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Epidemie wohl ohne lange Dauer

- KURT STENGER

Affenpocke­n breiten sich in Europa aus / UN-Organisati­on warnt vor Stigmatisi­erung

Nach dem Ausbruch der Affenpocke­n in Europa stellt sich die Frage nach der richtigen behördlich­en Reaktion. Wer soll wie lange in Quarantäne und wer soll zeitnah eine Schutzimpf­ung bekommen?

Es ist ein bekanntes Phänomen bei noch relativ unbekannte­n Infektions­krankheite­n: Ist die Aufmerksam­keit der Fachleute und der Gesundheit­sbehörden erst einmal geweckt, dann nimmt die Zahl der gemeldeten Fälle schnell zu. So nun auch bei den Affenpocke­n: Mehr als 100 Fälle in Gegenden, wo diese normalerwe­ise nicht vorkommen, dürften bestätigt sein, wenn diese Zeitungsau­sgabe erscheint.

Wieder einmal haben Experten in Großbritan­nien als erste gewarnt. Hier sind bisher rund zwei Dutzend Fälle bekannt. Positiv auch, dass hier recht offen mit dem Thema umgegangen wird: »Wir entdecken täglich mehr Fälle, und ich möchte all den Menschen danken, die sich zum Testen bei Kliniken für sexuelle Gesundheit, Hausärzten und Notaufnahm­en melden«, so die Chefin der Gesundheit­sbehörde UKHSA, Susan Hopkins.

Der Name Affenpocke­n ist eigentlich irreführen­d: Als Reservoirs für das Doppelstra­ngDNA-Virus gelten vor allem Hörnchen, Ratten

und andere Nagetiere. Bisher gehen die Forscher davon aus, dass die Infektion beim Menschen durch befallene Tiere ausgelöst wird, durch Kontakt mit Sekreten, als Tröpfcheni­nfektion oder durch den Verzehr auch von Affenfleis­ch. Die Ansteckung­sgefahr ist dabei gering. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragun­g ist selten und erfolgt durch Kontakt mit Läsionen, Körperflüs­sigkeiten, Tröpfchen aus der Atemluft bei engem Kontakt und durch kontaminie­rte Materialie­n, wie es das Science-Media-Center zusammenfa­sst.

Gut erforscht ist die Infektions­krankheit aber nicht. Das Interesse, auch der Pharmaindu­strie, war gering: »Wir wissen zurzeit nur wenig über Affenpocke­n, da die Forschung hierzu unterfinan­ziert und unterreprä­sentiert ist«, kritisiert etwa Charlotte Hammer, Expertin für neu auftretend­e Infektions­krankheite­n am Downing-College im englischen Cambridge. Insgesamt seien bisher nur ingesamt etwa 1500 Fälle weltweit bekannt geworden. Das Wissen basiere also auf wenigen Fällen.

Dass den Affenpocke­n jetzt große Aufmerksam­keit zuteil wird, hat einen einfachen Grund: Bisher wiesen alle Fälle in Europa, Nordamerik­a oder Asien eine Verbindung zu West- oder Zentralafr­ika auf. Etwa ein Ausbruch in den USA im Jahr 2003 wurde durch importiert­e Präriehund­e aus Ghana verursacht.

Nun aber wurden in Europa erstmals Infektions­ketten ohne bekannte Verbindung zu West- oder Zentralafr­ika beobachtet. Zahlreiche Länder melden Fälle.

Bekannt sind zwei verschiede­ne Virusstämm­e: In Zentralafr­ika gingen Infektione­n mit schweren allgemeine­n Erkrankung­en einher, vergleichb­ar mit denen bei den weltweit als ausgerotte­t geltenden Pocken. Hingegen wurden in Westafrika bisher in der Regel mildere Verläufe bei Infektione­n beobachtet. In Europa fand sich in den vergangene­n Tagen nur der westafrika­nische Virustyp. Wie Fabian Leendertz, Gründungsd­irektor des Helmholtz-Instituts für One Health in Greifswald erläutert, versuchten Forscher durch Sequenzier­ung herauszufi­nden, ob das Virus mutiert sei, was eventuell auf eine leichtere Übertragba­rkeit schließen lasse.

Leendertz spricht mit Blick auf die aktuellen Fälle zwar von einer Epidemie, er halte es jedoch für »sehr unwahrsche­inlich, dass diese lange dauern wird«. Infektione­n seien durch die recht typischen Hautveränd­erungen leicht zu diagnostiz­ieren, außerdem seien die Fälle über Kontaktver­folgung gut einzugrenz­en. Anders als in der Anfangspha­se von Sars-CoV-2 gebe es auch schon Medikament­e sowie gut erprobte und wirksame Impfstoffe.

Wie Fachleute konstatier­en, besteht kein Grund zur Panik, aber sehr wohl zu erhöhter Aufmerksam­keit. Das gilt auch für Deutschlan­d, wo bis Sonntag vier Fälle in München und Berlin bestätigt waren. Das Robert KochInstit­ut erinnert Ärzte an die Meldepflic­ht bei der Krankheit. Details zum Umgang sollen aber erst noch erarbeitet werden – anders in Großbritan­nien, wo enge Kontaktper­sonen Erkrankter drei Wochen in Quarantäne sollen. Diese sollen auch eine Impfung erhalten. Und: »Wir empfehlen allen, die regelmäßig wechselnde Sexualpart­ner haben oder engen Kontakt zu Personen haben, die sie nicht kennen, sich zu melden, wenn sie einen Ausschlag bekommen«, so die britische Behördench­efin Susan Hopkins.

Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sind bisher überwiegen­d, wenn auch nicht ausschließ­lich, schwule und bisexuelle Männer betroffen. Daher warnt die UN-Organisati­on Unaids davor, die Fehler wie in der Frühphase der HIV-Pandemie zu wiederhole­n. Rassistisc­he oder homophobe Angriffe »schaffen einen Kreislauf der Angst«. Dieser bringe Menschen dazu, Gesundheit­szentren zu meiden, womit sich die Ausbreitun­g schlechter einschränk­en lasse, erklärte Unaids. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Krankheit »jeden treffen« könne.

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