Besorgte Politiker
Am Mittwoch haben sich Politiker von CDU und Grünen zu einem ersten Gespräch nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen getroffen. Sollten sie eine Koalition bilden, kann man getrost von einer Minderheitsregierung sprechen: Gerade einmal 29,7 Prozent der Wahlberechtigten haben für die beiden Parteien gestimmt. Ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP, das noch im Gespräch ist, käme nur auf 27,9 Prozent. Selbst wenn sich alle vier Parteien zusammenschlössen, hätten sie keine Mehrheit hinter sich. Aber das ist sowieso keine schöne Vorstellung.
Die Wahlbeteiligung war mit 55,5 Prozent so gering – es war die niedrigste bei einer NRW-Landtagswahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs –, dass sich Politiker veranlasst sahen, sich besorgt zu zeigen: Das sei „schlecht für die Demokratie“(SPDSpitzenkandidat Thomas Kutschaty), „keine gute Entwicklung für die Demokratie“(CDU-Chef Friedrich Merz) und müsse „allen demokratischen Parteien Sorge machen“(Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang).
Auch für viele Medien war die Wahlbeteiligung, die üblicherweise wenig beachtet wird, ein Thema. Zunächst wurde der „klare“Sieg der CDU vermeldet, die zwar am meisten Stimmen erhielt, aber an Zustimmung einbüßte. Sie wurde von 244 000 Menschen weniger gewählt als bei der letzten Wahl. Ab Montag ging es dann in zahlreichen Beiträgen um mögliche Gründe für die vielen Stimmenthaltungen.
„Es muss was zur Wahl stehen, damit man auch wählen geht“, sagte der Politikwissenschaftler Martin Florack dem WDR. Die beiden Spitzenkandidaten seien nicht gut unterscheidbar gewesen, befand auch Julia Schwanholz von der Uni DuisburgEssen. Daher habe es für viele keine große Rolle gespielt, wer gewinnt. Die rechte AfD, die sich als Alternative zu den „etablierten“Parteien geriert, erhielt ebenfalls viel weniger Stimmen als 2017, was ein kleiner Trost sein mag. Damals habe sie noch etliche ehemalige Nichtwähler mobilisiert, sagte Robert Vehrkamp, Forscher bei der Bertelsmann-Stiftung. Gleichzeitig
habe die Aussicht auf ein starkes Abschneiden Gegner der Rechten mobilisiert.
Die Grünen waren die einzigen, die ordentlich zulegten und von mehr als doppelt so vielen Menschen gewählt wurden wie vor fünf Jahren. Anhänger dieser Partei sind meist gut situiert und haben überdurchschnittlich hohe Einkommen.
Und was ist mit den weniger Betuchten, Arbeitslosen, Beschäftigten, die für einen niedrigen Lohn arbeiten? Es ist seit langem bekannt, dass insbesondere ärmere Menschen nicht wählen gehen – auch daran wurde diese Woche erinnert. Sie haben ihre Gründe: Empirische Studien bestätigen, dass die Bundestagsmehrheit ihre Anliegen oft ignoriert und viel öfter Entscheidungen trifft, die den Wünschen von Bessergestellten entsprechen.
Die besorgten Politiker könnten also etwas tun, um die Demokratie zu stärken: etwa soziale Sicherheitspolitik machen. Lassen sie einen erheblichen Teil der Menschen links liegen, ist das eben „keine gute Entwicklung für die Demokratie“. Eva Roth