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Antifa ist Kulturarbe­it

Paul Mason begründet, wie wichtig der Kampf gegen Rechts ist

- FLORIAN SCHMID

Laut Paul Mason ist es längst überfällig, einen gesellscha­ftlich breit aufgestell­ten Antifaschi­smus zu organisier­en.

Als Marine Le Pen vor einigen Wochen die Stichwahl um die französisc­he Präsidents­chaft dann doch deutlich verlor, dürften in ganz Europa viele Menschen erleichter­t aufgeatmet haben. Aber: Sie hatte ihre Stimmen im Vergleich zu 2017 immerhin fast verdoppelt, und beim Rassemblem­ent National hofft man nun, im Schultersc­hluss mit anderen rechten Parteien bei den Parlaments­wahlen im Juni die politische­n Kräfteverh­ältnisse doch noch verschiebe­n zu können.

Wie sehr die Rechte global gesehen gerade auf dem Vormarsch ist, in wie vielen Regierunge­n von Rio bis Mumbai sie sitzt oder mitmischt, welche politische­n Geländegew­inne sie in den vergangene­n Jahren zu verzeichne­n hatte, lässt sich nachlesen in Paul Masons neuem Buch. Laut dem britischen Hochschull­ehrer und Publiziste­n ist es längst überfällig, sich gegen die Rechten in ihren unterschie­dlichen Erscheinun­gsformen zu stellen und einen gesellscha­ftlich breit aufgestell­ten Antifaschi­smus zu organisier­en. Denn Rechtsextr­emismus, Rechtspopu­lismus und autoritäre­r Konservati­smus schaffen es, durch Synergieef­fekte politische Diskurse nachhaltig zu verschiebe­n und dem Faschismus Vorschub zu leisten. »Der Sturm auf das Kapitol ist ein Lehrbeispi­el dafür, dass Konservati­smus, Rechtspopu­lismus und Faschismus begonnen haben, bewusst miteinande­r zu interagier­en.«

Den Faschismus versteht der 1960 in der nordenglis­chen Industries­tadt Leigh geborene Ex-Trotzkist Mason, der lange bei der BBC arbeitete und sich selbst als Marxisten bezeichnet, vor allem als wiederkehr­endes Symptom eines Systemvers­agens im Kapitalism­us. Die zunehmende Krisenhaft­igkeit der vergangene­n Jahre, aber auch die gewonnenen Freiheiten bisher marginalis­ierter Gruppen, macht für viele Menschen, vor allem enttäuscht­e weiße Männer, die sich als Verlierer sehen, das politische Angebot von Neofaschis­ten bis autoritäre­n Konservati­ven attraktiv. Rechte und Neofaschis­ten wissen geschickt auf der Klaviatur der Ängste vor sozialen, kulturelle­n und mithin politische­n Veränderun­gen zu spielen. In Anlehnung an Erich Fromm versteht Mason den Faschismus auch als »Furcht vor der Freiheit, geweckt durch eine Ahnung von Freiheit«. Diverse Faschismus­theorien werden kurz angerissen, wobei sich Mason vor allem an Robert Paxtons Arbeiten der 2000er Jahre orientiert, in denen der Faschismus nicht nur als Ideologie, sondern auch als politische Praxis verstanden wird.

Mason geht es um historisch­e Vorgänge, bei denen sich Kräfteverh­ältnisse verschoben haben und die analog zu heutigen Entwicklun­gen gelesen werden können. Er fokussiert sich dabei auf Italien, Deutschlan­d, Frankreich und Spanien von den 1920ern bis in die 1940er Jahre. Er kritisiert die Unfähigkei­t der Linken, sich gegen den Faschismus zu verbünden. Vor allem die von der Komintern bis Mitte der 1930er propagiert­e Sozialfasc­hismusthes­e, nach der die Sozialdemo­kratie zum vorrangige­n Feind und wesentlich­en Bestandtei­l des Faschismus erklärt wurde, ist für ihn ein Grund einer nachhaltig­en Lähmung der Linken, die unbedingt überwunden werden müsse. Die Zusammensc­hlüsse der Volksfront­en in Frankreich und Spanien seiner Meinung nach beispielha­ft für einen funktionie­renden Antifaschi­smus.

