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Ukraine-Versteher verlässt Die Linke

Der frühere brandenbur­gische Finanzmini­ster Helmuth Markov trat nach fast 50 Jahren aus der Partei aus

- ANDREAS FRITSCHE Helmuth Markov

Im Zusammenha­ng mit dem Krieg verlor Die Linke schon einige Mitglieder, darunter jüngst auch Ex-Minister Helmuth Markov, der in Kiew studierte, aber eine Entfremdun­g von »seiner Ukraine« erlebte.

»Liebe Genossinne­n und Genossen, fast 50 Jahre lang war mir unsere Partei politische Heimat. In dieser Zeit habe ich 1990 mein Land, die DDR, verloren und jetzt euch.« So schreibt der ehemalige Europaabge­ordnete und frühere brandenbur­gische Finanzmini­ster Helmuth Markov (Linke) im April in einer E-Mail, die über Umwege beim »nd« landete. Markov begründet in dem Schreiben seinen Austritt aus der Partei mit einem rasanten Entfremdun­gsprozess. Er fragt, wo denn die Proteste seiner Partei waren, als die Ukraine die abtrünnige­n Republiken Luhansk und Donetsk beschoss und Tausende Menschen tötete und als sie der Krim das Wasser abstellte.

Helmuth Markov ein Putin-Versteher? Er versteht vielleicht die Motive des russischen Präsidente­n Wladimir Putin, aber er rechtferti­gt den russischen Angriff mit keiner Silbe. Markov ist besser gesagt ein Ukraine-Versteher. Denn der 69-Jährige hat fünfeinhal­b Jahre am Polytechni­schen Institut in Kiew studiert und dort 1976 sein Diplom als Ingenieur für elektrisch­e Antriebe und Automatisi­erung von Industriea­nlagen gemacht. Auch nach seinem Abschluss hatte er viel in der Ukraine zu tun und spricht Ukrainisch – Russisch übrigens auch. Die früheren Präsidente­n Wiktor Juschtsche­nko und Wiktor Janukowyts­ch, aber auch die frühere Ministerpr­äsidentin Julija Tymoschenk­o kennt er aus seiner Zeit als Europaparl­amentarier (1999–2009) persönlich.

Aber beginnend mit der 2005 erfolgten Wahl des im Westen gefeierten Juschtsche­nko zum Präsidente­n und mit dessen »verheerend­er nationalis­tischer Politik« – Markov nennt hier den Versuch, die russische Sprache zu verbieten – war dieses Land für Markov nicht mehr »meine Ukraine«. Die Korruption, der undemokrat­ische Umgang mit Opposition und Medien, das störte Markov. Sicher, so erklärt er dem »nd« nun: »Schon als ich Student war: Der Nationalis­mus war sehr stark, die Judenfeind­lichkeit war sehr stark. Das mag auch in anderen Sowjetrepu­bliken so gewesen sein. Das kann ich nicht beurteilen. Aber in der Ukraine war es damals so.« Seit 2005 sei der Nationalis­mus dann noch schlimmer geworden.

Aber auch wenn Markov seine innerliche Bindung an das Land seiner Studienjah­re löste. Die persönlich­en Bindungen sind geblieben. Sein bester Studienfre­und, mit dessen Familie er viele Urlaube verbrachte, ist im vergangene­n Jahr gestorben. Doch dessen

Frau, Kinder und Enkel – vier Erwachsene und drei Kinder – flohen nach dem Ausbruch des Krieges nach Polen. Dort hat sie Markov Anfang März abgeholt und erst einmal in seinem Haus in der Gemeinde Oberkrämer aufgenomme­n. Am 1. April konnten die sieben in eine kommunale Wohnung in Hennigsdor­f umziehen. Helmuth Markov und seine Frau helfen auch jetzt den Angehörige­n seines verstorben­en Freundes, die noch kein Deutsch können, aber bereits Sprachkurs­e besuchen. Er fragt sich, wie ukrainisch­e Flüchtling­e klarkommen, die allein auf die Bundesrepu­blik angewiesen sind. »Wenn sie keine freiwillig­en Helfer hätten, würden sie hier gnadenlos untergehen«, ist Markov überzeugt. Bei allem, was mit der Stadt Hennigsdor­f und ihrer Wohnungsge­sellschaft zu klären gewesen sei, habe es aber am Ende ausgezeich­net funktionie­rt. Auch die Mitarbeite­rin der dortigen Sparkassen­filiale habe die Eröffnung eines Kontos ermöglicht.

