Behutsam klotzen
Linksfraktion wendet sich gegen Nachverdichtung in Rambo-Manier
Die Konflikte um die Nachverdichtung bei Berliner städtischen Wohnungsunternehmen werden schärfer, teilweise muss die Polizei die Arbeiten sichern. Die Linke fordert die Berücksichtigung der Interessen von Anwohnern und Klimaschutz.
»Was mir auffällt: dass Dichte und Attraktivität sich nicht ausschließen. Und dass wir uns in der Stadt befinden und es dann völlig normal ist, dass man die Fassade des gegenüberliegenden Hauses sieht«, sagt Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Man könne zusätzliche Häuser »sehr attraktiv hineinplatzieren, ohne dass im Gesamteindruck irgendein Verlust entsteht. Und das ist das, was wir brauchen: auf landeseigenen Flächen bezahlbaren Wohnungsbau«, so Geisel weiter.
Der Senator sagt das am vergangenen Freitag bei einer Tour der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land durch Hellersdorf. Nur jeweils wenige Hundert Meter voneinander entfernt rund um die Zossener Straße führt die Route zu rund 1000 Wohnungen, die in den letzten Jahren entstanden oder gerade noch im Bau sind.
»Es geht mir nicht nur um die Häuser, es ist auch das Wohnumfeld. Es gibt hier keine Brachen zwischen den Häusern, sondern attraktiven Wohnungsbau und ein gestaltetes Wohnumfeld. Und das zeigt: Wir entwickeln hier Quartiere«, lobt Geisel einerseits das Landesunternehmen. Andererseits sind diese Sätze auch eine Replik auf einen Beschluss, den die Berliner Linksfraktion in der vergangenen Woche einstimmig gefasst hat.
Die Linksfraktion sehe »die dringende Notwendigkeit, die Zielzahlen des Stadtentwicklungsplans Wohnen und damit verbundene Zielzahlen für die Nachverdichtung bestehender Quartiere fundiert zu diskutieren«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Beschluss. Es müssten städtebauliche Konzepte entwickelt werden, »die die tatsächlichen Bedarfe anerkennen und einer ernsthaften Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgabe einer geordneten Stadtentwicklung Ausdruck verleihen«, heißt es weiter.
Die Linke will eine Absage an die Nachverdichtung, wie sie derzeit oft in Quartieren praktiziert wird. Zum Teil sehr große Bäume werden gefällt; wo bisher Grünflächen waren, wachsen neue Häuser in die Höhe. Das führt immer wieder zu beträchtlichem Unmut der Bewohnerinnen und Bewohner.
»Den Ausschlag für unsere Initiative hat die Tatsache gegeben, dass bei mehreren Projekten Baumfällungen nur unter Polizeischutz
möglich waren«, sagt Niklas Schenker, Mietenexperte der Berliner Linksfraktion, zu »nd«. Einer dieser Fälle war ein Nachverdichtungsvorhaben der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte in der Friedrichshainer Pintschstraße. Die WBM fällte dafür 13 teils sehr mächtige Schwarzpappeln. Auch mehrere Linke-Abgeordnete beteiligten sich an dem Protest.
Die Linksfraktion fordert in ihrem Beschluss »Respekt vor gewachsenen städtebaulichen Strukturen und den langfristigen Folgen städtebaulicher Entwicklungen«: Konzepte aus der Entstehungszeit der Kieze und Wohnanlagen seien »zu bewahren und, wo nötig, so weiterzuentwickeln, dass gute und gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse befördert werden«. Grünflächen seien »weder
Luxus noch Brache, sondern wertvolle Ressource für die städtische Anpassung an den Klimawandel und als solche in Zeiten der Klimanotlage zu qualifizieren«, heißt es weiter.
Außerdem, so die Linksfraktion, müssten Bewohnerinnen und Bewohner als »Mehrwert für die Planung« einbezogen werden, deren Beteiligung zu Planungsbeginn sei sicherzustellen und sei »transparent und ergebnisoffen zu gestalten«. Die Landesunternehmen müssten bei Nachverdichtungsprojekten »mit den Anwohner*innen auf Augenhöhe über die Planziele und die Sinnhaftigkeit von Projekten diskutieren«.
