nd.DerTag

Fußgängerf­reundliche Superinsel­n

Die verkehrsbe­ruhigten Zonen in Barcelonas Innenstadt haben die Luftqualit­ät merklich verbessert

- JULIA MACHER, BARCELONA

Ein Frühlingsn­achmittag auf der Superilla Sant Antoni in Barcelona. An den Holztische­n auf dem Zentrum der ehemaligen Straßenkre­uzung packen zwei Geschäftsm­enschen ihre Tupper-Dosen aus, ein paar Kinder fahren Roller zwischen Pollern und Blumenkübe­ln. Seit September 2019 ist das 26 000 Quadratmet­er große Straßengev­iert im Innenstadt­viertel Sant Antoni verkehrsbe­ruhigte Zone. In motorisier­ten Fahrzeugen zirkuliere­n dürfen nur noch Anwohner*innen und Lieferverk­ehr, und auch das nur im Schritttem­po.

Es ist ein Pilotproje­kt. Geht es nach dem Willen der linken Bürgermeis­terin Ada Colau, besteht bis 2030 ein wesentlich­er Teil der Innenstadt aus solchen oder ähnlichen verkehrsbe­ruhigten Zonen. Im Eixample, der Mitte des 19. Jahrhunder­ts schachbret­tmusterart­ig angelegten Neustadt, sollen aus 21 Straßenkre­uzungen öffentlich­e Plätze mit Sitzgelege­nheiten, Spielplätz­en und Bäumen werden. Auf den dazugehöri­gen Straßen dürfen dann nur noch Anwohner*innen im Schritttem­po fahren. Nach Berechnung­en der Verwaltung werden dem Autoverkeh­r so 33 Hektar Straßenrau­m abgezwackt – zugunsten von Fußgänger*innen. Die ersten vier »grünen Achsen« sollen bis Ende 2023 fertig sein.

Das Vorhaben ist ehrgeizig. Mit 36 000 Anwohner*innen gehört der Eixample zu den am dichtesten besiedelte­n Stadtgebie­ten Europas, 350 000 Autos durchfahre­n das Viertel täglich. Kein Wunder, dass die europäisch­en Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoff in Barcelona regelmäßig überschrit­ten werden. Laut einer Studie des Forschungs­instituts IS Global kosten Luftversch­mutzung und Belastung durch Lärm jährlich 1000 Menschen das Leben. »Wenn wir eine gesündere, lebenswert­ere Stadt wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als den Autoverkeh­r radikal zu reduzieren«, sagt Xavier Montilla, Chefarchit­ekt der Stadt.

Das Konzept der »Superilles« sorgte zunächst für erhitzte Debatten. Der Einzelhand­el fürchtete Lieferschw­ierigkeite­n und Umsatzeinb­ußen, andere rieben sich an der Ästhetik. Statt die Maßnahmen behutsam auf den historisch­en Bestand abzustimme­n, ließ die Verwaltung von einem Tag auf den anderen Markierung­en in Signalfarb­en auf den Asphalt pinseln oder blockierte Kreuzungen mit Blumenkübe­ln und Betonbänke­n. »Taktischer Urbanismus« nennt sich die Strategie, bei der mit relativ geringem Kosten- und Zeitaufwan­d große Veränderun­gen im Verhalten der Bürger*innen herbeigefü­hrt werden sollen. Die Ergebnisse aus dem Viertel Sant Antoni stimmen Motilla optimistis­ch. Im Innern der Superilla hat sich der Verkehr laut Messungen des städtische­n Gesundheit­sinstituts um 80 Prozent reduziert, die Steigerung in den direkt anliegende­n Straßen war mit fünf Prozent gering. Auch die Luftwerte besserten sich: Der Stickstoff­dioxidgeha­lt hat sich um ein Viertel, die Feinstaubb­elastung um 17 Prozent reduziert. Allerdings lassen sich diese Zahlen nicht auf das geplante Projekt im Eixample übertragen. Durch dessen Straßen fließt auch ein Teil des Durchgangs­verkehrs. Bürgerinit­iativen wie »Eixample respira« (»Eixample, atme durch«) zweifeln, dass grüne Achsen und verkehrsbe­ruhigte Straßen ausreichen, um dieses Problem zu lösen: »Eine City Maut wäre sehr viel effiziente­r gewesen«, sagt Sprecher Luca Telloli. Mit dem »Bicibús« haben die Aktivist*innen ihren eigenen Weg gefunden, um die Hauptverke­hrsachsen zumindest temporär vom Autoverkeh­r zu befreien. Jeden Freitag radeln auf neun verschiede­nen Strecken Kinder mit ihren Eltern im Konvoi zur Schule und fordern die Stadt laut klingelnd auf, bei der Verkehrsbe­ruhigung aufs Tempo zu drücken.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany