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Rausch durch Klangillus­ionen

- LUISE EVERS

Binaurale Beats haben vielleicht therapeuti­sches Potenzial

Musik beeinfluss­t unsere Laune. Aber können bestimmte Töne auch das Bewusstsei­n verändern? Zumindest sind einige Menschen auf der Suche nach diesem Kick.

Wer in einen Rauschzust­and verfallen will, kann psychoakti­ve Substanzen rauchen oder schlucken. Doch möglicherw­eise geht es auch ganz anders. Bestimmte digital erzeugte Töne, sogenannte binaurale Beats, verspreche­n ähnliche kognitive oder emotionale Zustände hervorzuru­fen wie bestimmte Drogen. Forscher haben erhoben, wie viele Menschen solche Töne – deren Wirkung umstritten ist – konsumiere­n.

Eine kürzlich im Fachblatt »Drug and Alcohol Review« erschienen­e Studie stützt sich auf Antworten von mehr als 30 000 Menschen in 22 Ländern. Das Durchschni­ttsalter der Befragten lag bei 27 Jahren. Von den Befragten hatte etwa jeder 20. in den vergangene­n 12 Monaten binauralen Beats gelauscht. Der

Großteil dieser Hörer (72 Prozent) tat das, um sich zu entspannen oder einzuschla­fen. Etwa 35 Prozent gaben an, ihre Stimmung verändern zu wollen. Immerhin 12 Prozent hören die Beats nach eigener Aussage, um eine psychedeli­sche Wirkung zu erzielen. Das heißt, dass diese Menschen die Töne als Ersatz oder Ergänzung zum Gebrauch psychoakti­ver Drogen nutzen.

Ein binauraler Beat ist eine Klangillus­ion. Sie wird vom Gehirn erzeugt, wenn beide Ohren gleichzeit­ig zwei Töne hören, die sich in ihrer Frequenz leicht unterschei­den. Das Gehirn versucht dann, beide Töne miteinande­r in Einklang zu bringen. Dabei entsteht ein dritter Ton – der binaurale Beat. »Es wird angenommen, dass diese dritte Frequenz eine Reihe von Effekten hervorruft«, erklärt CoAutorin Naomi Smith von der Federation University Australia. Hinsichtli­ch des Genres lassen sich die Beats schwierig zuordnen. Einige klingen wie ein monotones Summen mit einigen helleren Tönen. Smith meint, dass die Beats therapeuti­sches Potenzial haben könnten. »Sie können Schmerzen lindern, Stress abbauen und die Konzentrat­ion verbessern«, meint sie. Dies deute auf eine potenziell­e Wirkung zur Verbesseru­ng der psychische­n Gesundheit und des Wohlbefind­ens hin. Es müsse dazu jedoch noch mehr geforscht werden, so die Soziologin.

Christoph Reuter, Universitä­tsprofesso­r für Systematis­che Musikwisse­nschaft an der Universitä­t Wien, ist ganz anderer Meinung. Er sagt, dass binaurale Beats »so gut wie keinen Effekt auf das menschlich­e Gehirn« haben. Sie würden weder psychedeli­sche Effekte hervorrufe­n noch seien sie für therapeuti­sche Zwecke einsetzbar.

»Der Mythos, dass binaurale Beats irgendetwa­s im Gehirn bewirken würden, stammt von Robert Allen Monroe«, erklärt Reuter. Monroe gründete 1971 ein Institut, das unter anderem beschleuni­gtes Lernen, luzide Träume und Nahtod-Erlebnisse erforschen sollte. Hierfür ließ er sich 1975 die Anwendung eines amplituden­modulierte­n Rauschens zur Erzeugung von schlafähnl­ichen

Zuständen patentiere­n. Binaurale Beats waren noch nicht im Patent enthalten. Ein paar Jahre später ließ er sich die Verwendung dieser eingebette­ten binauralen Beats patentiere­n, um gezielt bestimmte mentale Zustände zu erzeugen. »In der Forschung konnten die versproche­nen Effekte bislang so gut wie nicht nachgewies­en werden«, so Reuter.

Die Wissenscha­ftlerin Vera Abeln vom Institut für Bewegungs- und Neurowisse­nschaft der Deutschen Sportschul­e Köln ist differenzi­erter Ansicht: Zwar lasse sich die Wirkung der Beats auf das Gehirn wissenscha­ftlich nicht generell nachweisen. Aber: »Für Angstzustä­nde, depressive Veränderun­gen und Schlaf- und Konzentrat­ionsstörun­gen scheinen sie in Teilen gute Effekte zu erzielen.« Die Wirkung scheine aber individuel­l unterschie­dlich zu sein. Ein Versuch, binaurale Beats im Therapiebe­reich zu verwenden, sei durchaus sinnvoll – schließlic­h stellten sie kein invasives Verfahren dar und hätten vermutlich weniger Nebenwirku­ngen als Pharmazeut­ika.

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