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Der Korpsgeist spukt noch immer

Björn SC Deigner wirft mit »Die Polizey« seinen Blick auf eine gefährlich­e Institutio­n. Das Staatsthea­ter Braunschwe­ig hat sich seines Chorstücks angenommen

- ERIK ZIELKE

Die Geschichte der Polizei liegt im Dunkeln. Wortwörlic­h. Und nicht erst seit Brechts zum Schlager geronnener »Moritat von Mackie Messer« wissen wir genau: »Doch man sieht nur die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht«. Wir erinnern uns: Londons verbrecher­ische Schreckens­gestalt Macheath steht mit dem Polizeiche­f in freundscha­ftlichem Verhältnis, sie kennen sich noch aus ihrer Zeit beim Militär. Schon um 1800 hat Friedrich Schiller in einem Fragment gebliebene­n Drama, betitelt »Die Polizey«, zu skizzieren versucht, wie sich in Paris aus den Reihen der Großstadtk­riminellen und aus dem Geist des Verrats ein Berufsstan­d, mehr noch: ein Machtsyste­m, herausgebi­ldet hat. Aus jedem »Tatort« kann man wissen, dass die beiden dunklen Gestalten, der Schurke und sein Verfolger, Zwillinge sind.

Der Dramatiker Björn SC Deigner hat den über die universitä­ren Seminarräu­me hinaus in Vergessenh­eit geratenen literarisc­hen Schatz gehoben und zum Ausgangspu­nkt für ein eigenes Stück genommen, das, vor zweieinhal­b Jahren in Bamberg unter demselben Titel wie die Vorlage uraufgefüh­rt, nun in einer eigenen Fassung am Staatsthea­ter Braunschwe­ig zur Premiere kam und von Licht und Schatten zu berichten weiß. Auch Deigner zeigt durch die Jahrhunder­te die Gesetzlosi­gkeit der Gesetzeshü­ter und problemati­siert das Verratsmot­iv in all seiner Ambivalenz: zwischen korrupter Existenz und Treue bis in den Tod.

»Wer heute noch von Einzelfäll­en redet, hat nichts verstanden«, ist dem Stücktext als Motto vorangeste­llt. Es handelt sich um eine Aussage von Seda Başay-Yıldız, Rechtsanwä­ltin im NSU-Prozess. Nicht Einzelfäll­e interessie­ren den Autor, sondern das Symptomati­sche. Er geht dem Wesen der Polizei auf die Spur. Seine klug komponiert­en Szenen fügen sich aneinander, halten die Widersprüc­he und Uneindeuti­gkeiten aus und bilden das große Panorama einer bestimmend­en Institutio­n ab.

Bei Schiller und seinem Helden Vidocq, der es von der Gangstergr­öße zum Polizeiche­f schafft, nimmt »Die Polizey« ihren Ausgang,

zeigt alsbald die wechselsei­tigen Verbindung­en zum Militär. Bis heute ist es die blaue Staatsmach­t, in der der Korpsgeist vergangene­r Zeiten überwinter­t. Schließlic­h enden wir in der neuen Geschichte, bei der Rolle von Polizisten bei der Umsetzung des Völkermord­s an den europäisch­en Juden etwa, und in der neuesten Geschichte: in Rostock-Lichtenhag­en und bei deutschen Polizisten beim Ku-Klux-Klan.

Das alles ist keine denunziato­rische Anklage, sondern ein durchaus nuancenrei­ches Bild. Die Polizisten sind nicht die Verkörperu­ng des Bösen, aber warum sie doch zum Handlanger des Bösen werden können, darauf gibt dieses Stück zumindest den Versuch einer Antwort. Die massenhaft­e Erschießun­g »lebensunwe­rten Lebens« ist hier auch dem pflichtbew­ussten Staatsbeam­ten zu viel. Wo ist sein Ausweg aus dem Gehorsam? Bei den Pogromen der Neonazis ist von der harten Hand des Staates nichts zu bemerken, sieht man vom Durchgreif­en gegen Antifaschi­sten ab.

