Fatale Brieffreundschaft
Josef Joffe muss seine Herausgeberschaft bei der »Zeit« ruhen lassen
Die in Hamburg erscheinende Wochenzeitung »Die Zeit« ist eine der rennomiertesten Publikationen der Bundesrepublik und gilt hierzulande als Leitmedium. Umso größer sind Aufsehen und möglicher Schaden für die Reputation, kommt der Verdacht auf, die redaktionelle Arbeit werde beeinflusst.
Einen solchen Verdacht der Einflussnahme - den die Redaktion zurückweist - hat ausgerechnet ein Mitherausgeber der Zeitung auf sich und sein Blatt gezogen. Mit Konsequenzen: Josef Joffe, Journalist und Publizist, lässt sein Amt im Einvernehmen mit dem Verlag bis zum Vertragsende im März kommenden Jahres ruhen.
Was war geschehen? Joffe, der 1976 bei der »Zeit« zuerst als Redakteur anfing und dort später als Leiter des Ressorts Dossier tätig war, bevor er von Mitte der 1980er Jahre bis ins Jahr 2000 das Außenpolitik-Ressort der »Süddeutschen Zeitung« leitete, hat im Jahr 2017 einen Brief geschrieben. An einen damaligen Freund. So weit noch kein Problem.
Problematisch ist die Geschichte, weil dieser Freund Max Warburg heißt und Miteigentümer der bis zum Hals im Cum-ex-Sumpf steckenden Warburg Bank ist. Weil aus dem persönlichen Schreiben, über das unter anderem der »Spiegel« kürzlich berichtet hatte, unter anderem hervorgeht, dass der seit dem Jahr 2000 als »Zeit«-Mitherausgeber wirkende Joffe Warburg vorab über einen Artikel der Wochenzeitung zu den Cum-ex-Geschäften der Bank informiert und offenbar veranlasst hatte, dass dieser zunächst geschoben wurde.
Zu der Entscheidung, die Mitherausgeberschaft ruhen zu lassen, erklärte Joffe, der in seiner Laufbahn bisher mit dem Theodor-Wolf-Preis, dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Ludwig-Börne-Preis und dem Ludwig-Erhardt-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet wurde, gegenüber der dpa, dass diese es ihm nun ermögliche, juristischen Rat einzuholen.
Rechtsterrorismus wird zur Normalität Mit der Verschwörungstheorie vom »Großen Austausch« rechtfertigen Rechte ihren rassistischen Krieg gegen nicht-weiße Menschen, meint Natascha Strobl.
Es ist auf eine schreckliche Art beeindruckend, wie sehr sich der Ablauf der rechtsterroristischen Terroranschläge ähnelt. Erst vergangene Woche wurde in Essen ein rechtsextremer Terroranschlag eines Teenagers vereitelt. Am Wochenende waren die Behörden in Buffalo (USA) zu spät. Die Täter sind junge Männer. Sie hinterlassen ein Manifest, das in entsprechenden Online-Räumen fleißig geteilt wird. Und nicht zuletzt ist die ideologische Begründung der Tat der »Große Austausch«.
Der »Große Austausch« ist eine Verschwörungserzählung, die der französische Faschist Renaud Camus seit Anfang der 2010er Jahre schriftlich ausgeführt hatte. Popularisiert hat sie aber die Identitäre Bewegung in den Jahren 2015/16. Zur Zeit der großen Fluchtbewegungen stellten sie die Idee des »Großen Austauschs« den greifbaren Fakten gegenüber.
Die Vorstellungen hinter dieser Verschwörungserzählung sind diese: Ein einst mächtiges, angestammtes europäisches Volk wurde dekadent und verweichlicht. Schuld daran sind Hedonismus, Drogen und popkulturelle Ablenkungen. Den Todesstoß aber gab der Feminismus, denn er hat bewirkt, dass Frauen keine völkisch wünschenswerten Kinder mehr bekommen. Der Feminismus hat den weißen Frauen Flausen in den Kopf gesetzt und jetzt haben sie Jobs und sind finanziell unabhängig. Der erste Vorwurf der Austausch-Verschwörung richtet sich also immer gegen den Feminismus.
Im streng binären Denken des völkischen Rechtsextremismus ist die Reproduktion des Volkes Aufgabe von Frauen, sie müssen möglichst viel möglichst wünschenswerten Nachwuchs in die Welt setzen. Nicht, weil sie möchten oder es in die Familienplanung passt, sondern weil sie sich in einem Krieg der Geburtenraten gegen die, ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien.
die als völkisch nicht wünschenswert gesehen werden, befinden. Diese nicht Wünschenswerten werden vor allem rassistisch markiert. Während weiße Frauen zu wenige Kinder bekommen, so bekommen nichtweiße Frauen in diesem Denken zu viele Kinder. Die Obsession mit Geburtenraten ist integraler Bestandteil des AustauschDenkens. Der Hass auf Frauen ebenso.
