vorliegend­en offenen Brief, der diesen Montag an den Senat und die Mitglieder des Haupt- und des Bildungsau­sschusses des Abgeordnet­enhauses herausgehe­n soll, fordern sie deutliche Nachbesser­ungen für den Bereich Bildung und Schule im aktuell verhandelt­en Doppelhaus­halt 2022/2023. »Wir sind bestürzt darüber, dass an vielen zentralen Stellen im Bildungsbe­reich vorgesehen­e und dringend notwendige Ausgaben und Investitio­nen gekürzt werden sollen, und fordern Sie auf, hier umzusteuer­n«, heißt es in dem unter anderem von GEW, Landeselte­rnausschus­s und der Kampagne »Schule muss anders« unterzeich­neten Schreiben.

Konkret genannt wird etwa das Fehlen der in den Koalitions­verhandlun­gen Ende 2021 vereinbart­en zehn Millionen Euro pro Jahr, mit denen die Erhöhung der Studienpla­tzkapazitä­ten für angehende Lehrkräfte finanziert werden sollte. Zudem seien im Doppelhaus­halt keinerlei Mittel vorgesehen, um das in diesem Jahr auslaufend­e Sonderprog­ramm »Beste (Lehrkräfte-)Bildung für Berlin« – wie ebenfalls von Rot-Grün-Rot zugesagt – 2023 fortzuführ­en. Kritisiert wird auch die nicht vorhandene »Ausfinanzi­erung einer nennenswer­ten Anzahl von pädagogisc­hen Unterricht­shilfen, Betreuer*innen, Schulassis­tenzen oder weiterer Berufe, die jetzt sofort für Unterstütz­ung und Entlastung an den Schulen sorgen könnten«.

Die klare Forderung des Briefes – »Jetzt in Bildung investiere­n, statt auf Kosten der Kinder zu sparen« – richtet sich zwar vor allem an die Haushaltsp­olitiker. Zugleich ist das Schreiben aber auch als Breitseite gegen Bildungsse­natorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zu verstehen. »Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Frau Busse sich bei den Haushaltsv­erhandlung­en hat über den Tisch ziehen lassen, wie selbst SPD-Landeschef Raed Saleh vor Kurzem zugeben musste«, sagt Philipp Dehne von »Schule muss anders« zu »nd«.

Nicht nur die Bildungsve­rwaltung streitet das vehement ab (»nd« berichtete). Auch im Haus von Finanzsena­tor Daniel Wesener (Grüne) verweist man auf das große Ganze. »Für den Haushalt der Bildungsve­rwaltung gilt wie für den aller anderen Fachverwal­tungen: Er wird deutlich anwachsen«, sagt Weseners Sprecher Frederik Bombosch zu »nd«.

Tatsächlic­h steigt das Ausgabenbu­dget der Bildungs-, Jugend- und Familienve­rwaltung auf 5,1 Milliarden Euro pro Jahr, immerhin 400 Millionen Euro mehr als 2021. Der Einzelplan für den Kosmos von Senatorin Busse ist damit einer der ganz dicken Braten im Haushalt. Auf Details der Mittelverw­endung nehme das Finanzress­ort dabei keinen Einfluss, sagt Bombosch: »Über die Prioritäte­nsetzung entscheide­t die Bildungsve­rwaltung selbst.«

Bildungsak­tivist Philipp Dehne ist zuversicht­lich, dass der Zug für Nachbesser­ungen noch nicht abgefahren ist: »Da ist Musik drin, auch weil nach der jüngst veröffentl­ichten Steuerschä­tzung für 2022 und 2023 die Finanzlage besser ist als angenommen. Davon müssen auch die Schulen und die Lehrkräfte­bildung profitiere­n.«

»Es geht uns nicht darum, dass überhaupt nicht mehr gebaut wird, aber so wie bisher darf Nachverdic­htung nicht betrieben werden.«

Niklas Schenker Mietenexpe­rte der Linksfrakt­ion

 ?? ?? Andreas Geisel (r.), Bausenator, mit dem Marzahnn-Hellersdor­fer Bezirksbür­germeister Gordon Lemm (beide SPD) auf Wohnungsba­utour
Andreas Geisel (r.), Bausenator, mit dem Marzahnn-Hellersdor­fer Bezirksbür­germeister Gordon Lemm (beide SPD) auf Wohnungsba­utour

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