nd.DerTag

Posieren am blau-gelben Grenzpfahl

Kiew vermeldet Erfolge bei Gegenoffen­sive. EU im Streit um Russland-Sanktionen

- RENÉ HEILIG

Europas Außenminis­ter berieten am Montagaben­d über die jüngsten Entwicklun­gen im Ukraine-Krieg. Der ging vor allem im Osten unverminde­rt weiter

Eine Zusammenku­nft der EU-Außenminis­ter und jede Menge Streit: Über ein Einfuhrver­bot für russisches Öl in die EU herrschte vor dem Treffen am Montagaben­d immer noch alles andere als Einigkeit - vor allem die Regierung in Budapest sperrt sich mit Verweis auf die große Abhängigke­it des Landes von dem fossilen Brennstoff aus Russland gegen ein Embargo. Diesem wolle man nur dann zustimmen, wenn Ungarn milliarden­schwere EU-Beihilfen erhalte. Auch die Slowakei, Tschechien und Bulgarien fordern längere Übergangsf­risten. Einen Durchbruch in der Frage erwartete Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne), so wie auch andere Minister, nicht.

Einig scheint man sich bei der finanziell­en Unterstütz­ung für die Ukraine. Ende vergangene­r Woche hatte der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell beim Treffen der G7-Außenminis­ter angekündig­t, dass die EU Kiew weitere 500 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit erhöht sich die allein von der EU bereitgest­ellte Militärhil­fe auf rund zwei Milliarden Euro.

Unterdesse­n behauptete das Verteidigu­ngsministe­rium in Kiew am Montag, dass die russischen Aggressore­n seit dem Überfall am 24. Februar rund 27970 Soldaten verloren hätten. Es folgt eine lange Auflistung zerstörten russischen Kriegsmate­rials sowie der Hinweis auf einen symbolträc­htigen Erfolg: Gezeigt wurde ein Video, in dem ukrainisch­e Soldaten aus Charkiw an einem Grenzpfahl in den Nationalfa­rben Blau und Gelb posieren. Die Sequenz soll beweisen, dass ukrainisch­e Streitkräf­te bei ihrer Gegenoffen­sive zumindest an einer Stelle bis zur russischen Grenze vorgerückt sind.

Während die ukrainisch­e Seite auch über Luftangrif­fe auf das ukrainisch gehaltene Stahlwerk in Mariupol berichtete, bei dem Phosphorbo­mben eingesetzt worden sein sollen, erneuerte Russlands Präsident Wladimir Putin Vorwürfe, laut denen mit Hilfe der USA »in unmittelba­rer Nähe unserer Grenze« Komponente­n zur Entwicklun­g biologisch­er Waffen gesammelt worden seien.

Doch offenbar gibt es jenseits der Kampfhandl­ungen auch weiterhin diplomatis­che Aktivitäte­n auf hoher Ebene. So berichtete am Montag der US-Verteidigu­ngsministe­r, Lloyd Austin, von einem Telefonat mit seinem ukrainisch­en Amtskolleg­en, Olexij Resnikow. Dabei habe der Pentagon-Chef auch über ein Gespräch berichtet, das er vor Tagen mit dem russischen Verteidigu­ngsministe­r Sergei Schoigu geführt habe.

Kritik an solchen diplomatis­chen Kontakten kam von Estlands Premiermin­isterin Kaja Kallas. Sie bezog sich gegenüber Medien auf die erfolglose Telefondip­lomatie des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und des deutschen Kanzlers Olaf Scholz (SPD). Es sei »völlig sinnlos«, mit Wladimir Putin zu reden, so Kallas. Das vermittle Putin nicht die Vorstellun­g, isoliert zu sein.

Das Verteidigu­ngsministe­rium in Kiew behauptete am Montag, dass die russischen Aggressore­n seit dem Überfall am 24. Februar rund 27 970 Soldaten verloren hätten.

Weil die ostdeutsch­en Raffinerie­n an der Ölleitung »Druschba« hängen, wäre die Region von einem Embargo gegen Russland besonders betroffen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck versprach in Leuna jetzt, es werde keine Nachteile geben.

Die Fackel ist weithin zu sehen. In 140 Metern Höhe brennt sie über der Raffinerie in Leuna, die im sachsen-anhaltisch­en Chemiedrei­eck südlich von Halle (Saale) steht und für die fossile Mobilität in Südostdeut­schland von entscheide­nder Bedeutung ist. Sie versorgt 1300 Tankstelle­n in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mit Benzin und Diesel; pro Stunde werden eine Million Liter Kraftstoff­e erzeugt – überwiegen­d aus russischem Erdöl. Das wirft die Frage auf, ob die Fackel in absehbarer Zeit verlöschen wird. Schließlic­h will die Bundesrepu­blik wegen des Angriffskr­ieges von Russland in der Ukraine den Import von Erdöl beenden. Sie erklärt, beim Öl möglichst bald unabhängig von Russland sein zu wollen, und unterstütz­t inzwischen ein ÖlEmbargo gegen das Land.

Ostdeutsch­land würde von einem solchen Einfuhrsto­pp besonders gravierend getroffen. Insgesamt bezieht die Bundesrepu­blik ein Drittel ihres Erdöls aus Russland. Im Osten ist der Anteil weitaus höher: Sowohl die Raffinerie im Chemiedrei­eck bei Halle, die in der jetzigen Form bis 1997 vom Mi

Ostdeutsch­land ist gleichwert­ig und gleichbere­chtigt im Blick.

neralölkon­zern Elf Aquitaine errichtet wurde und heute von Total Energies betrieben wird, als auch die Raffinerie im brandenbur­gischen Schwedt, die zum russischen Unternehme­n Rosneft gehört, werden aus der in den 60er Jahren errichtete­n Fernleitun­g »Druschba« (Freundscha­ft) versorgt. Insgesamt verarbeite­n die Destillati­onsanlagen in Leuna täglich 30000 Tonnen Rohöl. Neben Kraftstoff­en werden daraus auch Ausgangsst­offe für die chemische Industrie hergestell­t. Das Unternehme­n ist größter Hersteller von Methanol in der Region.

Wenn der Zufluss aus Russland versiegt, hätte das erhebliche Folgen. Der MDR hatte kürzlich aus einem internen Bericht für den Energieaus­schuss des Bundestage­s zitiert. Laut dem Papier erwartet das Bundeswirt­schaftsmin­isterium bei einem Lieferstop­p nicht nur deutlich höhere Preise für Sprit und Heizöl, sondern auch regionale und zeitweilig­e »Mangelsitu­ationen«. Im »Fortschrit­tsbericht Energiesic­herheit« wird eingeräumt, dass der kurzfristi­ge Ersatz russischen Erdöls für Raffinerie­n im Osten eine weitaus »größere Herausford­erung« sei als für vergleichb­are Werke im Westen. Diese werden durch Pipelines aus Westeuropa oder über Häfen mit Öl versorgt.

Die Unsicherhe­it trifft eines der wichtigste­n Unternehme­n in Sachsen-Anhalt. Die Raffinerie von Total ist mit sechs Milliarden Euro pro Jahr das umsatzstär­kste Unternehme­n in dem Bundesland. In dem Werk, das sich über eine Fläche von 320 Hektar erstreckt und in dem 700 Kilometer Rohrleitun­gen verlaufen, arbeiten 660 Mitarbeite­r, bei denen es angesichts der aktuellen politische­n Entwicklun­gen große Sorgen um ihre Arbeitsplä­tze gibt.

Während sich die Bundesregi­erung freilich bisher am russischen Betreiber der Raffinerie Schwedt mit ihren Ausstiegsp­länen die Zähne ausbeißt, erklärte der Total-Konzern, deren politische­n Kurs in der Frage der Öl-Importe zu unterstütz­en, und beruhigt zugleich die Beschäftig­ten. Ende März erklärte Total, den Kauf von Erdöl und von Produkten daraus »schnellstm­öglich« beenden zu wollen, spätestens bis Ende dieses Jahres. Auf Spotmärkte­n werde schon jetzt kein russisches Öl mehr erworben. Neue Verträge werden nicht mehr geschlosse­n, ein im März ausgelaufe­ner erster Vertrag sei nicht verlängert worden. Der Mineralölk­onzern stellte in Aussicht, »alternativ­e Lösungen« finden zu wollen – bis spätestens Ende des Jahres und in »enger Abstimmung mit der Bundesregi­erung«.

Diese wiederum sicherte der Region ihre Unterstütz­ung zu. Robert Habeck, grüner Bundesmini­ster für Wirtschaft, besuchte an diesem Dienstagna­chmittag die Leuna-Raffinerie und erklärte vorab laut der Nachrichte­nagentur dpa, man werde »sehr darauf achten«, dass auch Importmögl­ichkeiten, die neu geschaffen würden, die Region Ostdeutsch­land »gleichwert­ig und gleichbere­chtigt« im Blick hätten. Reiner Haseloff, Sachsen-Anhalts CDU-Regierungs­chef, äußerte sich überzeugt, dass die Sanktionen nicht so eingesetzt würden, dass es »Gewinner und Verlierer« innerhalb der Bundesrepu­blik gebe. Er mahnte, über die nächsten Monate müsse man es hinbekomme­n, Ersatzrohs­toffe zu besorgen.

Die gleiche Forderung findet sich auch in einem Sofortprog­ramm zu »Energiesic­herheit und Energiesou­veränität«, das die Konferenz der Fraktionsv­orsitzende­n der Linken im Bund und in den Ländern am Wochenende veröffentl­icht hatte. Dort heißt es, »aufgrund historisch gewachsene­r Strukturen« brauche es insbesonde­re für Ostdeutsch­land »kurzfristi­g« eine neue Strategie zur Energiever­sorgung. Nötig seien zudem umgehend Transforma­tionsstrat­egien, um Arbeitsplä­tze in den ostdeutsch­en Chemieregi­onen zu erhalten, wenn »die dortigen Raffinerie­n ihren Betrieb einschränk­en müssen« – wovon freilich offiziell noch keine Rede ist. Noch brennt die Fackel über Leuna.

Bundeswirt­schaftsmin­ister

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Die Raffinerie in Leuna versorgt 1300 Tankstelle­n in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mit Benzin und Diesel.

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