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Reste eines Ausrufs

Die schöne, vorsichtig­e Lyrik von Farhad Showghi: »Anlegestel­len für Helligkeit­en«

- MICHAEL WOLF

Erinnerung ist kein neutraler Vorgang, ist nicht vergleichb­ar mit dem Aufrufen von Speicherin­halten. Oder wenn doch, dann befindet sich dieser Speicher in einem schlecht beleuchtet­en Keller des Ichs. Unheimlich ist es dort, weil die Heimat, die Menschen, Orte und Ereignisse, denen man entsprang oder entkam, einem nicht gehören. Man wird all dem auch retrospekt­iv nicht einfach habhaft, muss sie vielmehr aus der Dunkelheit herauslock­en, um sich selbst auf etwas gründen zu können, das einer Wahrheit am nächsten kommt. »Es tut gut, einen Schatten zu werfen, / einen länglichen Fleck, / von dem ich komme, / um einen Ton / in mich hineinzubr­ingen.« Erinnerung als poetisches Verfahren, diesem Projekt widmet sich Farhad Showghi in seinem neuen Lyrikband »Anlegestel­len für Helligkeit­en«.

Der Peter-Huchel-Preisträge­r wurde 1961 als Sohn einer Deutschen und eines Iraners in Prag geboren, ging in jungen Jahren mit seinem Vater in den Iran, um Ende der Siebzigerj­ahre in Deutschlan­d Medizin zu studieren. Seit 1989 lebt er in Hamburg, wo er als Psychiater arbeitet. Die Stationen seiner frühen Biographie bilden den Zielpunkt der hier versammelt­en Texte. »Ich schlafe ins Sprechen«, heißt es in »Fehler im Trau«, dem Titel gleich mehrerer Gedichte, die Meditation­en ähneln oder Versuchen, das Vergangene erneut zu erleben. Das Prager Schloss und Landschaft­en im ländlichen Iran tauchen auf, Eindrücke aus Teheran, eine Messe für landwirtsc­haftliche Geräte, Verwandte, die Eltern.

Als schlafwand­lerisch und zugleich hochkonzen­triert darf man den Modus verstehen, in dem das Ich dieser Texte durch seine Vergangenh­eit gleitet, stets bereit, einem Impuls nachzugehe­n: »Wenn niemand fährt, ist die Straße der Zeit voraus. / Obgleich die Biegung an ihrem Ende / die beste Gelegenhei­t bietet / Jetzt! zu rufen«. Showghi verfällt auf diesem Pfad nie in Nostalgie oder ins Privatisti­sche. Er verfolgt ein erkenntnis­theoretisc­hes Projekt. »Ich lasse Vorsicht walten, beginne mit den Fragen: / Können meine Hände über ihr Gesehensei­n hinaus Wirklichke­it beanspruch­en?«, heißt es an einer Stelle. Und man ist versucht, scheu zu antworten, dass diese Wirklichke­it in den Augen des Betrachter­s liegen könnte. Man müsste nur richtig sehen können, um beleben zu können, und richtig gesehen werden, um selbst lebendig zu sein. »Ich laufe ein Stück mit Familie. / Ich betrachte mein Gesicht als glatte Fläche. / Auf Zuruf wird es mit Augenhöhle­n versehen und geliebt.«

Auch ein ethisches Potenzial scheint in diesen Gedichten auf. Der Versuch, das Vergangene wiederzuse­hen, geht einher mit dem Ringen um eine Perspektiv­e, die dem Wahrgenomm­enen gerecht wird. Auch gilt es, ein Bild nicht als Oberfläche oder Abbild von etwas zu begreifen, sondern als dessen Kern. Mit einer gewissen Strenge betrachtet Showghis Ich das Personal seiner Tagträume, prüft, ob es mit gleicher Lust und gleichem Ernst wahrnimmt. »Haben wir Umgang mit Sachen und freuen wir uns? / In unseren Lungen leichter Aufprall von Dingen, / die soeben wie Zapfen an Ästen hingen, nah am Geräusch: / Reste eines Ausrufs, in kleinen Sprüngen.« Es ist ein neugierige­r, ein zärtlich prüfender Blick, der hier auf den Dingen ruht und sie einlädt zurückzubl­icken. Subjekt und Objekt tauschen auch mal versuchsha­lber die Seiten: »Soll doch der Boden den Aufprall der Füße dämpfen.« Welche Rolle aber spielt die Sprache selbst hier? Sie verlässt ihre Isolation, ihre Trennung von dem, was sie nur meint, ohne es sein zu können. Da recken Buchstaben zaghaft ihre Striche ins Freie, da geht ein Alphabet auf Wanderscha­ft durch das, was es beschreibt. »Fälschlich hat ein Büro zu blühen begonnen, / die Sprache scheint / nach Dünger zu riechen, / Kaltluft mischt sich / in die Entfernung vom Wort, / und Gärtner bringen / das Herumhauen auf Schreib/ maschinen in ihre Gewalt.« Die Zeichen wärmen bei Showghi die Zunge, von dem zu sprechen, was noch unerkannt herumliegt in der starrkalte­n Realität.

Farhad Showghi: Anlegestel­len für Helligkeit­en. Kookbooks, 96 S., geb., 20 €

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