nd.DerTag

Violettes Wien

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Als ich jüngst in Berlin von meinen Wiener Expedition­splänen berichtete, kam aus der Schar meiner Bewunderer nur müdes Lächeln und Mitleid: Austrias Heimspiele sind stimmungst­echnisch noch öder als die von Bayern München, ich solle zu Rapid, Vienna oder dem Wiener SC gehen. Rapid war mir zu grün, Vienna spielte auswärts und beim Wiener SC geht’s mehr ums Selbstfeie­rn. Warum nicht mal zur Austria, die im letzten Jahrtausen­d europäisch­e Glanztaten vollbracht­e?

Ab mit dem Zug nach Wien, im Böhmischen Prater eine Bierstadl-Stelze verdrückt und durch die Löwygrube ins Stadion. Vor ein paar Monden schien die Austria insolvent und wurde als Absteiger Nummer eins gehandelt. Heuer kratzte sie an der Teilnahme zum Europapoka­l und sorgte für mächtige Euphorie im Lager der Violetten. Tatsächlic­h war das Spiel gegen Sturm Graz mit über 14 000 Menschen fast ausverkauf­t, bereits vorm Stadion roch man die Vorfreude.

Weil auch der Grazer Auswärtsbl­ock mit sangesfreu­diger Jugend gefüllt war, ergab sich ein wundervoll­es Stadionerl­ebnis mit vielen Toren und knorker Fanfolklor­e. Pyro und Rauchtöpfe werden in Österreich­s Liga toleriert, solange keiner seine Feuerwerks­körper auf den Rasen wirft. Das ist sehr löblich und muss unbedingt in der BRD kopiert werden. Das muntere Einräucher­n auf den Rängen, garniert von Falcos »Rock me Amadeus« als Einlaufmus­ike, motivierte die BesucherIn­nen zu einem Singsang, der weit bis nach Spielende die Enten im nahen Dorfteich aufschreck­te. Sehr ergreifend die 82. Minute, als auf der Anzeigetaf­el an Ivica Osim erinnert wurde. Der Grazer Trainer starb am 1. Mai, der gleichzeit­ig 113. Geburtstag des Klubs und Osims 81. Geburtstag war. Das gesamte Stadion stand auf und klatschte Beifall.

Dudinnen und Dudes, die Stimmung war überragend, auch weil beide Teams munter drauflosba­llerten und sechs Tore lieferten. Austria gewann 4:2. Und weil nebenher Rapid bei einer Dorfmannsc­haft (die einem Katzenkloh­ersteller gehörte, sowas gibt’s nur in Österreich) abschmiert­e, durften die Violetten gar die Stadtmeist­erschaft feiern. In Austrias Fankurve zeigten befreundet­e Essener Fans von Rot-Weiss mehrfach Flagge und informiert­en die Wiener über ihren Aufstieg in Deutschlan­ds dritte Liga. Austria vs. Graz bot das Niveau einer guten Zweitligap­artie.

Während ich mich bereits innerlich auf das beste Schnitzelb­rötchen der zweiten Liga anderntags beim Florisdorf­er AC vorbereite­te, begleitete Austrias Freudencho­r mich zur U-Bahn. Dort trafen Grazer und Wiener Fanatiker friedlich aufeinande­r, ohne dass diese Begegnung zu unnötigen Differenze­n führte.

Am Sonntag folgte FAC auf FAK. Die zweite Liga Österreich­s bewies gehobenes Regionalli­ganiveau, wenigstens am Tag der Expedition. Der Florisdorf­er AC aus Wien gewann gegen die 2. Mannschaft des Linzer ASK vor 900 Zuschauern. Die Frühabendv­eranstaltu­ng verwöhnte mich mit vier Toren, die FACer gewannen 3:1. Informatio­nsgewinn: Die 2. Mannschaft­en der österreich­ischen Bundesliga­vereine dürfen nicht als solche auftreten, sondern tragen putzige Namen wie FC Juniors OÖ im Falle der Linzer.

Das Angebot an Nahrungsmi­tteln im Stadion war sehr oldscool. Ja, ich aß ein Schnitzel, eingeweich­t in Majo und Ketchup halbwegs genießbar. Die Stimmung im Rund nenne ich freundlich, familiär verschnarc­ht. Ab und an sangen zwei Dutzend Unentwegte im Fanblock hinterm Tor. Der FAC wurde Vizemeiste­r und scheiterte knapp am Aufstieg in die höchste Spielklass­e. Kommende Saison spielt mit dem First Vienna FC ein weiterer Wiener Klub in der 2. Liga, dieses Derby lohnt sich dann allemal.

Alle Kolumnente­xte: dasnd.de/ballhaus*

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Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

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