nd.DerTag

»Wir wollen beweisen, dass die Operatione­n der ›Iuventa‹ absolut legal waren.«

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Es ist einer der größten Prozesse gegen Seenotrett­er in Italien: Am Samstag wird gegen 21 Menschen der Menschenre­chtsorgani­sationen Jugend rettet, Ärzte ohne Grenzen und Save the Children verhandelt. Auch vier deutsche Crew-Mitglieder des Rettungssc­hiffs »Iuventa« stehen vor Gericht – wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderu­ng«. Zwar geht es in der öffentlich­en Anhörung am Samstag in der sizilianis­chen Hafenstadt Trapani erst einmal nur um die Frage, ob der eigentlich­e Prozess überhaupt stattfinde­n wird. Doch egal wie diese Frage entschiede­n wird: Allein die Tatsache, dass Anklage erhoben wurde, ist ein Skandal.

»Dieser Prozess ist absurd. Politisch, aber auch aus juristisch­er Sicht«, sagt Fulvio Vassallo Paleologo, Rechtsanwa­lt aus Palermo und einer der angesehens­ten italienisc­hen Experten in Sachen Migration zu »nd.dieWoche«. Rund 14000 Menschen hat die Crew der »Iuventa« im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet, bevor ihr Rettungssc­hiff 2017 beschlagna­hmt wurde. »Was mich und die anderen drei von Jugend rettet angeht, beziehen sich die Anklagepun­kte auf nur drei Rettungsmi­ssionen, die im September 2016 und im Juni 2017 stattfande­n. Wie immer haben wir auch damals mit den italienisc­hen Behörden

zusammenge­arbeitet und uns an ihre Anordnunge­n gehalten«, erklärt Dariush Beigui, er ist als Kapitän der »Iuventa« angeklagt. Umso verwunderl­icher sei es, dass die italienisc­he Justiz sie jetzt wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderu­ng« belangen wolle. Auch Kathrin Schmidt, Einsatzlei­terin der »Iuventa«-Crew, findet die Anklage fragwürdig. Sie sagt: »Dieser pompöse Prozess ist eine Drohgebärd­e, die angesichts der Lebensgefa­hr, in der sich Geflüchtet­e auf dem Mittelmeer befinden, seltsam unbedeuten­d wirkt.«

»Pompös« ist wohl das richtige Wort, um den Prozess zu beschreibe­n. Die Ermittlung­en dauerten fast fünf Jahre an, die Anklagesch­rift umfasst 30000 Seiten. Es wurden Unsummen von Steuergeld­ern ausgegeben, um zum Beispiel mit Hilfe der Geheimdien­ste Personen zu beschatten und abzuhören, darunter Journalist­en, Rechtsanwä­lte und Geistliche, die mit dem Prozess überhaupt nichts zu tun haben. Das Ziel davon ist es auch, Aktivisten und Aktivistin­nen abzuschrec­ken. Rechtsanwa­lt Fulvio Vassallo Paleologo erinnert daran, dass sich die Anklage auf eine Zeit bezieht, in der sich »die staatliche­n Schiffe aus dem zentralen Mittelmeer zurückgezo­gen hatten und die Politik beschloss, die Geflüchtet­en im Wasser zurückzula­ssen, anstatt ihnen zu helfen, wie es das internatio­nale Seerecht vorsieht«. Stattdesse­n erklärte die Regierung die Schiffe der Menschenre­chtsorgani­sationen

zu sogenannte­n Pull Faktoren, so als würden sie die Menschen überhaupt erst dazu bringen, aus Libyen zu flüchten. Besonders scharf agierte damals der einstige Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega. Doch auch jetzt noch blockieren italienisc­he Behörden die Rettungssc­hiffe, oft mit bürokratis­chen Begründung­en.

Der »Iuventa«-Crew wird unter anderem vorgeworfe­n, nicht mit der libyschen Küstenwach­e zusammenge­arbeitet zu haben und stattdesse­n direkt mit Schleusern Kontakt gehabt zu haben. Vassallo Paleologo betont, dass die Rettungsmi­ssionen der »Iuventa« sich ereigneten, bevor die offizielle libysche SAR-Zone geschaffen wurde, also das Hoheitsgeb­iet des libyschen Staates, in der dieser für »Suche und Rettung« (Search and Rescue) zuständig ist. Und selbst der Staatsanwa­lt von Agrigento, Salvatore Vella, hat erklärt, dass es bisher »keinerlei Indizien gibt, aus denen eine aktive Rolle der NGOs hervorgeht oder irgendeine Zusammenar­beit mit den Menschenhä­ndlern«.

