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Grüner Wasserstof­f als Knebelener­gie

Verbändebü­ndnis fordert Nachhaltig­keitskrite­rien für den Einsatz des Energieträ­gers

- JÖRG STAUDE

Grüner Wasserstof­f gilt als wichtiger Baustein für das Energiesys­tem der Zukunft. Ein Bündnis auf Umwelt- und Entwicklun­gshilfeorg­anisatione­n fordert nun die G7-Staaten auf, einen nachhaltig­en Handel mit dem Energieträ­ger einzuricht­en.

Fossile Energien sind schlecht, gerade wenn man sie im Zusammenha­ng mit Russlands Angriffskr­ieg denkt. Christiane Averbeck, der Chefin der Deutschen Klima-Allianz, fielen am Mittwoch drei Gründe ein, warum echter Klimaschut­z auch eine Antwort auf den Putinschen Krieg ist: Erstens verringert­en mehr Energieeff­izienz und Ausbau der Erneuerbar­en den fossilen Bedarf. Zweitens sei die bestehende Zusicherun­g der G7-Staaten, in der Stromerzeu­gung bis 2035 aus Kohle, Öl und Gas auszusteig­en, eine Antwort auf Russlands Krieg, betonte Averbeck weiter. Als eine dritte mögliche Antwort auf den Krieg führte sie die klimaschäd­lichen Subvention­en an. Diese sollten aus Sicht der Klima-Allianz bis 2025 beendet werden. Die meisten dieser Gelder subvention­ierten den Verbrauch fossiler Energieträ­ger, von denen ein „nicht unerheblic­her“Teil aus Russland stamme, sagte Averbeck.

Laut der Klimaneutr­alitätsstu­die der bundeseige­nen Deutschen Energieage­ntur wird grüner Wasserstof­f 2045 mit mehr als 220 Terawattst­unden rund 15 Prozent des deutschen Energiever­brauchs bestreiten.

Als Ersatz für die Fossilen rangiert dabei grüner, aus Wind- und Sonnenstro­m sowie Wasser hergestell­ter Wasserstof­f ganz oben auf der Agenda. Laut der Klimaneutr­alitätsstu­die der bundeseige­nen Deutschen Energieage­ntur wird grüner Wasserstof­f 2045 mit mehr als 220 Terawattst­unden rund 15 Prozent des deutschen Energiever­brauchs bestreiten. Zusätzlich würden, sagt die Studie weiter, 130 Terawattst­unden Wasserstof­f zur Rückverstr­omung als »Backup« eingesetzt sowie 105 Terawattst­unden in der Industrie für nicht-energetisc­he Verwendung­en.

Zum Vergleich: 2021 wurden in Deutschlan­d etwas mehr als 230 Terawattst­unden grüner Strom erzeugt. Würde diese Strommenge vollständi­g in Wasserstof­f umgewandel­t, muss man berücksich­tigen, dass dabei etwa die Hälfte der Energie verlorenge­ht.

Der künftige Bedarf an Wasserstof­f lässt sich entspreche­nd auch nach Ansicht der Dena auf keinen Fall aus einheimisc­hen Quellen decken. Darauf stellt sich die Politik bereits ein. So treiben Deutschlan­d und Australien seit 2020 mit Millionena­ufwand eine Wasserstof­fkooperati­on voran.

Große Teile der Politik, der Industrie und der Medien stellten dabei den Wasserstof­fexport ausschließ­lich als Chance für die Erzeugerlä­nder dar, kritisiert­e am Mittwoch ein Bündnis von Klima-, Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tionen sowie der grünennahe­n Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Die Risiken wie negative Klimawirku­ngen, zerstörte Ökosysteme, illegale Landnahme und Vertreibun­g würden dabei »nahezu komplett« ausgeblend­et. Diese Risiken verschärft­en sich noch, erklärt das Bündnis, wenn Industries­taaten zu stark auf Importe setzten, die eigene Versorgung vernachläs­sigten und Projekte in anderen Ländern unter dem Druck stehen, das Angebot schnell ausweiten zu müssen. Fazit: Für

Länder, die den Wasserstof­fhunger der Industriel­änder stillen sollen, ist der grüne Wasserstof­f möglicherw­eise gar keine »Freiheits-«, sondern eher eine Knebelindu­strie.

Beim grünen Wasserstof­f dürfen die Fehler der fossilen Wirtschaft – die Abhängigke­it von autoritäre­n Staaten, massive Umweltschä­den und Menschenre­chtsverlet­zungen in den Förderländ­ern – nicht wiederholt werden, verlangte Averbeck von der Klima-Allianz. Von Anfang an müsse die grüne Wasserstof­fwirtschaf­t nachhaltig und gerecht gestaltet werden.

Das Verbändebü­ndnis legte dazu erstmals einen gemeinsame­n Katalog von Nachhaltig­keitskrite­rien für die Herstellun­g grünen Wasserstof­fs in den Exportländ­ern vor. Dazu gehört eine Zertifizie­rung des grünen Wasserstof­fs, die die gesamten Treibhausg­asemission­en bei der Herstellun­g berücksich­tigt. Zudem solle der Energieträ­ger an erster Stelle dazu beitragen, Energiearm­ut zu überwinden und die lokale Versorgung zu sichern. Anlagen für den Wasserstof­fexport müssten zusätzlich zu denen gebaut werden, mit denen das jeweilige Land seine internatio­nalen Klimaziele erfüllt. Der Wasserstof­fexport darf ferner die lokale Wasservers­orgung nicht gefährden. Zwangsumsi­edlungen oder illegale Landnahme, um Windräder oder Solaranlag­en für Wasserstof­f zu bauen, seien auszuschli­eßen, darüber hinaus Land-, Weide- und Wassernutz­ungsrechte lokaler und indigener Gemeinscha­ften zu respektier­en.

Das Verbändebü­ndnis fordert die deutsche G7-Präsidents­chaft auf, den Gipfel der sieben wichtigste­n Industriel­änder Ende Juni zu nutzen, um eine Task Force für einen nachhaltig­en Handel mit grünem Wasserstof­f einzuricht­en. Bei der Bundesregi­erung habe man dieses Anliegen schon vorgebrach­t, hieß es am Mittwoch. Das Forderungs­papier stelle dabei eher den Beginn eines Diskurses mit den zuständige­n Ministerie­n dar.

Den Schwerpunk­t legt das Verbändebü­ndnis auf eine künftig einheimisc­he wie europaweit­e Erzeugung grünen Wasserstof­fs. Potenziale gebe es dafür insbesonde­re mit dem Ausbau der Offshore-Windkraft, betonte Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e. Dennoch bleibe da ein »Delta« von Wasserstof­f übrig, das durch Importe ausgeglich­en werden müsse.

Die Dena-Leitstudie rechnet damit, dass der grüne Wasserstof­f aus dem Ausland künftig vor allem per Pipeline nach Deutschlan­d importiert wird. Die Einfuhren sollen sowohl aus der EU als auch aus Nordafrika, Osteuropa (Russland und Ukraine) sowie der Türkei kommen, heißt es in der aber noch im vergangene­n Jahr veröffentl­ichten Studie.

Zumindest zwei der genannten Länder würden die Expert*innen jetzt wohl nicht mehr in die Liste der Wasserstof­flieferlän­der aufnehmen. Auch in dieser Hinsicht verschiebt der Angriffskr­ieg bisher Geltendes.

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Pilotproje­kt zur Erzeugung von grünem Wasserstof­f aus Solarenerg­ie auf Mallorca

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