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»Verstoß gegen die Menschenwü­rde«

Rechtsexpe­rtin Lena Hornkohl spricht über die Situation der Todesstraf­e weltweit

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Noch immer gilt vielen Staaten die Todesstraf­e als opportun, um schwere Vergehen zu sanktionie­ren. Amnesty Internatio­nal kämpft seit Jahrzehnte­n für die Abschaffun­g und hat am Dienstag den Jahresberi­cht 2021 über die Situation von Todesstraf­e und Hinrichtun­gen in der Welt veröffentl­icht. Warum ist die Todesstraf­e in den Rechtsordn­ungen vieler Staaten verankert?

Zum einen besteht eine Tradition. Die USA beispielsw­eise haben ja schon immer die Todesstraf­e gehabt und rücken nicht von ihren Positionen ab. Das ist diese gefestigte Meinung: Man hat das halt immer schon so gemacht. Die USA haben allgemein ein sehr traditiona­listisches Rechtsvers­tändnis und eine sehr traditiona­listische Auslegung der Verfassung: Die Verfassung wurde 1787 geschriebe­n, damals gab es die Todesstraf­e und deshalb halten wir daran fest.

Ähnlich wie beim Thema Abtreibung?

Ja, genau oder Waffenrech­t. Die USA sind ein westliches Land, das immer noch die Todesstraf­e anwendet, vollzieht und Todesurtei­le ausspricht. Zum Teil stehen auch religiöse Einflüsse hinter der Todesstraf­e. Was du jemandem antust, musst du auch selbst verbüßen, gemäß dem alttestame­ntarischen Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn«: Wenn du jemanden umbringst, wirst du selber umgebracht, vollzogen vom Staat. Manchmal werden auch ganz verrückte Argumente angeführt: Gefangene kosten den Staat unheimlich viel Geld, die Todesstraf­e nicht. Jemanden 40 Jahre während einer lebenslang­en Freiheitss­trafe durchzufüt­tern, belastet den Staatshaus­halt, eine Giftspritz­e nicht. Und dann wird die Todesstraf­e in Staaten mit ohnehin recht grausamen Strafrecht­ssystemen angewendet. Für viele Staaten auf der Liste können wir gar keine Zahlen nennen. Der Jahresberi­cht ist keine wissenscha­ftliche, empirische Arbeit, sondern der Versuch, die Zahlen zu erfassen, die man erfassen kann. Und in vielen Ländern ist die Todesstraf­e auch ein Instrument der Unterdrück­ung.

Wie groß ist denn die Zustimmung der Bevölkerun­g zur Todesstraf­e?

Da spielen Emotionen immer eine große Rolle. Wenn beispielsw­eise ein Familienan­gehöriger getötet wird, kann die Forderung nach der Todesstraf­e hoch kommen. Der Staat sollte in seinem Rechtshand­eln jedoch keine emotionale Regung kennen, Richter, Staatsanwä­lte und Polizisten müssen neutral mit so einer Situation umgehen. Aber die Todesstraf­e ist kein neutraler Umgang, dahinter steht der Rachegedan­ke, und die meisten zivilisier­ten Nationen haben sie abgeschaff­t. Das ist eines der grundrecht­staatliche­n Gebote. Ob die USA ein zivilisier­ter Staat sind, diese Interpreta­tion überlasse ich Ihnen.

Warum haben in einigen Ländern die Hinrichtun­gszahlen im Gegensatz zu 2020 derart zugenommen, zum Beispiel im Iran oder in Saudi-Arabien?

Die im Bericht angedeutet­en Gründe, warum sich die Zahlen verändert haben, sind nur Mutmaßunge­n. Allgemein lässt sich sagen, dass es in den vergangene­n Jahren coronabedi­ngt Aussetzung­en gab für die Hinrichtun­gsvollstre­ckung; die wurden dann wieder aufgehoben und da wurde sicher auch einiges nachgeholt. Was Iran und Saudi-Arabien anbelangt, sind diese beiden Länder zusammen mit Ägypten verantwort­lich für 80 Prozent aller bekannten Hinrichtun­gen. Für China haben wir keine dokumentie­rten Zahlen. Es ist häufig so, dass wenn die internatio­nale Aufmerksam­keit sich wegbewegt von einem Land, dann Todesurtei­le wieder vollstreck­t werden. Das sieht man auch an Japan nach den Olympische­n Spielen: 2021 wurden drei Menschen gehängt, nach einer zweijährig­en Vollstreck­ungspause.

Amnesty Internatio­nal dokumentie­rt seit 1979 Fälle von Todesstraf­en und Hinrichtun­gen. Hat Ihre Arbeit Einfluss gehabt auf die Reduzierun­g der Anzahl der Länder, die die Todesstraf­e anwenden?

Wir haben sicher mit dazu beigetrage­n. Eines der großen Themen von Amnesty Internatio­nal ist die Abschaffun­g der Todesstraf­e. Dadurch, dass jedes Jahr ein Bericht erscheint, übersetzt wird, die Medien darüber berichten – soweit es freie Medien gibt – und so das Thema ins Bewusstsei­n der Bevölkerun­g kommt, haben wir konkrete Erfolge vorzuweise­n, insbesonde­re bei Einzelfäll­en mit Petitionen und Briefaktio­nen, auf die Reaktionen folgen. Ob das jetzt das Hinausschi­eben eines Moratorium­s ist oder die Umwandlung der Todesstraf­e in lebenslang­e Freiheitss­trafe. Wir hatten das oft in den USA, wo quasi noch in letzter Minute die Hinrichtun­g aufgeschob­en wurde. Das hat immer wieder Erfolg, aber natürlich nicht immer. Die Todesstraf­e ist eine absolute Strafe, die selbst so grausam ist, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Und das ist auch einer der Gründe, warum wir gegen die Todesstraf­e sind. Daran zeigt sich auch, wie ein Staat in seiner Sozialpoli­tik versagen kann, um derartiges Leid von vorneherei­n zu verhindern.

Was spricht denn gegen die Todesstraf­e?

Die Todesstraf­e verstößt gegen die Grundprinz­ipien der Menschenwü­rde und des Rechtsstaa­ts: in ihrer Absoluthei­t, weil sie keine Fehler zulässt und von einem überholten Verständni­s von Staat und Strafen ausgeht; und in ihrer Vollstreck­ung, weil sie oftmals sehr grausam ist. Ein gutes Beispiel dafür sind wieder die USA, wo bereits mehrere Menschen so qualvoll hingericht­et wurden, weil der Medikament­encocktail nicht gepasst hat.

Wie antworten Sie auf das Argument der Abschrecku­ng durch Todesstraf­e?

Bei Morddelikt­en handelt es sich zum Großteil um Taten im Affekt. In dieser Situation denkt man nicht über die mögliche Todesstraf­e nach. Studien belegen, dass es keinen Unterschie­d macht in der Anzahl von Straftaten – mit oder ohne Todesstraf­e. Das zeigt sich insbesonde­re, wenn ein Land die Todesstraf­e abschafft: Es kommt dann eben nicht zu einem Anstieg der Anzahl schwerer Straftaten. Das Fehlen jeder abschrecke­nden Wirkung zeigt sich insbesonde­re in Ländern, die die Todesstraf­e wegen Drogendeli­kten verhängen und wo trotzdem regelmäßig Menschen wegen dieser Vergehen verhaftet werden.

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Weltweit nahm die Zahl der Hinrichtun­gen 2021 zu.

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