nd.DerTag

Studie sieht großes Wählerpote­nzial

Fast schon surreal: Die Linke könnte laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung 18 Prozent erreichen

- MAX ZEISING Mario Candeias

Die Linke befindet sich in der größten Krise ihrer fast 15-jährigen Geschichte. Dennoch kann sich laut einer Studie ein beträchtli­cher Teil der Wahlberech­tigten vorstellen, die Partei zu wählen. Wo das größte Potenzial steckt und was diese Leute an einer Wahl der Linken hindert.

Achtmal in Folge hat Die Linke zuletzt bei Wahlen auf Landes- und Bundeseben­e an Zustimmung verloren. Unter den westdeutsc­hen Flächenlän­dern ist sie nur noch im Landtag von Hessen vertreten. Auch im Osten, wo sie einst Volksparte­i war, kann sie – mit Ausnahme von Thüringen – längst nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen. Im Bundestag sitzt sie als Fraktion nur, weil Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann ihre Direktmand­ate verteidigt­en. Auch die Beteiligun­g an insgesamt vier Landesregi­erungen kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich Die Linke in der größten Krise ihrer fast 15-jährigen Geschichte befindet. Manche sprechen gar von einer existenzie­llen Bedrohung.

Unter diesen Umständen wirkt das Ergebnis einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die am Montag veröffentl­icht wurde, fast schon surreal: Auf Grundlage einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Kantar könnte sich fast ein Fünftel der Wahlberech­tigten (18 Prozent, das entspräche etwa 10,8 Millionen Bürger*innen) vorstellen, Die Linke zu wählen. Es sei ein »stabiles Potenzial« für eine sozial-ökologisch

»Es müssen Wege gefunden werden, um eine gemeinsame Ausstrahlu­ngskraft und Glaubwürdi­gkeit zurück zu gewinnen.«

ausgericht­ete linke Partei mit sozialisti­scher Perspektiv­e vorhanden, entspreche­nde Konzepte und Kampagnen vorausgese­tzt, heißt es im Fazit der Studie. Allerdings gelinge die Ausschöpfu­ng dieses Potenzials bisher nicht. »Es müssen Wege gefunden werden, um eine gemeinsame Ausstrahlu­ngskraft und Glaubwürdi­gkeit zurück zu gewinnen«, so Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellscha­ftsanalyse und Autor der Studie. Voraussetz­ung dafür sei »die Lösung der internen Probleme und die Befriedung der harten internen Auseinande­rsetzungen in der Partei«.

Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Demnach beschränkt sich das Potenzial der Linken längst nicht nur auf den urbanen Raum und Städte, sondern findet sich besonders auch in kleineren Orten von 5000 bis 20 000 Einwohner*innen. Ihr größtes Potenzial hat die Partei bei Haushalten mit niedrigem Einkommen bis 1500 Euro monatlich (22 Prozent) beziehungs­weise bis 2500 Euro (24 Prozent). Entspreche­nd werden Maßnahmen gegen die Verringeru­ng von Einkommens- und Vermögensu­ngleichhei­t in Deutschlan­d von potenziell­en Wähler*innen als besonders wichtig betrachtet. Fast ebenso wichtig seien konkrete Maßnahmen zum Schutz des Klimas in Verbindung mit einem sozialen Ausgleich, übrigens am stärksten befürworte­t von Geringverd­ienenden mit einem Haushaltse­inkommen bis 1500 Euro monatlich. Uneins waren sich die Befragten hingegen, ob Die Linke für mehr Sozialismu­s eintreten solle: 54 Prozent Zustimmung im Linken-Potenzial.

Besonders interessan­t ist Folgendes: Das mit Abstand größte Potenzial bei Wähler*innen anderer Parteien hat Die Linke bei Anhänger*innen der Grünen. Gerade in Zeiten, in denen die Grünen in der Ampel-Koalition viele Kompromiss­e eingehen müssen, könnte Die Linke davon profitiere­n. Allerdings haben sich beide Parteien seit Putins Angriff auf die Gesamt-Ukraine außenpolit­isch auseinande­rentwickel­t: Während die Grünen zum Beispiel besonders stark für Waffenlief­erungen eintreten, verteidige­n viele Linke den Pazifismus. Es scheint, als würde der Kurs der Grünen in der Bevölkerun­g deutlich besser ankommen, schließlic­h befindet sich die Partei im Gegensatz zur Linken im Aufwind und erreicht nach aktuellen Umfragen um die 20 Prozent, während Annalena Baerbock und Robert Habeck die beliebtest­en Politiker des Landes sind. Anderersei­ts zeigt sich bei Umfragen zur Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine kein geschlosse­nes Bild, vor allem Ostdeutsch­e sind dagegen: In einer MDR-Umfrage lehnen 69 Prozent der Teilnehmer*innen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Lieferung von Panzern und Co. ab.

Die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung lässt sich diesbezügl­ich sehr unterschie­dlich deuten. So werden unter denjenigen, die sich vorstellen können, Die Linke zu wählen, die außenpolit­ischen Positionen der Partei am häufigsten (zu 43 Prozent) als Grund für die Nichtwahl genannt. Bei den Anhänger*innen von Bündnis 90/Die Grünen ist die Ablehnung der Außenpolit­ik der Linken noch stärker ausgeprägt (62 Prozent). Unter den noch verblieben­en Wähler*innen der Linken allerdings werden gerade die friedenspo­litischen Positionen der Partei häufig als Grund für die Wahlentsch­eidung hervorgebr­acht.

Grundsätzl­ich spricht also zunächst einmal viel dafür, dass es der Linken ohne Überarbeit­ung ihrer Außenpolit­ik sehr schwer fallen dürfte, ihr Wähler*innenspekt­rum über das noch bestehende hinaus zu erweitern. Allerdings: Wie konkret eine linke Außenpolit­ik aussehen könnte, die in der Bevölkerun­g auf eine größere Zustimmung trifft, bleibt unklar. Die Studie rät jedenfalls nicht dazu, die Außenpolit­ik der Grünen einfach zu kopieren, um dann mit mehr Sozialpoli­tik und einem starken Klimabewus­stsein alle unzufriede­nen Grünen-Wähler*innen einfach einzusacke­n. Beispiel: Die Ablehnung der Linken von Krieg taucht nur bei 43 Prozent (der Durchschni­ttswert) der Grünen-Anhänger*innen als Begründung dafür auf, dass sie die Partei nicht wählen – wobei die Formulieru­ng »Ablehnung von Krieg« sehr allgemein gehalten ist. Wer, bitteschön, ist denn für Krieg?

Autor der Studie

 ?? ?? Offensicht­lich lässt Die Linke viele potenziell­e Wähler*innen im Regen stehen
Offensicht­lich lässt Die Linke viele potenziell­e Wähler*innen im Regen stehen

Newspapers in German

Newspapers from Germany