Diese oder ähnliche Forderungen sind auch von zahlreichen Umweltverbänden wie dem BUND Berlin und auch der Berliner Architektenkammer aufgestellt worden. »Anstelle einer nachlaufenden Umweltreparatur müssen Wohnungsneubau und Umweltbelange zwingend von Anfang an zusammen gedacht, geplant und umgesetzt werden«, heißt es auch in einem Beschluss des Sachverständigenbeirats für Naturschutz und Landschaftspflege von Ende März. Die Linksfraktion will nun einen Entwurf für einen gemeinsamen Koalitionsantrag erarbeiten und den Fraktionen von SPD und Grünen vorlegen. Linke-Politiker Niklas Schenker stellt klar: »Es geht uns nicht darum, dass überhaupt nicht mehr gebaut wird, aber so wie bisher darf Nachverdichtung nicht betrieben werden.«
Es ist äußerst fraglich, ob die SPD bei dem Vorhaben mitgehen wird – »in einer Zeit, in der wir einen extrem angespannten Wohnungsmarkt haben, Berlinerinnen und Berliner zu wenig bezahlbaren Wohnraum finden. In einer Zeit, in der wir Verdrängung haben, brauchen wir Wohnungsneubau«, sagt Senator Andreas Geisel. Geschwindigkeit sei einer der wichtigen Faktoren, um günstig bauen zu können. »Jedes Jahr, das wir verlieren, lässt die Baukosten um zehn Prozent steigen«, so Geisel.
Bildungspolitische Initativen, Elternvertretungen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) machen vor den finalen Haushaltsberatungen in Berlin noch einmal mobil. In einem »nd« vorliegenden offenen Brief, der diesen Montag an den Senat und die Mitglieder des Haupt- und des Bildungsausschusses des Abgeordnetenhauses herausgehen soll, fordern sie deutliche Nachbesserungen für den Bereich Bildung und Schule im aktuell verhandelten Doppelhaushalt 2022/2023. »Wir sind bestürzt darüber, dass an vielen zentralen Stellen im Bildungsbereich vorgesehene und dringend notwendige Ausgaben und Investitionen gekürzt werden sollen, und fordern Sie auf, hier umzusteuern«, heißt es in dem unter anderem von GEW, Landeselternausschuss und der Kampagne »Schule muss anders« unterzeichneten Schreiben.
Konkret genannt wird etwa das Fehlen der in den Koalitionsverhandlungen Ende 2021 vereinbarten zehn Millionen Euro pro Jahr, mit denen die Erhöhung der Studienplatzkapazitäten für angehende Lehrkräfte finanziert werden sollte. Zudem seien im Doppelhaushalt keinerlei Mittel vorgesehen, um das in diesem Jahr auslaufende Sonderprogramm »Beste (Lehrkräfte-)Bildung für Berlin« – wie ebenfalls von Rot-Grün-Rot zugesagt – 2023 fortzuführen. Kritisiert wird auch die nicht vorhandene »Ausfinanzierung einer nennenswerten Anzahl von pädagogischen Unterrichtshilfen, Betreuer*innen, Schulassistenzen oder weiterer Berufe, die jetzt sofort für Unterstützung und Entlastung an den Schulen sorgen könnten«.
Die klare Forderung des Briefes – »Jetzt in Bildung investieren, statt auf Kosten der Kinder zu sparen« – richtet sich zwar vor allem an die Haushaltspolitiker. Zugleich ist das Schreiben aber auch als Breitseite gegen Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zu verstehen. »Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Frau Busse sich bei den Haushaltsverhandlungen hat über den Tisch ziehen lassen, wie selbst SPD-Landeschef Raed Saleh vor Kurzem zugeben musste«, sagt Philipp Dehne von »Schule muss anders« zu »nd«.
Nicht nur die Bildungsverwaltung streitet das vehement ab (»nd« berichtete). Auch im Haus von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) verweist man auf das große Ganze. »Für den Haushalt der Bildungsverwaltung gilt wie für den aller anderen Fachverwaltungen: Er wird deutlich anwachsen«, sagt Weseners Sprecher Frederik Bombosch zu »nd«.
Tatsächlich steigt das Ausgabenbudget der Bildungs-, Jugend- und Familienverwaltung auf 5,1 Milliarden Euro pro Jahr, immerhin 400 Millionen Euro mehr als 2021. Der Einzelplan für den Kosmos von Senatorin Busse ist damit einer der ganz dicken Braten im Haushalt. Auf Details der Mittelverwendung nehme das Finanzressort dabei keinen Einfluss, sagt Bombosch: »Über die Prioritätensetzung entscheidet die Bildungsverwaltung selbst.«
Bildungsaktivist Philipp Dehne ist zuversichtlich, dass der Zug für Nachbesserungen noch nicht abgefahren ist: »Da ist Musik drin, auch weil nach der jüngst veröffentlichten Steuerschätzung für 2022 und 2023 die Finanzlage besser ist als angenommen. Davon müssen auch die Schulen und die Lehrkräftebildung profitieren.«
»Es geht uns nicht darum, dass überhaupt nicht mehr gebaut wird, aber so wie bisher darf Nachverdichtung nicht betrieben werden.«
Niklas Schenker Mietenexperte der Linksfraktion