nd.DerTag

Über 100 Millionen Vertrieben­e weltweit

Immer mehr Menschen flüchten vor Gewalt und neuen komplexen Krisenszen­arien

- DANIEL LÜCKING

Das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen zählt eine Rekordzahl an Menschen, die durch Gewalt vertrieben werden. Das Sicherheit­sforschung­sinstitut Sipri warnt, dass ein neues Krisen-Zeitalter weitere Fluchtgrün­de bringt.

Der russische Angriffskr­ieg in der Ukraine und andere Konflikte haben die Zahl der durch Gewalt vertrieben­en Menschen weltweit erstmals seit Beginn der Aufzeichnu­ngen auf mehr als 100 Millionen ansteigen lassen. Das UN-Flüchtling­shilfswerk (UNHCR) teilte dies am Montag in Genf mit. Laut neuen Angaben war die Zahl der gewaltsam Vertrieben­en weltweit bereits bis Ende 2021 auf 90 Millionen angestiege­n. Durch den Krieg seien in diesem Jahr acht Millionen Menschen innerhalb der Ukraine vertrieben worden und mehr als sechs Millionen Menschen aus dem Land geflohen. »Hundert Millionen ist eine krasse Zahl – ernüchtern­d und alarmieren­d zugleich. Es ist ein Rekord, den es niemals hätte geben dürfen«, sagte der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi. Die Zahl sei ein Weckruf, dass Konflikte gelöst und verhindert werden müssten.

Weitere Konflikte, die zur Rekordzahl beitragen, finden in Äthiopien, Burkina Faso, Myanmar, Nigeria, Afghanista­n und in der Demokratis­chen Republik Kongo statt. Die Zahl der gewaltsam Vertrieben­en enthält den Angaben zufolge Flüchtling­e und Asylsuchen­de sowie 53,2 Millionen Menschen, die innerhalb der Grenzen ihrer Länder ihr Zuhause verlassen mussten.

Das in Stockholm ansässige Forschungs­institut Sipri veröffentl­ichte ebenfalls am Montag einen Bericht, der einen weiteren Anstieg der Geflüchtet­enzahlen nahelegt. Die Forschende­n warnen darin vor einem »neuen Zeitalter der Risiken«. Nicht nur Gewalt führe zu Flucht, sondern auch die zunehmende Verschärfu­ng der Lebensbedi­ngungen. Umweltkris­en sorgen zusammen mit Sicherheit­sproblemen für immer komplexere Spannungsl­agen, auf die die Entscheidu­ngstagende­n nicht vorbereite­t seien. »Die Mischung ist giftig, tiefgreife­nd und schädlich«, warnt die frühere schwedisch­e Außenminis­terin und EU-Umweltkomm­issarin Margot Wallström im Vorwort des Sipri-Berichtes. Institutio­nen, die die Macht hätten, um an Lösungen zu arbeiten, entwickeln nur langsam ein Bewusstsei­n für die Dringlichk­eit.

»Viele Umweltexpe­rten argumentie­ren, dass wir gerade an einem entscheide­nden Punkt stehen: Wir können die Umweltkris­e ihren Lauf nehmen lassen oder das Problem jetzt erkennen und etwas dagegen tun«, so Sipri-Direktor Dan Smith. »Die schlechte Nachricht ist, dass dieser extrem wichtige Moment in eine Zeit fällt, in der die internatio­nale Politik in einem furchtbare­n Zustand ist.«

Überdeutli­ch zeigt sich die Prognose schon jetzt in Somalia, wo sich die anhaltende Dürre mit anderen Folgen des Klimawande­ls kombiniert, die Armut wachsen lässt. Eine schwache Regierung, die auch durch die islamistis­che Terrormili­z Al-Shabaab an Bedeutung verliert, scheitert bislang an der Krise.

»Hundert Millionen ist eine krasse Zahl - ernüchtern­d und alarmieren­d zugleich. Es ist ein Rekord, den es niemals hätte geben dürfen.«

Filippo Grandi UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e

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