Diese Frau überzeugt mit Kompetenz
Jessica Campbell vom DEB-Team ist die erste Trainerin bei einer Eishockey-WM der Männer
Als die Frage nach ihrer Vorreiterrolle in der Männerwelt Eishockey kommt, lacht Jessica Campbell kurz. »Wenn ich den Weg für andere bereite, ist es toll«, antwortet die Assistentin des deutschen Teams am Mittwoch in Helsinki dann knapp. Sie ist die erste Trainerin bei einer Männer-WM, aber das sei für sie nicht das Wichtigste. »Egal, wer du bist, wo du herkommst, was dein Geschlecht ist – wenn du gut bist, in dem was du tust, solltest du erfolgreich sein können und die Möglichkeit bekommen, es zu tun«, sagt sie.
Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm hat ihr diese Chance vor einigen Wochen gegeben und damit eine geschichtsträchtige Entscheidung getroffen. Als Co-Trainerin gehört die erst 29 Jahre alte Kanadierin nun bei der Weltmeisterschaft in Finnland zum Team des Deutschen Eishockey-Bundes. Auch an diesem Donnerstag, wenn der WM-Vierte von 2021 gegen Dänemark einen womöglich vorentscheidenden Schritt zum Erreichen des Viertelfinals schaffen will (15.20 Uhr/ Sport1), wird sie wie bei den Duellen mit Kanada, der Slowakei und Frankreich wieder hinter der Bande stehen.
Über Nürnberg zum Nationalteam
Im Umfeld des Männer-Eishockeys, in dem Emotionen immer wieder mal in Schlägereien auf dem Eis ausarten, sind Frauen die absolute Ausnahme. Campbell sei die erste weibliche Trainerin in der Weltmeisterschaftsgeschichte der Männer, schrieb der Weltverband IIHF auf seiner Homepage. Dementsprechend groß ist nun das Interesse an der ehemaligen kanadischen Nationalspielerin und WM-Silbergewinnerin von 2015.
Im Trainingsanzug stellt sich Campbell am Mittwoch den Fragen, nachdem sie in der Detailarbeit NHL-Star-Verteidiger Moritz Seider gerade noch Tipps bei der letzten Übungseinheit gegeben hat. Die glitzernden Ohrringe baumeln, den Pferdeschwanz hat sie auf ihre linke Schulter gelegt. Das Interesse an ihr sei »aufregend«, sagt sie zwar und vermittelt doch gleichzeitig totales Selbstbewusstsein. »Ich sehe nicht wirklich Hürden, ich sehe nur Ziele«, sagt sie. »Und mein Ziel als Trainerin war immer, auf dem höchsten Level zu trainieren. Es geht dabei nicht unbedingt um den Männer-Sport oder den Frauen-Sport.« Sie wisse, dass sie eine andere, vielleicht »einzigartige« Sicht auf das Spiel habe. Sie wisse aber nicht, ob das unbedingt eine weibliche Perspektive sei.
Ihr Weg zum Nationalteam und zur WM nach Finnland führte über eine kurze Station bei den Nürnberg Ice Tigers, dessen Sportdirektor Stefan Ustorf den Kontakt zu ihr hatte. Sechs Gespräche habe er mit Campbell geführt, sagt Söderholm, bevor er sie dann auch in seinen Trainerstab holte, um bei diesen Titelkämpfen und der Hoffnung auf die Wiedergutmachung der Enttäuschung von Olympia den größtmöglichen Erfolg zu haben.
»Es ist eine Eishockey-Entscheidung. Für mich ist es völlig egal, ob mein CoTrainer ein Mann oder eine Frau ist«, sagt Söderholm. Die Frauen-Männer-Diskussion möchte der 44-Jährige am liebsten gar nicht weiterführen: »Man dreht sich im Flieger doch auch nicht um, wenn man merkt, dass die Pilotin eine Frau ist.«
Campbell ist sich durchaus bewusst, dass sich ihre Perspektive von der anderer unterscheiden könnte und sie somit im Männer-Eishockey eine bislang freie Nische besetzen kann. Sie denke viel darüber nach, wie sie ihre Sichtweisen vermittele, sagt sie. Söderholm hebt derweil die direkte und klare Kommunikation als eine Stärke der Kanadierin hervor: »Sie hat andere Schlüsselwörter. Wenn ich zwei, drei Sätze brauche, redet sie vielleicht einen Satz«, so der aus Finnland stammende Bundestrainer. »Erfrischend« findet das auch WMNeuling Alexander Ehl.
Ihre andere Ansicht von Spielszenen ist genau das, was sich Söderholm von seiner neuen Co-Trainerin erhofft. Er ist derart überzeugt von Campbell, dass er ihr die Verantwortung für das Unterzahlspiel übertragen hat – ein oft spielentscheidender Faktor.
Sie trete damit in die sehr großen Fußstapfen von Vorgänger Matt McIlvane, sagt Kapitän Moritz Müller. Bei dem Routinier (35) und den anderen in der deutschen Truppe rund um den jungen NHL-Star Moritz Seider (21) kommt Campbell aber bestens an. »Man muss mit Fachkompetenz überzeugen. Da ist es egal, ob man Frau oder Mann ist«, sagt Müller: »Sie kam rein und man hat sofort gemerkt, sie hat es drauf.«