Der äußere Feind und damit die zweite Komponente sind diffus skizzierte global agierende unglaublich mächtige Kräfte. Wenn ein Name und ein Gesicht genannt und gezeigt wird, dann ist es das des Investors George Soros, der das Mastermind
hinter allem sein soll. Diese nahezu omnipotenten Kräfte agieren aus purem Hass auf die angestammten europäischen bzw. weißen Bevölkerungen. Es ist nicht schwer zu sehen, was hinter diesen Erzählungen steckt: Die Idee einer Weltverschwörung der heimatlosen Juden gegen die europäischen Völker. Das ist die Erzählung des modernen Antisemitismus.
Die dritte Komponente in dieser Erzählung sind jene, gegen die Weiße, Europäer… angeblich ausgetauscht werden. Das sind Menschenmassen, die in einer rassistischen Unterscheidung als »anders« definiert werden. Das betrifft vor allem Muslime und Schwarze, aber auch Latinos oder asiatische Menschen. Sie werden zu einer einheitlichen Masse geformt. Diese riesige Masse an »Anderen« ist im Austausch-Denken eine Armee, die Individuen in ihr Kombatanten in einem Krieg. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Kinder oder ältere Kirchengeherinnen handelt, für die Austauschs-Fanatiker*innen sind sie Soldat*innen. Und zwar Soldat*innen, die angreifen.
Rechtsterroristen glauben also, sie handelten aus Notwehr, weil sie angegriffen werden in einem Krieg, der längst begonnen hat und in dem sie der Übermacht einer Armee und einer globalen Verschwörung gegenüber stehen.
Das ist es, was dieses Verschwörungsdenken so gefährlich macht - die Eskalation zur massenhaften Gewalt, zum Terror ist extrem kurz. Umso wichtiger ist es, diese Verschwörungserzählungen immer als das zu benennen, was sie sind: Der »Große Austausch« ist die faschistische Imagination und Legitimation für einen weltweiten rassistischen Krieg zur vermeintlichen Verteidigung einer ebenso imaginierten weißen Kultur.
Keine eigene europäische Position?
»Allianz der Kriegsunwilligen«
Ina Göschel, per E-Mail
Angriffskrieg konsequent verurteilen
Rudi Groth, Berlin
Zielvorstellungen für die Zukunft Zu »Krieg ist die Ultima Irratio«, 18.5., S.1, dasnd.de/1163822
Zu »Eine Kapitulation«, 17.5., S. 1; dasnd.de/1163838
Peter Steiniger trifft den Nagel auf den Kopf: Der schwedische Nato-Beitritt ist wie eine zweite Ermordung Olof Palmes, in Form seines Erbes. Seine traditionelle Neutralität ermöglichte es Schweden, beispielsweise die Befreiungsbewegung gegen die Apartheid in Südafrika so effektiv zu unterstützen. Das wäre als Nato-Mitglied kaum möglich gewesen, denn der Apartheidstaat war quasi ein Standbein der Nato auf der südlichen Halbkugel.
Hier in Südafrika wird mir oft die Frage gestellt: Haben die Europäer keinen Arsch in der Hose, um im Ukraine-Konflikt eine eigene Position im europäischen Interesse durchzusetzen, statt sich von Washington für US-Interessen instrumentalisieren zu lassen?
Detlev Reichel, Tshwane/Südafrika Zu »Gegen die Macht der Blöcke«, 16.5., S. 6; dasnd.de/1163803
Die Athener Deklaration eines linken europäischen Netzwerkes ruft zu einer neuen Bewegung blockfreier Staaten auf. Längst bin ich selbst in Diskussionen der Meinung gewesen, man muss eine »Allianz der Kriegsunwilligen« weltweit schaffen, in der nicht zuerst die Bewertung der innerpolitischen Ausrichtung als Demokratie oder Diktatur steht, sondern die Frage: Wie schaffen wir gemeinsam auf diplomatischem Wege eine schnellstmögliche Waffenruhe? Diese Athener Deklaration geht in diese Richtung. Deshalb muss sich in meinen Augen eine linke Partei bei uns zwingend lautstark diesem darin geäußerten Ziel verpflichtet fühlen.
Auch wenn Petitionen und offene Briefe momentan sehr beliebt sind und deshalb schnell als Mode abgetan werden können, wäre es sehr schön, wenn über diesen Weg die Deklaration Zustimmung bekommen kann von der Partei und von allen, die sich gegen eine Ausweitung des Krieges aussprechen wollen. Und das sind in meinem Umfeld fast alle.
Zu »Wo bleibt das laute Nein zur Rüstung?«, 10.5, S.7, dasnd.de/1163646
Der Beitrag von Dr. Heinrich Niemann gehört zu den besten der Serie »Linke, Krieg & Frieden«. Er verurteilt konsequent den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und fordert, das Waffengeschrei zu beenden. Dieser Artikel steht im krassen Gegensatz zum Serien-Beitrag unter »Ende Gelände« vom 12.5. von Reiner Oschmann.
Bodo Ramelows Artikel hat mich sehr beeindruckt, insbesondere seine Zukunftsvorstellung. Sollte das nicht zum Kern einer linken Außen- und Militärpolitik werden können? Ich wünsche mir sehr, dass sich die Delegierten auf dem kommenden Parteitag der Linken auf dieses Konzept einigen können.
Bernd Friedrich, Leipzig
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