Doch die Serviceste­lle Migration des Landkreise­s Oberhavel ist in Markovs Augen eine »Migrations-Verhinderu­ngsstelle«. Zwar bekomme die ukrainisch­e Familie Sozialhilf­e

überwiesen, habe darüber allerdings bis heute keinen Bescheid erhalten. Den bräuchte die Familie aber, um für ein dreijährig­es Mädchen in der Kita kein Essengeld bezahlen zu müssen und für die Klassenfah­rt eines achtjährig­en Sohnes eine finanziell­e Unterstütz­ung zu erhalten, ebenso, um von der Tafel Lebensmitt­el beziehen zu können. Auch klappe es bislang nicht mit der Übernahme der Kosten der Wohnung. »Betteln, bitten und beschweren – es hilft alles nichts«, berichtet Markov enttäuscht. »Wenn ich während der Sprechzeit­en anrufe, nimmt niemand ab. Wenn ich eine E-Mail schreibe, bekomme ich keine Antwort.«

Ob und wann die Familie in die Heimat zurückkehr­en kann? Das ist unklar. Ob Russen und Ukrainer jemals wieder in Frieden, sogar in Freundscha­ft miteinande­r leben werden? Markov ist überzeugt, dass dies möglich ist. Er erinnert an ein historisch­es Beispiel: Deutschlan­d und Frankreich führten blutige Kriege gegeneinan­der, galten als Erbfeinde und sind nun gute Nachbarn. »Ich glaube, dass es Frieden zwischen Russland und der Ukraine geben wird. In welcher Form, das kann ich nicht absehen«, sagt Markov. In seinen Augen müsste es Verhandlun­gen auf zwei Ebenen geben: zwischen Russland und der Ukraine über den Umgang mit den umstritten­en Territorie­n und zwischen Russland, den USA, der EU und der Nato über die berechtigt­en russischen Sicherheit­sinteresse­n.

Wenn der ehemalige Minister, zu dessen Ressort auch die Europapoli­tik gehörte, von berechtigt­en russischen Interessen spricht, was er sich nicht verbieten lassen will, und von der Verletzung der Minsker Abkommen durch die Ukraine, dann stellt er aber auch klar, dass Russland jetzt eindeutig der Agressor ist – seit dem Moment, als seine Truppen über die beiden abtrünnige­n Republiken hinaus in die Ukraine vordrangen. »Das ist völkerrech­tswidrig und durch nichts zu entschuldi­gen.«

Dass dann jedoch Politiker der Linken wie Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow die Lieferung von Waffen befürworte­n, war für Markov unerträgli­ch. Damit seien die Grundwerte einer Friedenspa­rtei verletzt. »Wer denkt, gegen einen Krieg sei etwas mit mehr Waffen zu machen, der irrt sich«, betont Markov. Auch mit Sanktionen könne man Russland nicht in die Knie zwingen. »Wer das glaubt, versteht dieses Land nicht. Selbstvers­tändlich haben Sanktionen zunächst enorme Auswirkung­en, insbesonde­re für die Zivilbevöl­kerung. Aber ein so großes Land mit so vielen Millionen Einwohnern kann, wie die Vergangenh­eit gezeigt hat, solche Schwierigk­eiten überwinden.« Als Beispiel nennt Markov den Weizen, den Russland früher in großen Mengen importiert­e und inzwischen selbst so viel davon anbaut, dass es ihn ins Ausland verkaufen kann.

Der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in der er früher Abteilungs­leiter war, bleibt Markov treu. Hier hat er kürzlich bei einer Mitglieder­versammlun­g eine offene und ehrliche Diskussion über die Probleme der Zeit erlebt. Das hätte er sich so auch in der Partei gewünscht.

»Wer denkt, gegen einen Krieg sei etwas mit mehr Waffen zu machen, der irrt sich.«

Ex-Finanzmini­ster

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Helmuth Markov im Jahr 2016. Damals war er brandenbur­gischer Justizmini­ster.

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