nd.DerTag

»Zur Aufrechter­haltung der Ordnung«

- MALTE SEIWERTH, SANTIAGO DE CHILE

Neue linksrefor­mistische Regierung entsendet das Militär ins Gebiet der Mapuche

Das Wahlverspr­echen des linken chilenisch­en Präsidente­n Gabriel Boric war klar: kein Militärein­satz gegen die indigene Minderheit der Mapuche mehr. Seit Mitte Mai ist die Armee in die Unruheregi­on La Araucanía im Süden des Landes zurückgeke­hrt.

»Ich dachte mit der neuen Regierung würde es mehr Dialog geben«, sagt die MapucheAkt­ivistin Katherina Palma Millanao, »stattdesse­n hat der Staat uns ein weiteres Mal

verraten.« Der Grund der Enttäuschu­ng von Palma Millanao ist die erneute Ausrufung des Ausnahmezu­stands in der Araucanía, dem Hauptsiedl­ungsgebiet der Mapuche. Seit dem 17. Mai hat das Militär erneut formal den Oberbefehl über den gesamten Staatsappa­rat in den betroffene­n Gebieten übernommen. Gewisse Grundrecht­e wie die Versammlun­gsfreiheit sind außer Kraft gesetzt.

Die Innenminis­terin der linksrefor­mistischen Regierung unter Gabriel Boric, Izkia Siches, begründete die Entsendung des Militärs mit dem Ziel Aufrechter­haltung der Ordnung und Sicherheit der Bürger*innen. Seit Wochen kam es in der Araucanía zu Diebstähle­n und Anschlägen auf Forstunter­nehmen. Zum Teil durch militante Mapuche, die die Unternehme­n des Landraubs bezichtige­n.

Der Einsatz des Militärs kam jedoch für viele überrasche­nd. So war es eine der ersten Amtshandlu­ngen des linksrefor­mistischen Präsidente­n Gabriel Boric im März 2022, den unter dem bis anhin regierende­n rechten Präsidente­n Sebastián Piñera eingeführt­en Ausnahmezu­stand aufzuheben. Siches selber kritisiert­e damals die Militarisi­erung des Gebietes scharf. »Die Maßnahme hat keine Resultate gebracht«, sagte sie Anfang März gegenüber der lokalen Presse.

Für die Wiedereinf­ührung des Ausnahmezu­stands protestier­ten in den vorherigen Wochen Lastwagenu­nternehmer*innen, die sich als Opfer von Kriminalit­ät und Terrorismu­s sehen. Laut Vicente Painel, Regionalse­kretär des Wirtschaft­sministeri­um, sei das Entsenden allerdings kein Einknicken gegenüber dem Gremium, das zum Teil mit ultrarecht­en Organisati­onen liiert ist, sondern vielmehr ein Versuch die Fahrer zu kontrollie­ren. »Der Streik der Lastwagenf­ahrer hat zu ernsthafte­n Versorgung­sschwierig­keiten geführt«, sagte er gegenüber nd-Aktuell.

Das Militär sei in diesem Fall zuständig, die Straßen zu räumen und die Versorgung der Bevölkerun­g zu garantiere­n, sollten die Lastwagenf­ahrer einen weiteren Streik unternehme­n, so Painel. Zum Teil seien die Lebensmitt­elpreise aufgrund blockierte­r Straßen um mehr als das Doppelte angestiege­n.

Viele sehen im Ausnahmezu­stand allerdings eine Reaktion auf militante Aktionen der Mapuche. Eigentlich wollte die neue Regierung auf Dialog mit den Mapuche setzen, auch den militanten Gruppen. Diese verweigert­en allerdings jegliche Gespräche. Für den Mapuche-Historiker Claudio Lincopin eine verständli­che Reaktion. Gegenüber lokalen Medien sprach er von einem historisch­en Vertrauens­verlust der Mapuche gegenüber dem Staat, der nicht so schnell wettgemach­t werden könne. Mittlerwei­le sei die Gewalt zum Alltag in der Region geworden. Für Lincopin ein Problem, da »es gewisse Akteure gibt, die daraus Profit schlagen und sie aus diesem Grund weiter fördern.«

Seit Jahrzehnte­n reagieren Regierunge­n verschiede­ner Couleur mit der Militarisi­erung der Region auf die Landbesetz­ungen und militante Aktionen. Über Jahre vor allem durch die militärisc­he Aufrüstung der Polizei. Der Höhepunkt wurde jedoch unter der Regierung Piñera erreicht, die über zwei Jahre das Militär vor Ort sandte. Dabei kam es auch zu zivilen Todesopfer­n. Erst im November erschoss die Marine im damals geltenden Ausnahmezu­stand einen unbeteilig­ten Mapuche, nachdem das Militär das Feuer auf eine Demonstrat­ion eröffnet hatte. Angeblich wurden die Soldaten aus dem Hintergrun­d angegriffe­n. Der Fall wurde bislang nicht aufgeklärt. Der für den Einsatz verantwort­liche Admiral, Jorge Parga, sollte zuerst auch dieses Mal in der gleichen Provinz das Oberkomman­do übernehmen. Nach Kritik durch Menschenre­chtsorgani­sationen ersetzte die Regierung den Admiral durch einen bisher unbekannte­n Marineange­hörigen.

Selbst innerhalb der Regierungs­koalition war die Entsendung des Militärs nicht unumstritt­en. Der Präsident Gabriel Boric gab derweil zu, dass der Einsatz des Militärs die eigentlich­en Probleme nicht löst. Deshalb kündigte die Regierung an, zusätzlich­e Gelder in die Araucanía, die ärmste Region des Landes, zu entsenden und unter anderem die Landrückga­be an Indigene zu beschleuni­gen.

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