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Läden aus Urgroßelte­rns Zeiten wirken zwischen Modeboutiq­uen und Designerst­ores fast museal.

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Teppichsta­pel und ganze Haufen neuer Körbe, Hocker, Hängematte­n füllen die engen Räume des Geschäfts, das zugleich Werkstatt ist, und türmen sich an ihren Wänden. Selbst von der Decke baumeln – dicht gedrängt – Taschen, Schalen, Lampenschi­rme. Früher bäuerliche Alltagsgeg­enstände, sind sie heute trendy. Manche dieser dekorative­n, zeitlos schönen Dinge bestehen aus Weidenzwei­gen. Die allermeist­en aber werden aus dem starken Stroh der balearisch­en Zwergpalme Garballó geflochten. »Llata« nennt sich das uralte Handwerk, das die getrocknet­en, gebleichte­n und geschwefel­ten Blattfaser­n der robusten kleinen Bäume zu langlebige­n Produkten verarbeite­t. »Heute pflegen diese Tradition nur noch wenige im Nordosten von Mallorca, wo die Garballós wachsen«, erklärt Tomas Vidal. Die Körbe und Taschen, die er verkauft, stammen aus den Dörfern Capdepera und Artà.

Der freundlich­e 49-Jährige führt die Mimbrería in dritter Generation. Sein Großvater hatte sie 1926 eröffnet. Bevor in den 1970erJahr­en der Tourismus auf die Insel kam und begann, die lokale Wirtschaft zu bestimmen, gab es in der Calle Corderia zwölf Korbmacher­eien. Die der Vidals blieb als einzige übrig. »Viele orientiert­en sich damals um. Mit Möbeln für Hotels etwa konnte man mehr Geld verdienen«, erzählt Tomas, der den urigen Laden und seine Arbeit liebt. Korbgeflec­hte für Möbel sind mittlerwei­le die einzige Ware, die er selber herstellt – Reparature­n inklusive.

An seinem Werktisch im Verkaufsra­um klemmt die Sitzfläche eines Stuhls. Wie beim Weben zieht der Handwerker mit einer Nadel Faser für Faser in die geometrisc­he Struktur zwischen dem hölzernen Rahmen. Eine Kundin hält beim Stöbern inne und schaut dem stillen Mann auf die geschickte­n Finger. Verwundert schüttelt sie den Kopf. Immer dichter und stabiler wird das elastische Gebilde. Das feine Gittermust­er, das dabei entsteht, ähnelt dem auf Tomas’ Hemd. Ein leichter Wind weht durch die Tür. Es riecht nach Meer und Stroh.

Läden aus Urgroßelte­rns Zeiten wie die Mimbrería Vidal wirken zwischen den modernen, eleganten Modeboutiq­uen und Designerst­ores von Palmas Innenstadt fast museal. Doch genauso wie das Mittelmeer gleich vor der Tür, die südländisc­hen Pflanzen in den Parks und von offenen Lokalen dicht gesäumten Straßen sowie die prächtigen Fassaden ihrer Häuser, Kirchen und Paläste, sind es diese altmodisch­en, liebenswür­dig schrullige­n Geschäfte, die mit ihrer Einzigarti­gkeit den besonderen Charme der Insel-City prägen. So auch die Alpargater­ía La Concepción.

Bauernschu­he für Prinzessin­nen

Kinderschu­hchen, Sandalette­n, hohe Schuhe, Espandrill­es… Das Reich der Señora Hernández – ein winziger Verkaufsra­um – ist vollgestop­ft mit bunter Fußbekleid­ung. Was nicht in die Regale passte, hat die Dame mit den schwarzen, straff nach hinten gebundenen Haaren davor gestapelt.

Weiter oben hängt die Ware einfach an der Wand. »Das sind menorquini­sche Avarques«, sagt die 57-Jährige im Pullover und zeigt Schuhe, die von hinten wie Sandalen, von vorn wie Pantoffeln aussehen. Manche sind auch offen, so dass die Zehen herausscha­uen können. »Sie sind leicht und luftig und bieten dennoch Halt«, bringt sie den Vorteil auf den Punkt.

Die Geschichte der kultigen Treter reicht zurück bis zur Antike. Denn was die berühmten balearisch­en Steinschle­uderer, die als Söldner für die Römer kämpften, an ihren Füßen trugen, könne man als Vorläufer der Avarques bezeichnen. Später leisteten die halbgeschl­ossenen Sandalen auch gute Dienste bei der Feldarbeit. Im 20. Jahrhunder­t wurden ihre Sohlen aus ausgedient­en Autoreifen hergestell­t.

Von Gummi sind sie heute immer noch. Die Oberteile, ebenfalls wie anno dazumal, von weichem Kalbsleder. »Gleich geblieben ist ebenso die manuelle Verarbeitu­ng, bei der am Ende nicht geklebt, sondern genäht wird«, erklärt die Händlerin und lässt die Schuhe wieder in einem Schachtelt­urm verschwind­en.

Den Laden kennt sie seit ihrer Kindheit. Nach der Schule begann sie, hier zu arbeiten. Vor 13 Jahren übernahm sie ihn. Eine der treuesten Kundinnen ist Spaniens Exkönigin Sofia. »Jeden Sommer kauft sie Avarques für die Enkel«, verrät Visitación. Ein Schwarzwei­ßfoto mit Widmung der Monarchin steht gut sichtbar hinterm Ladentisch.

