Ukrainer ergeben sich in Mariupol
Kiew hofft auf Austausch gegen russische Kriegsgefangene
Moskau. In der ukrainischen Hafenstadt Mariupol haben sich russischen Angaben zufolge seit Wochenbeginn 959 ukrainische Kämpfer aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal ergeben. Unter ihnen seien 80 Verletzte, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Mittwoch mit. Alleine in den vergangenen 24 Stunden hätten sich knapp 700 Menschen in russische Gefangenschaft begeben, hieß es weiter. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung für diese Zahlen. Kiew hatte – wie zuvor auch Moskau – von etwas mehr als 260 Soldaten gesprochen, die von dem Werksgelände evakuiert worden seien. Unter ihnen waren übereinstimmenden Angaben beider Seiten zufolge über 50 Verletzte. Die Ukraine hofft auf einen Austausch gegen russische Kriegsgefangene, Russlands Militär ließ einen solchen Schritt aber zunächst offen.
Wie viele Kämpfer sich noch auf dem weitläufigen Werksgelände aufhalten, war unklar. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge sollen es vor Beginn der Evakuierungsmission zwischen 1000 und 2500 gewesen sein. Die letzten Zivilisten waren bereits vor eineinhalb Wochen in Sicherheit gebracht worden. Russlands Truppen hatten Mariupol bereits kurz nach Beginn des Angriffskriegs Anfang März zusammen mit prorussischen Separatisten belagert und innerhalb einiger Wochen fast komplett erobert. Die ukrainischen Kämpfer im Stahlwerk Azovstal wurden zu den letzten Verteidigern der strategisch wichtigen Stadt am Asowschen Meer.
Russland hat unterdessen Schwierigkeiten und Fehler eingeräumt, aber eine Fortsetzung der Kämpfe angekündigt. »Trotz aller Schwierigkeiten wird die militärische Spezialoperation bis zum Ende fortgeführt«, sagte der Vizesekretär des nationalen Sicherheitsrates, Raschid Nurgalijew, am Mittwoch. Es würden alle »Aufgaben – darunter die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung sowie der Schutz der Donezker und Luhansker Volksrepubliken – komplett umgesetzt«. Der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, sprach sogar von »Fehlern« zum Start des am 24. Februar begonnen Krieges. »Am Anfang gab es Fehler, einige Unzulänglichkeiten gab es, aber jetzt läuft alles hundertprozentig nach Plan«, sagte er auf einem politischen Forum. Die von Präsident Wladimir Putin gestellten Aufgaben würden in vollem Umfang erfüllt. Kadyrows Truppen kämpfen demnach in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk.
Brüssel nutzt den Ukraine-Konflikt, um die Militarisierung Europas weiter voranzutreiben und will Rüstungsgeschäfte zentral koordinieren. Zudem soll die Europäische Investitionsbank künftig auch Waffen finanzieren dürfen.
»Es ist wirklich fantastisch, was dieser Kontinent geschafft hat, als er sich von einem Kontinent des Krieges zu einem Kontinent des Friedens wandelte.« Mit diesen Worten verlieh der Norweger Thorbjörn Jagland im Dezember 2012 den Friedensnobelpreis an die EU. Heute wäre die Union kein Kandidat mehr für diese Auszeichnung. Denn längst forcieren Kommission und Mitgliedsstaaten die Militarisierung des Staatenbündnisses, trainiert die EU ausländische Soldaten, liefert Waffen und Geld für Rüstungskäufe.
Jetzt soll Brüssel die Schnittstelle der europäischen Aufrüstung werden, wie der französische Blog »Bruxelles2« meldete. So soll es den Ländern leichter gemacht werden, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam einzukaufen. Damit will man die gewünschte »strategische Autonomie« der EU vorantreiben. Das gilt sowohl für die Entwicklung von Waffensystemen als auch für deren Erwerb. Dazu wolle die Kommission nach »Investitionslücken im Verteidigungsbereich« suchen. Zukünftig soll es dafür eine zentrale Beschaffungsstelle geben.
Die Nachrichtenagentur »Bloomberg« zitiert aus einem Dokument, wonach es einen ganzen Instrumentenkasten geben soll, aus dem sich rüstungswillige Staaten bedienen dürfen. »Es würde dem Block ermöglichen, die gemeinsame Entwicklung, Beschaffung und das Eigentum an Verteidigungsgütern über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu koordinieren und Anreize dafür zu schaffen«, so »Bloomberg«.
Noch nicht ganz klar ist, welche Instrumente tatsächlich zum Einsatz kommen sollen. Die entsprechenden Diskussionen laufen hinter den Kulissen. Wichtigstes Ziel ist wohl, die Rüstungsdeals außerhalb des regulären Haushalts abzuwickeln. Zudem will man die Europäische Investitionsbank zum Finanzierungsinstrument für die Geschäfte machen. Bislang war es der Bank verboten, Waffengeschäfte
zu begleiten. Der Finanzbedarf ist jedenfalls riesig. In dem »Bloomberg« zugespielten Dokument heißt es, dass die Mitgliedsstaaten ihre Verteidigungshaushalte in den kommenden Jahren um fast 200 Milliarden Euro aufstocken werden.
Viele der Pläne schlummern schon lange in den Schubladen der europäischen Geostrategen. Der Ukrainekrieg bietet einen willkommenen Anlass, sie schnell umzusetzen. Bereits im Januar 2022, also noch vor Kriegsbeginn, hieß es in einem entsprechenden Planungspapier der Kommission: »Im aktuellen geopolitischen Kontext ist die EU bestrebt, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen und ihre Rolle als geopolitischer Akteur zu stärken. Wie in der Rede zur Lage der Union von Präsidentin von der Leyen angekündigt, wird sich die Kommission im Jahr 2022 insbesondere auf die Stärkung der Rolle der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung konzentrieren und auf eine engere Europäische Verteidigungsunion hinarbeiten.«
Ein bereits funktionierendes Instrument ist hier der Europäische Verteidigungsfonds (EEF). Dieser Fonds subventioniert EU-Rüstungskonzerne und unterstützt »die Forschung und Entwicklung von Verteidigungsprodukten«. Ein feuchter Traum für Rüstungsmanager und Aktionäre der Waffenschmieden. Bislang allerdings entpuppten sich die EU-Rüstungsprojekte, wie das Transportflugzeug A400 oder der Eurofighter, stets als Milliardengräber – und die mit jahrelanger Verspätung produzierten Waffensysteme oft als nur bedingt einsatzfähig.
Wie dem auch sei: Die Weichen für eine aggressivere Union hatte man bereits im März gestellt, als die Außen- und Verteidigungsminister der EU die gemeinsame Militärstrategie verabschiedeten. Mit diesem »strategischen Kompass« wird die Union keinen Friedensnobelpreis mehr gewinnen. Er definiert die geopolitischen Konkurrenten und ebnet den Weg für eine weltweite Militärpräsenz. Beim aktuellen Ukrainekrieg zeigt sich bereits: Die EU setzt nicht mehr auf Diplomatie, sondern auf Krieg bis zur Niederlage Russlands. Die Union spreche nun »die Sprache der Macht«, verkündete der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kürzlich.
Özlem Alev Demirel, außen- und friedenspolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament, beobachtet die Entwicklung mit großer Sorge: »Diese Aufrüstungsspirale dient nicht dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen, sondern birgt die Gefahr neuer militärischer Auseinandersetzungen und erhöht die Bereitschaft zum Krieg.«
Mit diesem »strategischen Kompass« wird die Union keinen Friedensnobelpreis mehr gewinnen.