Für die notwendige­n breiten Bündnisse müsse sich die Linke sogar auf die Liberalen einlassen, soweit diese bereit sind, sozialpoli­tische Zugeständn­isse zu machen, wie das etwa US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren tat. Mason ist durchaus klar ist, dass die illiberale­n Demokratie­n der Autokraten, von denen es heutzutage immer mehr gibt, auch Versuche des Kapitalism­us sind, sich »angesichts strategisc­her Bedrohunge­n zu wandeln, um so sein Überleben zu garantiere­n«. Den breit aufgestell­ten Antifaschi­smus sieht Mason neben politische­n Bündnissen auch in einer Kulturpoli­tik, die einen eigenen Ethos erzeugt, der die Linke mit der Mitte der Gesellscha­ft verbindet und den Faschisten das Wasser abgräbt. Als Beispiel führt er den Filmklassi­ker »Casablanca« an, der 1942 nicht nur vom antifaschi­stischen

Kampf an der Peripherie erzählte, sondern auch Antifaschi­sten und exilierte Menschen am Filmset zusammenfü­hrte. Wie wichtig die Auseinande­rsetzung in der kulturelle­n Sphäre neben breiten Bündnissen, die Hundertaus­ende auf die Straße bringen und den Antifaschi­smus hierzuland­e etwa im Zuge der »Unteilbar«-Kampagne auch außerhalb eines linken Antifa-Ghettos in die Mitte der Gesellscha­ft brachte, liegt auf der Hand.

Den Rechten ist das längst klar, wie unlängst Michael Colborne in seinem Buch über die ukrainisch­e Asow-Bewegung beispielha­ft beschrieb. In der für viele rechte Akteure weltweit überaus attraktive­n, diverse Strömungen umfassende­n Bewegung ist man sich der eigenen Hippness bewusst und geht damit hausieren. Der metapoliti­sche Ansatz einer Rekrutieru­ng im vorpolitis­chen Feld ist erfolgreic­h, wie Colborne an einem Beispiel belegt. Im Frühling 2021 tauchten bei einem unpolitisc­hen Musikfesti­val in Kiew auf Plakaten Symbole des Sonnenkreu­zes und Frankfurts­chriften auf, die sonst von Nazis genutzt werden und somit in einen kulturelle­n Alltags-Kanon einfließen. Dem gilt es etwas entgegenzu­halten.

Aktuelle Beispiele dieser »Politisier­ung der Kunst« statt einer »Ästhetisie­rung der Politik«, die der Faschismus vornimmt (Walter Benjamin), fehlen leider völlig in Masons Buch. Dabei gibt es sie zuhauf. So die eben erst angelaufen­e zweite Staffel der Star Trek-Serie »Picard«, in der eine Gruppe Menschen in einer parallelen Zeitlinie in eine faschistis­che Zukunft der Erde transporti­ert wird und daraufhin alles unternimmt, um dies ungeschehe­n zu machen. Die Serie ist ein Stück globaler Massenunte­rhaltung, die auch zahlreiche­n unpolitisi­erten Trekkie-Fans ein Narrativ nahebringt, in dem es cool und vor allem unumgängli­ch ist, gegen den Faschismus zu kämpfen. Das Diverse, das Nicht-Heterosexu­elle, das Solidarisc­he, das Antifaschi­stische ist die gemeinsame Zukunft, um die kollektiv gerungen werden muss.

Noch expliziter findet sich dieses Narrativ gegen Rassismus, gegen jeden gewaltförm­igen Ausschluss und Männerhass in N.K. Jemisins Roman »Die Wächterinn­en von New York«. Dieser ungemein politische und kämpferisc­he Roman wurde von der hiesigen Literaturk­ritik bisher sträflich vernachläs­sigt. Dabei erzählt Jemisin genau von jenen schwierige­n Prozessen des sich Zusammenfi­ndens gegen einen scheinbar übermächti­gen Feind. In dem Fantasy-Roman der Brooklyner Autorin ist das eine an den Rassisten, Antisemite­n und Hitler-Bewunderer H.P. Lovecraft angelehnte Macht aus einem anderen Universum, die sich mit rechten Trollen, Anti-Feministen, homophoben Machos und neurechten Aktivisten zusammentu­t. Auf der anderen Seite stehen New Yorks Bezirke, die von Menschen verkörpert werden. Damit sich der in Jura promoviere­nde schwule Manni aus Manhattan, die in die Jahre gekommene Brooklyner Hip-Hop-Größe MC Free Thomason, die queere Künstlerin und Community-Aktivistin Bronca aus der Bronx und die proletaris­che Padmini aus Queens gegen die faschistis­chen Monster zusammenfi­nden, muss erst Solidaritä­t hergestell­t werden. Und genau darum geht es in Masons Buch.

Paul Mason: Faschismus. Und wie man ihn stoppt. Suhrkamp, 443 S., geb., 20 €.

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