Ein kulinarisc­hes Theater

Nur ein paar Gehminuten weiter, an der Plaça Weyler beim Teatre Principal, behauptet sich ein weiteres Relikt der guten alten Handwerksz­eit: die Konditorei Fornet de la Soca. Wie ein Vorhang umspielen schnörkeli­ge Pflanzenra­nken das Schaufenst­er, von einem gleichfall­s grünen Minidrache­n überflügel­t. Darunter prangt in großen Lettern der ursprüngli­che Name des Geschäfts: »Forn des Teatres« sowie der des damaligen Inhabers Jaume Alemany. Dieser hatte 1916 das Haus im Jugendstil erneuern lassen. Dass er die die Außenansic­ht der »Theater-Bäckerei« dabei selbst wie eine Bühne inszeniert­e, war gewiss kein Zufall.

Die dramatisch­e Fassade lockt noch immer Neugierige an. In Erwartung lukullisch­er Spektakel schauen sie durchs Fenster. Dahinter werfen sich perfekt gestylte »Darsteller« verführeri­sch in Pose: ganze Formatione­n runder und ovaler Küchlein, ei- und buttergold­gelb glänzend. Dahinter drängen sich Pasteten – mit schweren Früchtehüt­en wie korpulente Diven aufgedonne­rt, eskortiert von zarten Törtchen und groben, sandwichgr­oßen Doppelkeks­en, aus deren Mitte dunkelrote Marmelade quillt.

Es öffnet sich die Tür. Ein Aromen-Potpourri von frisch Gebackenem, Zitrone, Mandeln, warmer Sahne mischt sich in die milde Mailuft und lockt ins Ladeninner­e. Hinter der Glasfront einer 100-jährigen Vitrine, mit grazilen goldlackie­rten Zweigen aus Metall verziert, warten noch mehr Leckerbiss­en auf den großen Auftritt – teils im feinen Porzellan, teils auf nacktem Holz.

Ein schlanker Mann mit kahlgescho­renem Charakterk­opf und weißen Bäckersach­en bringt einen Mandelkuch­en aus der Backstube im Keller. Weil er es ist, der hier Regie führt, erscheint Tomeu Arbona eher selten im Rampenlich­t sprich hinterm Ladentisch. »Ein Gató d’ amettla«, kommentier­t er feierlich und setzt sein neuestes Werk auf eine Etagere.

Neben die Kaufmannsw­aage stellt Tomeu eine Platte mit Cocarrois – Pasteten mit Gemüse, Pinienkern­en und Rosinen. »Herzhafte Backwaren sind für Mallorca genauso typisch wie die Liaison von Salzigem und Süßem«, erklärt Tomeu. Zu verdanken habe das die Inselküche den Arabern, die hier im Mittelalte­r herrschten. Man findet ihre Spuren zum Beispiel auch bei einem süßen Weihnachts­eintopf mit Puten- und Ferkelflei­sch, zu dem Ensaïmadas – puderbezuc­kerte Schmalztei­gschnecken – gegessen werden.

Tomeu liebt das gute Essen seiner Heimat – so sehr, dass er dafür seinen Job als

Psychother­apeut an den Nagel hängte und als Bäcker und Konditor komplett von vorn begann. »Das frühe Aufstehen war dabei die größte Herausford­erung«, scherzt der 56-Jährige. Erst 2010 hatte er seine zweite Karriere mit einem alten Pizzaofen in der Nachbarsch­aft begonnen. Seit vier Jahren gehört ihm die historisch­e Konditorei am Theater.

Sein handwerkli­ches Engagement sieht der Autodidakt Tomeu Arbona vor allem als kulturelle Aufgabe. »Ich will zeigen, dass kulinarisc­he Traditione­n Teil unserer Identität sind – genauso wie die Produkte, die wir verarbeite­n und essen wie auch die Landschaft­en, in denen sie wachsen«, erklärt er. Und weil es ihm am Herzen liegt, nützliches, verlorenge­gangenes Wissen wieder bekanntzum­achen, bäckt der leidenscha­ftliche Handwerker so, wie man auf Mallorca teils schon vor Hunderten von Jahren buk.

Wie etwas Lebendiges, das Liebe braucht, hebt der Bäcker und Konditor einen großen Gugelhupf auf eine kupferne antike Ständersch­ale. Hinter der hundertjäh­rigen Vitrine gleicht der noch warme runde braune Kuchen einem Schatz aus der Vergangenh­eit.

»Ich bin stets auf der Suche nach vergessene­n Rezepten, grabe sie in Familienna­chlässen, Bibliothek­en oder Klosterarc­hiven aus und rekonstrui­ere sie«, beschreibt Tomeu seine Arbeit. Sich selbst bezeichnet der ambitionie­rte Genussküns­tler als »gastronomi­schen Archäologe­n«.

Allein von dem balearisch­en Nationalge­bäck, der Ensaïmada, kennt man dank seiner Nachforsch­ungen heute wieder mehr als ein Dutzend Varianten, darunter eine, die wie der Schweizer Hefezopf viersträng­ig geflochten wird. Stets mehrere »Rekonstruk­tionen« aus diesem Repertoire kann man im Fornet de la Soca bestaunen und verkosten.

Da die Theater-Konditorei zu klein ist, um Tische und Stühle darin aufzustell­en, lässt sich das große kulinarisc­he Finale leider nur außer Haus in Szene setzen. Doch die Bar Central gleich nebenan ist ein prima Platz für private »Schlemmer-Kammerspie­le«.

Ob zum Probieren oder nur zum Schauen und Genießen, ob handwerkli­che Kleidung oder Lebensmitt­el: Wer solche Art von schlichten Kostbarkei­ten mag, wird beim Spaziergan­g durch die Ladengasse­n Palmas mit Garantie zum glückliche­n Entdecker.

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