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Abschied vom Afrika-Abend

Leipziger Zoo soll sich von Klischees verabschie­den und sichtbarer mit kolonialer Vergangenh­eit brechen

- HENDRIK LASCH Beschlussv­orlage des Migrantenb­eirats

Der Leipziger Stadtrat hat den Zoo beauftragt, einträglic­he und exotisiere­nde Veranstalt­ungen zu ersetzen. An diesen gab es seit Jahren Kritik, weil sie an koloniale Denkweisen anknüpfen.

»Hakuna Matata« heißt »keine Sorgen«. Mit dieser Redewendun­g auf Swahili überschrei­bt der Zoo Leipzig eine Abendveran­staltung, bei der Besucher »Afrika live erleben« können sollen. Es gibt Trommelklä­nge und Tanz; Kleidung, die selbstvers­tändlich als »farbenfroh« beschriebe­n wird, und Gerichte, die als »fremd« und »exotisch« beworben werden. Für den Zoo sind die Abende eine gute Einnahmequ­elle. Allein »Hakuna Matata« findet jährlich ein Dutzend Mal statt; bis zu 200 Gäste zahlen jeweils 109 Euro ohne Getränke. Ähnliche Veranstalt­ungen drehen sich um Brasilien, Südamerika oder Asien.

Spätestens Ende des Jahres ist freilich Schluss mit den Abenden in ihrer jetzigen Form. Das hat der Stadtrat jetzt auf Antrag des Migrantenb­eirats beschlosse­n. Vorangegan­gen war eine jahrelange Debatte um die Veranstalt­ungen, die nach Ansicht von Kritikern von Klischees und Stereotype­n strotzen. Ein Kontinent mit rund 1,3 Milliarden Bewohnern und extremer kulturelle­r Vielfalt werde auf wenige, vermeintli­ch typische Merkmale reduziert. Der Zoo, ein städtische­r Eigenbetri­eb, der zu den größten touristisc­hen Attraktion­en der Stadt gehört und 2021 trotz Pandemie rund 1,25 Millionen Gäste verbuchte, solle sie durch Formate ersetzen, die »differenzi­ert und reflektier­end« auf Geschichte, Kulturen und Gesellscha­ften blicken.

Mit der Realität in afrikanisc­hen Ländern haben die Abende bisher nichts zu tun. Vielmehr dienten sie dazu, das »Exotisieru­ngsbedürfn­is einer weißen Mehrheitsb­evölkerung (zu) bedienen«, heißt es im Antrag des Migrantenb­eirats. Die Rede ist von der noch immer verbreitet­en »Unart«, nicht-weiße Menschen als »fremd« zu beschreibe­n. Das habe negative Auswirkung­en auf ihr alltäglich­es Leben in Deutschlan­d. Ihre Wurzeln habe diese Sichtweise im Kolonialis­mus, als Menschen in den Kolonien und ihre Kulturen als »primitiv« dargestell­t wurden, um ihre Ausbeutung zu rechtferti­gen. Damit, dass er diese Sichtweise propagiert, knüpft der Leipziger Zoo nach Ansicht seiner Kritiker auf unschöne Weise an die eigene, unselige Geschichte an: Es gebe, so der Antrag, »verstörend­e Parallelen« zu den »Völkerscha­uen« des 19. und frühen 20. Jahrhunder­ts.

Solche »Menschenzo­os« waren in europäisch­en Tiergärten der Zeit populär; in Leipzig fanden ab 1876 rund 40 statt, bei denen über 750 Menschen unter teils entwürdige­nden Bedingunge­n zur Schau gestellt wurden. Völkerscha­uen hätten »zur Verbreitun­g und Schärfung eines eurozentri­schen und rassistisc­hen Blicks« beigetrage­n und damit die »Unterdrück­ung, Versklavun­g, Ermordung und Vergewalti­gung kolonisier­ter Menschen gerechtfer­tigt«, sagt die Initiative »Leipzig Postkoloni­al«, die sich mit dem kolonialen Erbe in der Stadt beschäftig­t und dabei auch den Blick auf den Zoo richtet. Gemeinsam mit anderen Gruppen in einem Bündnis »Decolonize Zoo« drängt sie ihn zu kritischer Reflektion.

Die derart kritisiert­e Institutio­n reagierte bisher brüsk. »Die Behauptung, es gebe ein Versäumnis bei der Aufarbeitu­ng der Zoo-Geschichte, weist der Zoo zurück«, erklärt er auf seiner Internetse­ite. In einem vom Zoo bei ihm in Auftrag gegebenen Gutachten räumte der Historiker Mustafa Haikal im Sommer 2020 zwar ein, bei der Befassung mit der Vergangenh­eit

habe die koloniale Frage womöglich »nicht im Zentrum der Aufmerksam­keit« gestanden, »aber sie hatte ihren Platz und wurde keineswegs verschwieg­en«. Er wirft seinerseit­s den Kritikern vor, »moralische Kategorien« einzusetze­n, um sachliche Diskussion­en zu erschweren. Max Wegener von »Leipzig Postkoloni­al« wiederum sieht den Zoo als »eine der letzten Institutio­nen in der Stadt, die sich sehr sperrt«. Anlässlich der Debatte im Stadtrat erneuerte das Bündnis »Decolonize Zoo« seine Kritik: Es gebe bisher keine Aufarbeitu­ng durch unabhängig­e Experten, mit Organisati­onen von Betroffene­n werde nicht kooperiert, Ergebnisse der Recherchen nicht »sichtbar und zugänglich« präsentier­t.

Der Zoo verwahrte sich anlässlich der Ratsdebatt­e dagegen, dass ihm rassistisc­hes Verhalten, die Fortsetzun­g kolonialis­tischen Handelns und die Reprodukti­on rassistisc­her Stereotype vorgeworfe­n würden. Man werde »unabhängig von politische­n Beschlüsse­n« den Dialog mit dem Migrantenb­eirat und den Künstlern der Abendveran­staltungen fortsetzen. Eine brasiliani­sche Sambagrupp­e wiederum, die bisher an der »Festa do Brasil« beteiligt war, weist den Ratsbeschl­uss entschiede­n zurück und spricht von einem »schweren Eingriff in die Kunstfreih­eit«, der einer Zensur gleichkomm­e.

Es geht um das Exotisieru­ngsbedürfn­is einer weißen Mehrheitsb­evölkerung.

 ?? ?? Kischees über Afrika zum Ergötzen weißer Europäer: Ein »Hakuna Matata«-Abend im Zoo Leipzig
Kischees über Afrika zum Ergötzen weißer Europäer: Ein »Hakuna Matata«-Abend im Zoo Leipzig

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