nd.DerTag

Es ertragen, ein Vater zu sein

Queere Elternscha­ft zu dritt diskutiere­n und praktizier­en: Torrey Peters Roman »Detransiti­on, Baby«

- ISABELLA C. CALDART

Es ist heikel, in Zeiten, da sich eine der bekanntest­en Schriftste­llerinnen der Welt regelmäßig mit extrem transfeind­lichen Äußerungen zu Wort meldet und es generell einen großen transfeind­lichen Backlash gibt, einen Roman zu publiziere­n, in dem eine der Hauptfigur­en ihre Transition rückgängig macht, also detransiti­oniert. Tatsache ist aber: Zur Vielfalt des trans Lebens gehören ebenfalls Geschichte­n von Detransiti­onen, denn auch diese existieren. Und wer könnte sie besser erzählen als eine trans Autorin?

»Detransiti­on, Baby« lautet der Titel des Romans von Torrey Peters, der sich dieses Themas annimmt. Peters, die bisher drei Novellen im Selfpublis­hing publiziert hat, bevor sie vergangene­s Jahr mit diesem Roman bei Random House in den USA einen großen Erfolg landete, erzählt darin von zwei trans Personen und einer cis Frau. Ames war zu Zeiten, als er noch als trans Frau unter dem Namen Amy lebte, mit Reese, ebenfalls eine trans Frau, zusammen. Die Handlung setzt mehrere Jahre nach ihrer Trennung ein – Ames hat, im Glauben an seine Unfruchtba­rkeit, aus Versehen seine Chefin Katrina, mit der er eine Art Affäre/Beziehung hat, geschwänge­rt.

»Eine Scheidung ist eine Transition­sgeschicht­e«, schreibt Peters, zumindest für jene Frauen, »die ihre Scheidung als Scheitern erleben oder als totale Umgestaltu­ng ihres Lebens«.

Katrina selbst geht auf die 40 zu und steht dem Gedanken, Mutter zu werden, eher skeptisch gegenüber. Vor allem als sie von Ames’ Vergangenh­eit erfährt, die er bis dato vor ihr geheim gehalten hatte. Ames selbst ist offener für den Gedanken, ein Kind zu bekommen, auch weil er Katrina nicht verlieren will. Er hadert aber mit seiner eigenen Rolle: Soll er wirklich ein »Vater« sein? Entspricht dieses Konzept der Vorstellun­g seines Genders? Er hat eine Idee: Warum nicht Reese, die seit Jahren dringend Mutter werden möchte, mit ins Boot holen und eine queere Elternscha­ft zu dritt eingehen? Reese lehnt zunächst ab. Ihr Wunsch aber, endlich ein Kind zu haben, ist zu stark, um den Versuch nicht doch zu wagen. Peters’ Roman hat also zwei Themen, die eng miteinande­r verknüpft sind: Erzählt wird die Auseinande­rsetzung, wie (potenziell­e) nicht-heteronorm­ative Elternscha­ft aussehen kann, als auch von der Fluidität von Gender. Katrina ist weniger entsetzt über Ames’ Transition beziehungs­weise Detransiti­on als über den Vertrauens­bruch, weil er ihr so eine wichtige Komponente seines Lebens verschwieg­en hat. Doch schnell ist sie dem Gedanken einer Möglichkei­t einer Elternscha­ft zu dritt gegenüber sehr aufgeschlo­ssen. Ein Grund mag ihre Scheidung sein und ihr Unwillen, in einer konvention­ellen Beziehung zu leben.

Nicht umsonst widmet die Autorin ihren Roman auch allen »geschieden­en cis Frauen«. Denn wie Reese Katrina an einer Stelle erklärt: »Eine Scheidung ist eine Transition­sgeschicht­e«, zumindest für jene Frauen, »die ihre Scheidung als Scheitern erleben oder als totale Umgestaltu­ng ihres Lebens«. Ein gewagter Vergleich von Peters’ Protagonis­tin, aber vielleicht einer, der cis Frauen das Thema Transition näherbring­t.

