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Enorm starke Truppe

Der deutsche Rennstall Bora-hansgrohe sorgt beim Giro d’Italia für Furore

- TOM MUSTROPH, COGNE Jai Hindley

Bei der Italienrun­dfahrt der Radprofis sorgt das zuletzt umstruktur­ierte Bora-Team für Furore. Sogar aus Verteidigu­ngsaktione­n werden Angriffe auf die arrivierte­n Favoriten. So ist ein deutscher Rundfahrts­ieg möglich.

Panik zeichnet sich ab im Gesicht des Olympiasie­gers Richard Carapaz. 80 Kilometer vor dem Ziel der 14. Etappe hat eine bravouröse Attacke der grün-schwarz gekleidete­n Bora-Mannschaft den Topfavorit­en des Giro d’Italia isoliert. All seine Helfer liegen hinter jenem Loch, das die fünf Radprofis des deutschen Rennstalls gerissen haben. »Bora hat uns überrascht. Meine Teamkolleg­en waren zu weit hinten. Damit hatten wir nicht gerechnet. Respekt!«, wird Carapaz nach der Etappe zu Protokoll geben.

Der Ecuadorian­er, Giro-Sieger von 2019, ließ sich zwar nicht abhängen und trägt nun das rosa Trikot des Gesamtführ­enden. Nur sieben Sekunden hinter ihm aber liegt Jai Hindley. Der 26-jährige Australier weiß auch, wie man auf das Podium der Italienrun­dfahrt gelangt. 2020 wurde er Zweiter, damals noch für den Rennstall Sunweb, zu jener Zeit ebenfalls ein in Deutschlan­d gemeldeter Rennstall. Sunweb heißt jetzt DSM, die Lizenz ist niederländ­isch, und Hindley heuerte im vergangene­n Winter bei Bora an. Er wurde damit Teil einer Umstruktur­ierung: Boras Galionsfig­ur Peter Sagan verließ das Team. Mit Neuzugänge­n wie Hindley, dem Russen Alexander Wlassow und dem Kolumbiane­r Sergio Higuita wurde ein Signal zum Angriff auf große Rundfahrte­n gesetzt.

Die Effekte sind schon bei diesem Giro zu sehen. »Wir sind eine enorm starke Gruppe. Wir haben auch sehr starke Leader. Und es macht richtig Spaß, für sie zu fahren«, sagte Lennard Kämna dem »nd«. Dabei entwickelt sich der Norddeutsc­he selbst schon zu einem solchen Führungsfa­hrer. Kämna gewann die Bergetappe am Ätna aus einer Ausreißerg­ruppe heraus.

Seitdem stellte er sich komplett in den Dienst seiner nominellen Kapitäne: Hindley, Wilco Kelderman und der Gesamtsieb­te Emanuel Buchmann aus Ravensburg. Perfekt klappte das auf jener 14. Etappe am vergangene­n Samstag. Zunächst kurbelten Kämna und das italienisc­he Klettertal­ent Giovanni Aleotti. Später gab Kelderman über die Hügellands­chaft des Piemont rings um die alte Kapitale Turin die unverwüstl­iche Lokomotive. Der Niederländ­er sorgte dafür, dass die dezimierte Favoriteng­ruppe klein und überschaub­ar blieb und nur wenigen Favoriten noch der Anschluss gelang.

Es war ein herausrage­nder Tag auch für den deutschen Radsport. Denn erstmals seit den Tagen des berüchtigt­en Team Telekom in der Hoch-Dopingära rund um die Jahrtausen­dwende nahm wieder ein deutscher Radrennsta­ll das Fahrerfeld einer großen Landesrund­fahrt auseinande­r. »Wir haben gezeigt, dass wir das können. Das gibt der gesamten Mannschaft Selbstvert­rauen für die kommenden Tage«, meinte der sportliche Leiter Jens Zemke.

Dabei hatte es eigentlich eine Art Verteidigu­ngsaktion sein sollen: »Unsere Kapitäne

Jai Hindley und Emanuel Buchmann kommen ganz gut über die langen Berge. Bei kurzen Anstiegen fürchteten wir aber Überraschu­ngen. Also haben wir uns etwas einfallen lassen«, so Zemke. Attacke als Defensivst­rategie – mit überrasche­ndem Erfolg. »Wir hatten unseren Plan. Aber dass das so gut funktionie­rt, konnten wir kaum erwarten. Das ganze Team war so irrwitzig gut«, schüttelte Hindley noch auf dem Zielstrich den Kopf.

Der Australier war vom Staub der Straße und dem Schweiß der Anstrengun­gen gezeichnet. Vor allem aber durchflute­ten Glückshorm­one seinen Körper, was an seinen blitzenden Augen nur allzu gut abzulesen war. Er ist plötzlich der starke Mann des Giro. Zweimal bezwang er den wesentlich erfahrener­en Carapaz im Bergsprint. Und der Samstag zeigte, dass er nun vielleicht sogar das stärkere Team im Rücken hat.

Neben dem Attackiere­n beherrscht Hindley auch die Kunst des Wartens. Am Sonntag fuhr er brav dem Team des Führenden hinterher. »Es war ein langweilig­er Tag. Der Schlussans­tieg war einfach nicht steil genug, um Entscheide­ndes zu versuchen«, meinte der Australier nach der Zieleinfah­rt in Cogne.

Spektakel entfachen oder Langeweile aushalten. Hindley, der in einem australisc­hen Nachwuchsl­eistungsze­ntrum groß wurde und erstmals 2017 als Gesamtzwei­ter der Herald Sun Tour auf sich aufmerksam machte, kann alles. Gute Voraussetz­ungen, um Team Bora den ersten Grand-Tour-Sieg zu ermögliche­n. Die dritte und letzte Giro-Woche verspricht, nach dem Ruhetag am Montag mit vier Bergetappe­n und einem Abschlussz­eitfahren noch mal spannender zu werden. Vor allem, weil man von Hindleys Team noch einige Attacken erwarten kann.

»Dass der Plan so gut funktionie­rt, konnten wir kaum erwarten. Das Team war irrwitzig gut.«

Gesamtzwei­ter des Giro d’Italia

 ?? ?? Die grün-schwarze Bora-Armada mit den drei Kapitänen Jai Hindley, Emanuel Buchmann und Wilco Kelderman (v.l.) mischt den Giro auf.
Die grün-schwarze Bora-Armada mit den drei Kapitänen Jai Hindley, Emanuel Buchmann und Wilco Kelderman (v.l.) mischt den Giro auf.

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