Was die libyische Küstenwach­e angeht, ist die Gemengelag­e weit unklarer: »Sie existiert nur dank der Gelder, die Europa und vor allem Italien überwiesen haben und überweisen. Vielleicht kann man nicht sagen, dass sie an sich eine Verbrecher­organisati­on ist, aber sie hat sich zahlreiche Verbrechen zuschulden kommen lassen: Sie hat auf Schiffe der NGOs geschossen und sogar auf Boote der Migranten,

um dann zuzusehen, wie sie unterginge­n. Oder auch, um sie dann in einen libyschen Hafen zu schleppen und die Frauen, Männer und Kinder, die sich an Bord befanden, in ein Abschiebel­ager zu bringen, wo sie gefoltert und vergewalti­gt werden. Dass diese Lager oft von Schlepperb­anden ›verwaltet‹ werden, ist keine böswillige Unterstell­ung, sondern ein bewiesener Fakt«, sagt Stefano Galieni, Verantwort­licher für Migration der Europäisch­en Linken, zu »nd.die Woche«.

Auch der Uno-Bericht zu Libyen, der 2017 veröffentl­icht wurde, hält fest, dass »verschiede­ne Mitglieder der Küstenwach­e direkt an der Versenkung von Flüchtling­sschiffen durch Schusswaff­en« beteiligt waren. Des weiteren sei bekannt, dass die libysche Küstenwach­e »die Menschenhä­ndler direkt mit Treibstoff versorgt«. Laut des Uno-Flüchtling­swerks UNHCR wurden einige Flüchtling­sboote auch außerhalb der libyschen SAR-Zone, also in internatio­nalen Gewässern, angehalten und die Insassen dann direkt vor Ort an Menschenhä­ndler »verkauft«. »Diese Art der Zusammenar­beit mit Verbrecher­organisati­onen hat es im Fall der ›Iuventa‹ sicherlich nicht gegeben: die Crew hat weit über 10 000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet und davor, in die libyschen Lager zurückgesc­hickt zu werden«, sagt Vassallo Paleologo. Es gebe inzwischen auch mehrere Gerichtsur­teile, die erklären, dass Libyen keine »sicheren Häfen« für Flüchtling­e garantiere­n kann. »Deshalb sind kollektive Abschiebun­gen nach Libyen schlichtwe­g illegal.«

Über 20 Mal wurde in den letzten Jahren in Italien die Anklage der »Beihilfe zur illegalen Einwanderu­ng« gegen NGOs erhoben. Der allergrößt­e Teil wurde entweder fallengela­ssen oder aufgehoben. Nur drei sind noch aktiv. Es gibt bisher aber nicht eine einzige Verurteilu­ng in diesem Sinne. Rechtsanwa­lt Nicola Canestrini, der die Crew der »Iuventa« vor Gericht vertritt, erklärt, was er dem Richter klar machen möchte: »Wir wollen beweisen, dass die Operatione­n der ›Iuventa‹ absolut legal waren, da jeder Mensch das Anrecht darauf hat, einen Asylantrag zu stellen. Und darauf, im Meer vor dem sicheren Ertrinken gerettet zu werden. Die Crew steht vor Gericht, weil sie grundlegen­de Menschenre­chte verteidigt hat. Tatsächlic­h müssten diejenigen vor Gericht stehen, die diese Rechte ignorieren.« Menschenre­chtsorgani­sationen fordern die Einstellun­g des Verfahrens: »Italien muss dieses Verfahren endlich einstellen und die Kriminalis­ierung von Seenotrett­ung ein für alle Mal beenden«, sagt Franziska Vilmar, Expertin für Asylpoliti­k bei Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d.

Und trotzdem. Die Angeklagte­n im Fall »Iuventa« riskieren extrem hohe Strafen: Bis zu 20 Jahre Haft und außerdem ein Bußgeld von 11 000 Euro für jede Person, die gerettet wurde.

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