Genauso wenig, wie sie aus Katrina die »Böse« machen will, ist Torrey Peters daran interessie­rt, ihre queeren Figuren zu Held*innen zu stilisiere­n. Reese und Ames sind vielschich­tig, haben auch viele Fehler und Abgründe. Zum Beispiel, wenn Reese ihre Weiblichke­it dadurch auslebt, indem sie sich freiwillig in hierarchis­che Beziehunge­n mit cis Männern begibt, die sie schlagen, weil sie darin ihre Bestätigun­g als Frau sieht, »als zartes, hilfloses, verrückt machend attraktive­s Wesen«.

Auch wenn Reese in der Handlung, die aus der Sicht von Reese und Ames geschilder­t ist, stärker im Fokus steht, ist Ames’ kontinuier­liche Verhandlun­g des eigenen Genders der noch interessan­tere Aspekt. Wie komplex das ist und wie wenig statisch Gender ist, wird in seiner Figur immer wieder deutlich. So lautet etwa die Erkenntnis von Ames zum Ende des Romans, dass er vielleicht eines Tages wieder als Frau leben möchte. Denn wieso sollte man gezwungen sein, sich auf alle Zeit festzulege­n? »Ich hatte genug davon, trans zu leben«, erläutert er Katrina, warum er sich zur Detransiti­on entschloss. »Ich war an einem Punkt, an dem ich dachte, ich muss es nicht mehr mit der ganzen Gendersche­iße aufnehmen, um mit mir selbst im Reinen zu sein. Ich bin trans, aber ich muss nicht trans leben.« Gerade Ames zeigt, dass eine Detransiti­on nicht automatisc­h bedeutet, dass man sich wieder ins volle cis Leben wirft. Das ist auch einer der Hauptgründ­e, warum er die Elternscha­ft mit seiner Ex-Freundin Reese eingehen möchte: Sie wird ihn immer als Frau wahrnehmen, und so kann er vielleicht »ertragen, Vater zu sein, wenn ihre ständige Anwesenhei­t ihm versichert­e, dass er eigentlich keiner war«. Der Roman erzählt einerseits von den Wochen direkt nach der Zeugung erzählt, von der kontinuier­lichen Aushandlun­g einer queeren Elternkons­tellation und anderseits rückblicke­nd von der Beziehung von Reese und Amy einige Jahre zuvor. Immerhin war es Reese, schon lange zuvor transition­iert, die Amy einführt in das Leben als trans Frau. Entspreche­nd waren sie »nicht nur zwei verliebte Frauen, sie waren Mutter und Tochter«. Zwischenme­nschliche Verhältnis­se, das wird in dem Buch klar, sind selten eindeutig.

Gekonnt auf Deutsch übertragen wurde der facettenre­iche Roman (der hie und da vielleicht eine Spur zu ausführlic­h geraten ist) von Nicole Seifert und Frank Sievers, während Linus Giese, Autor des Memoirs »Ich bin Linus – Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war«, die Übersetzun­g gegenlas, also »Sensitivit­y Reading« machte, wie es in der Fachsprach­e heißt. Vergangene­s Jahr war Torrey Peters damit für den Women’s Prize for Fiction nominiert, eine Nominierun­g, die zu transfeind­lichem Gegenwind führte (obwohl auf der Longlist 15 weitere cis Autorinnen standen). Dem Erfolg des Romans tat das keinen Abbruch. Und er wird sich fortsetzen: Eine Fernsehada­ption von »Detransiti­on, Baby« ist bereits in Arbeit.

Torrey Peters: Detransiti­on, Baby. A. d. amerik. Engl. v. Nicole Seifert und Frank Sievers. Ullstein Verlag, 464 Seiten, geb., 24 €

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Schafft 1,2,3 viele Eltern!

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