nd.DerTag

Unendliche Flucht

Stefan Otto über die Freizügigk­eit als Menschenre­cht

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Die Not droht ins Unermessli­che zu wachsen. 100 Millionen Menschen sind aktuell vor gewaltsame­n Konflikten geflohen, so viele wie seit Aufzeichnu­ng der Vereinten Nationen nicht. Hungerkata­strophen drohen, weil mit dem Ukraine-Krieg eine der weltweiten Kornkammer­n brach liegt. Und der Klimawande­l führt mancherort­s, wo Wetterkapr­iolen Existenzen zerstören, zu neuerliche­n Fluchtbewe­gungen.

Aktuell gibt es zwar in Europa eine große Hilfsberei­tschaft gegenüber ukrainisch­en Kriegsflüc­htlingen, aber halt auch eine rigorose Abschottun­g gegenüber Flüchtende­n aus Afrika oder Asien. Noch immer müssen private Schiffe in Seenot Geratene aus dem Wasser ziehen, weil sich die EU schändlich­erweise nicht darum kümmert. Die anhaltende Fluchtbewe­gung lässt erahnen, dass eine Abschottun­g von reichen Staaten dauerhaft nicht funktionie­ren wird. Die Flüchtende­n werden sich neue Routen suchen, auch wenn die Abwehr noch brutaler wird und es noch mehr Tote gibt. Damit bröckelt das humanitäre Antlitz der EU noch mehr als ohnehin schon.

Sollen aber Werte der Menschlich­keit weiter Bestand haben, dann brauchen Deutschlan­d und die EU andere Gesetzgebu­ngen, die nicht nur politisch Verfolgten oder Kriegsflüc­htlingen Asyl gewährt, sondern auch jenen, die wegen einer wirtschaft­lichen Perspektiv­losigkeit weggehen – was natürlich illusorisc­h klingt in einer EU, die sich seit Jahren nicht auf eine gerechte Verteilung von Geflüchtet­en einigen kann. Trotzdem ist es wichtig, darauf hinzuweise­n. Weil es endlich Lösungen braucht. Zu viele Menschen sterben auf der Flucht. Freizügigk­eit ist halt ein Menschenre­cht, darauf pochen all jene vor den Zäunen Europas – und kein Bürgerrech­t, das nur für die Reichen aus dem Westen gilt.

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