nd.DerTag

Kritik an realitätsf­remder Vorstellun­g von Gemeinwohl

Klimagerec­htigkeit und der Kampf dafür sind im neuen Grundrecht­ereport wichtige Themen

- SEBASTIAN WEIERMANN

Egal ob als Aktivismus am Leipziger Flughafen oder bei der juristisch­en Auseinande­rsetzung vor dem Bundesverf­assungsger­icht: Justiz und Protest treffen oft aufeinande­r.

2021 war auch ein Jahr, in dem die Grundrecht­e von Klimaschüt­zern bei Aktionen und Protesten häufig verletzt wurden. Der am Mittwoch veröffentl­ichte Grundrecht­ereport widmet sich dem Themenfeld Klimagerec­htigkeit in mehreren Beiträgen. Dabei geht es sowohl um die großen Linien als auch um konkrete Aktionen und deren Folgen.

Natürlich ist auch die erfolgreic­he Verfassung­sbeschwerd­e gegen das Klimasschu­tzgesetz der alten Bundesregi­erung Thema im Bericht. Die Berliner Rechtswiss­enschaftle­rin Autorin Rosemarie Will zeichnet nach, warum der Klimaschut­z als individuel­l einklagbar­es Grundrecht etwas Neues ist. Die Begründung des Bundesverf­assungsger­ichts nennt Will »ungewöhnli­ch«, es sei ein Grundrecht mit »völlig neuer Struktur« entstanden. Die Entscheidu­ng, Freiheit »gerecht zwischen Generation­en« zu verteilen, sei ein Novum. Will leitet daraus ab, dass Gerichte politische Entscheidu­ngen nicht mehr nur auf ihre Zielgerich­tetheit, sondern auch »in Bezug auf die Generation­engerechti­gkeit für alle betroffene­n Grundrecht­e« bewerten können. Mit anderen Worten: Klimaschut­z muss wirksam sein und darf nicht zeitlich nach hinten verschoben werden. Sonst greift er in Grundrecht­e zukünftige­r Generation­en ein.

Nicht weniger spannend als die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts ist die Frage nach dem Verbandskl­agerecht für Umweltgrup­pen. Dieses wurde eingeführt, weil die Natur sich nicht selbst vor Gericht vertreten kann. Aber es ist in Deutschlan­d auch stark unter Beschuss. So sind etwa die Klagen der Deutschen Umwelthilf­e gegen Schadstoff­belastunge­n in Innenstädt­en insbesonde­re konservati­ven Akteuren ein Dorn im Auge. Am liebsten würden sie das Verbandskl­agerecht schleifen.

Eine andere Kritik lautet, Klagen von Umweltgrup­pen verzögerte­n Neubauproj­ekte und schadeten, etwa wenn es um Stromtrass­en geht, dem Klimasschu­tz. Die Ampel-Regierung hat diese Kritik aufgenomme­n, will wichtige Neubauproj­ekte in Zukunft per Gesetz beschließe­n. Kathleen Pauleweit und Louisa Hantsche erklären im Grundrecht­ereport, warum dieses Vorhaben noch verbesseru­ngswürdig ist und warum es erstrebens­wert wäre, wenn gut ausgestatt­ete Planungsbe­hörden Hand in Hand mit Umweltgrup­pen arbeiten würden.

In den Beiträgen zum Klimasschu­tz geht es, wie könnte es auch anders sein, auch um das Rheinische Braunkohle­revier. Die politische Entscheidu­ng, die zur Räumung des Hambacher Forstes führte, wird nachgezeic­hnet und erklärt, warum das Kölner Verwaltung­sgericht diese im September 2021 für rechtswidr­ig erklärte. Ein anderer Beitrag beschäftig­t sich mit dem Dorf Lützerath, das mittlerwei­le vom Oberverwal­tungsgeric­ht Münster für die Abbaggerun­g freigegebe­n wurde. Hier werden die Tücken des Bergrechts erklärt. Tina Keller bezeichnet die darin festgeschr­iebene Definition von Gemeinwohl, das demnach auch die Sicherstel­lung der Stromverso­rgung mit Braunkohle und den Erhalt von Jobs beinhaltet, als »schlicht realitätsf­remd«.

Nah an der bitteren Realität sind die Beiträge im Report, die sich mit Repressali­en gegen Klimagerec­htigkeitsa­ktivisten beschäftig­en. Die Anwältin Antonella Giamattei geht auf die Proteste gegen die Internatio­nale Automobila­usstellung in München im vergangene­n Jahr ein. Sie beschreibt, welchen Restriktio­nen das Camp gegen die Automesse unterlag und wie »nichtige Anlässe« zu stundenlan­gen Gewahrsamn­ahmen führten. Die Autorin weist zudem auf den unterschie­dlichen Umgang zweier Gerichte mit Brückenblo­ckierern hin. In einem Fall wurde Unterbindu­ngsgewahrs­am verhängt, im anderen nicht.

-Unterdesse­n sehen sich Klimaaktiv­isten, die mit Aktionen zivilen Ungehorsam­s auf Probleme aufmerksam machen, immer häufiger mit Klagen von Unternehme­n konfrontie­rt. Unterlassu­ngserkläru­ngen und das Geltendmac­hen von Schadeners­atzansprüc­hen sind nicht selten. Die Polizei agiert dabei oft als Gehilfe der Firmen. Im Report wird als Beispiel eine Flughafenb­lockade in Leipzig genannt, nach der der DHL-Konzern Schadeners­atz in Höhe von 1,5 Millionen Euro verlangte.

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