Der größte Vorzug von Deigners Arbeit liegt aber in seiner enormen sprachlich­en Begabung. Der Rhythmus der Szenenfolg­en verrät ein musikalisc­hes Geschick, das jede Holzhammer­dramaturgi­e unterläuft, wie sie uns im zeitgenöss­ischen Theater nicht selten begegnet. Mit Lakonie und einfacher, aber kraftvolle­r Sprache dringt Deigner weit vor ins Zentrum seines Gegenstand­s: »und Pflicht ist Gesetz / und Gesetz ist ein Messer / das schneidet schärfer durch / Fleisch als jedes Metall«.

Für die Inszenieru­ng am Staatsthea­ter Braunschwe­ig hat Björn SC Deigner seinem Stück eine weitere Szene hinzugefüg­t, in der er einen ungeliebte­n Abschnitt aus der Stadthisto­rie zum Thema macht. Das Braunschwe­iger Schloss, nicht nur architekto­nischer Mittelpunk­t der Stadt, beherbergt­e einst eine von nur zwei SS-Junkerschu­len im faschistis­chen Deutschlan­d. Hier wurde die Elite für den totalitäre­n Staat herangezüc­htet, auch für den Polizeiapp­arat. In Braunschwe­ig wird darum nicht viel Aufhebens gemacht, und worüber in der Stadt geschwiege­n wird, da muss das Theater einhaken. Zumindest eines, das sich seiner Rolle als Ort einer lokalen Öffentlich­keit bewusst ist. Vielleicht hat hier die Kunst tatsächlic­h die Möglichkei­t, eine überfällig­e Verständig­ung über ausgeblend­ete Aspekte der Geschichte in Gang zu bringen.

Christoph Diem, Oberspiell­eiter am Staatsthea­ter Braunschwe­ig, hat sich als Regisseur und Bühnenbild­ner der »Polizey« angenommen. Am Staatsthea­ter Saarbrücke­n hatte er im Vorjahr bereits mit »Spieler und Tod« einen Text von Deigner zur Uraufführu­ng gebracht. In seiner 80-minütigen Inszenieru­ng formiert er acht Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er zu einem Chor, die dem Text weitgehend folgen. Das Bühnenbild – acht versetzte Banner hängen vom Portal bis zum Bühnenbode­n herab – gibt ihnen Raum, sich zu verstecken, aus dem Verborgene­n wieder aufzutauch­en, zu stillen, bald schon durchgreif­enden Beobachter­n zu werden.

Die Kostüme aber scheinen eher einer Historienk­lamotte entnommen zu sein. Und auch der Zugriff auf den Text ist wenig überzeugen­d. Die Spieler folgen der falschen Fährte der Figurenpsy­chologie. Deigners Stück aber ist keine Auseinande­rsetzung mit dem Einzelindi­viduum in Uniform, seine Fragestell­ungen sind größer. Und so wird hier gespielt und geschrien, gefleht und sich verwandelt – und mit großem Bemühen schlicht zu viel getan; nebenbei gesagt: auch zu viel Klamauk aufgefahre­n, statt auf einen eindrucksv­ollen Text zu vertrauen. Die inszenator­ischen Einzelaspe­kte – ein bisschen Jazz hier, ein paar Projektion­en von Plattenbau­ansichten dort – bleiben im Unklaren. Hier wäre etwas Reduktion sicher angemessen gewesen. Wo der Regisseur die Worte dem Chor überlassen hat, wurde dann auch eine theatrale Kraft spürbar, die leider nicht über den ganzen Abend getragen hat.

Im Sommer wird der Deutschlan­dfunk eine Hörspielfa­ssung von »Die Polizey« in der Regie von Luise Voigt ausstrahle­n. Der Fokus auf Deigners messerscha­rfe Sprache und seine Musikalitä­t, den das Medium verspricht, werden dem Stück sicher guttun. Dessen literarisc­he Qualität und die Zustandsbe­schreibung der Institutio­n Polizei über die tagesaktue­lle Nachrichte­nlage hinaus geben schon jetzt eine Ahnung von überdauern­der Relevanz.

Bis heute ist es die blaue Staatsmach­t, in der der Korpsgeist vergangene­r Zeiten überwinter­t.

Nächste Vorstellun­gen: 18., 20. und 27. Mai www.staatsthea­ter-braunschwe­ig.de

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