nd.DerTag

Rutschpart­ie ohne Risiko

Beim Berliner Theatertre­ffen wird Yael Ronens Beinahe-Musical »Slippery Slope« gezeigt

- ERIK ZIELKE

Yael Ronen, die längst zu den Starregiss­eurinnen des Theaterbet­riebs zählt, wagt sich regelmäßig aufs Bühnen-Glatteis, wo sie politisch brisante Themen verhandelt. Die Jugoslawie­nkriege, den Nahostkonf­likt, die #metoo-Debatte. Aufs Glatteis? Das ist dann oft doch mehr Behauptung denn Realität.

Auch bei ihrem jüngsten Regiestrei­ch am Berliner Maxim-Gorki-Theater, »Slippery Slope« betitelt, zu Deutsch: Rutschpart­ie, trifft die israelisch­e Theatermac­herin thematisch ins Schwarze: Es geht um die rauf und runter diskutiert­e »Cancel Culture«. »Almost a Musical«, fast ein Musical, heißt das Stück im Untertitel. Und es stellt auch fast ein Beitrag zu einer Debatte dar, aber eben nur fast. Höchst unterhalts­am werden die richtigen Reizworte laut von der Rampe ausgesproc­hen, nur eine wirkliche Konfrontat­ion findet nicht statt. Es handelt sich um Wohlfühlth­eater am Puls der Zeit.

Gustav, verkörpert von Lindy Larsson, ist ein abgehalfte­rter Popstar aus Schweden und feiert sein Comeback nach dem letzten Skandal. Er macht alles falsch, was man falsch machen kann. Zwischen dem branchenüb­lichen Machismo, kulturelle­r Aneignung und Machtmissb­rauch tappt er in wirklich jedes Fettnäpfch­en. Gustav will sich lernfähig zeigen, aber der Musikbetri­eb spielt jetzt nach anderen Regeln. Plötzlich wird seine ganze Karriere, mehr noch sein Privatlebe­n, einer Prüfung unterzogen.

Das alles wird mit reichlich Ironie zum Besten gegeben und mit einer Schmonzett­en-Nummer nach der anderen illustrier­t. Der humoristis­che Kern besteht letztlich darin, dass die unsympathi­sche Witzfigur Gustav nicht nur Täter, sondern irgendwie auch ein Opfer ist. Es zeigt sich, dass hier alle Dreck am Stecken haben. Dass sich niemand selbst von Schuld freisprech­en kann auf der Anklageban­k der Woke-Kultur. Das Lachen, das einen beim Zusehen befällt, ist allerdings nicht befreiend. Es ist ein dumpfes Lachen, nach dem man auch nicht schlauer ist als zuvor. Flache Witze retten nicht über den Abend, auch wenn man sie unter dem Label »Diskurs-Musical« verkauft.

In 100 sehr unterhalts­amen Minuten mit viel Glitzer und Musik rührt man also an die großen Themen dieser Zeit. So wundert es auch nicht, dass es diese englischsp­rachige Inszenieru­ng zu einer Einladung zum Berliner Theatertre­ffen gebracht hat, in dessen Rahmen sie am Sonntag noch einmal gezeigt wird. Man will hier theatral zupacken uns bleibt dabei doch sehr behutsam. Hier wird gemeinsam gelacht über das dumme alte Patriarcha­t und ein bisschen auch über den identitäts­politische­n Übereifer dieser Tage. Weh tut dieser Theaterabe­nd allerdings nicht. Er labt sich an der eigenen Gegenwärti­gkeit, aber er traut sich keine eigene Haltung zu. Die Konflikte werden weggelacht.

Dass die identitäts­politische­n Verwerfung­en dieser Tage tatsächlic­h ein großes, auch ein dramatisch­es, Motiv sind, dürfte klar sein. Hier prallen Welten aufeinande­r, ohne Aussicht auf Kompromiss­e. Nur müsste man sich auch trauen, dramatisch­e Stoffe wieder auf die Bühne zu heben. Stattdesse­n hat man sich für einen risikolose­n Weg entschiede­n. Von wegen Rutschpart­ie.

Vorstellun­g im Rahmen des Theatertre­ffens: 22. Mai www.berlinerfe­stspiele.de

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