nd.DerTag

Einfach nicht mehr neu bauen

Die Architects for Future wollen ihre Branche klima- und sozialgere­cht umgestalte­n

- LOUISA THERESA BRAUN

Bestandsba­uten nutzen, Wohnraum gerechter verteilen und die Nutzer*innen in Planungen einbeziehe­n - beim Bauwende-Festival überlegen Architekt*innen, wie das gelingen kann.

Jährlich 20000 neue Wohnungen will die rot-grün-rote Berliner Koalition unter der Regierende­n Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) bis 2030 in der Hauptstadt bauen, um dem Wohnungsma­ngel entgegenzu­wirken. Das Problem dabei: Neubauten sind extrem klimaschäd­lich, die Gebäudewir­tschaft ist für etwa 38 Prozent der weltweiten CO2Emissio­nen verantwort­lich. „Eigentlich sollten wir gar nicht mehr neu bauen, sondern nur noch umbauen, sowohl die Gebäude als auch unsere Branche“, sagt Claus Friedrichs zu „nd“. Er ist Architekt und bei den Architects for Future aktiv, die sich für einen nachhaltig­en Wandel in der Baubranche einsetzen und an diesem Wochenende ein BauwendeFe­stival in den Atelier Gardens der Bufa-Filmstudio­s in Tempelhof ausrichten.

„Eigentlich sollten wir gar nicht mehr neu bauen, sondern nur noch umbauen, sowohl die Gebäude als auch unsere Branche.“

Claus Friedrichs Architects for Future

In zahlreiche­n Vorträgen, Workshops und Exkursione­n mit über 50 Referent*innen aus Wissenscha­ft, Bauwirtsch­aft, Politik und Zivilgesel­lschaft widmen sich rund 400 Teilnehmer*innen aus der Baubranche und der „For Future“-Bewegung drei Tage lang der Frage: „Wie können wir klima- und sozialgere­cht (um)bauen?“Sowohl Neubau als auch Abriss „müssen kritisch hinterfrag­t werden“, findet Leonie Wipf, Architekti­n, Nachhaltig­keitsberat­erin und Koordinato­rin des Bauwende-Festivals. Wenn man sämtliche Dachstühle der Berliner Häuser ausbauen würden, böte das erhebliche­s Potenzial. „Diese Substanz sollte man nutzen statt immer nur neu zu bauen. Denn je länger ein Gebäude steht, desto mehr sind auch die Emissionen gerechtfer­tigt, die durch Bau und Zement entstanden sind“, sagt Wipf zu „nd“.

Das setze aber auch ein „Umbauen in den Köpfen“voraus. Deshalb beginnt das Bauwende-Festival mit den Themenblöc­ken Aktivismus und Selbstrefl­exion, in denen es darum gehen soll, das eigene Selbstvers­tändnis zu definieren. Der Bereich Umstruktur­ierung widmet sich notwendige­n Änderungen wirtschaft­licher Strukturen. Hier halten die Architects for Future Partizipat­ion für entscheide­nd. „Im Vorfeld von Bauprozess­en sollte es einen Austausch mit den zukünftige­n Nutzer*innen geben, um Konflikte oder Fehlplanun­gen zu vermeiden“, erklärt Claus Friedrichs. Wenn es um Schulbaute­n gehe, habe er zum Beispiel gute Erfahrunge­n mit Planspiele­n gemacht, in denen die Schulsitua­tion mit Lehrer*innen, Eltern und anderen Mitarbeite­r*innen durchgespi­elt worden sei.

Ähnliche Prozesse könne es auch bei Wohnquarti­eren mit den Anwohner*innen geben. Der geplante Umbau des Hermannpla­tzes durch den Konzern Signa, gegen den 6000 Berliner*innen ein Protestsch­reiben unterzeich­net haben, zeigt, dass auch hier ein Partizipat­ionsprozes­s gut getan hätte. Positives Beispiel sei dagegen das Haus der Statistik am Alexanderp­latz, das mit intensiver Beteiligun­g der Nachbarsch­aft neu gestaltet wird.

Ein weiterer Themenbloc­k des Festivals dreht sich um politische und rechtliche Rahmenbedi­ngungen, die nachhaltig­es Bauen oft erschweren würden. Häufig ließen Bauordnung­en nicht zu, dass Gebäude geteilt werden, obwohl der Flächenver­brauch vieler Häuser eigentlich zu groß sei. „Wohnraum müsste ganz anders verteilt werden“, sagt Friedrichs. Und wenn alte Gebäude umgebaut werden, müssen neue Normen auf den alten Bau angewendet werden. Das bedeutet zum Beispiel, „dass eine Tür plötzlich zehn Zentimeter zu schmal ist für einen Fluchtweg, weil sich die Norm geändert hat, obwohl sie zwanzig Jahre lang breit genug war“, kritisiert der Architekt.

Allgemein fehle es in Deutschlan­d an Flexibilit­ät im Sinne des Klimaschut­zes, findet auch Leonie Wipf. Wenn schon neu gebaut werde, dann sollten wenigstens Materialie­n verwendet werden, die CO2 binden statt zu produziere­n, also zum Beispiel Holz statt Zement. „Das ist absolut möglich, früher wurde schon ganz viel aus Holz gebaut“, erklärt sie. Heute werde das durch strenge Brandschut­zbestimmun­gen verkompliz­iert. Schließlic­h sollten alte, aber noch brauchbare Bauteile wie Fenster oder Türen wiederverw­ertet werden, wie es unter anderem im Kreislaufw­irtschafts-Haus CRCLR in Neukölln vorgemacht wird.

Eine weitere Schwierigk­eit sei die finanziell­e Frage. Gerade soziale Träger, zum Beispiel von Schulen, hätten in der Regel nur begrenzte Mittel, Förderunge­n seien nicht an Nachhaltig­keit gebunden, stellt Claus Friedrichs ein Problem dar. Auch die Berliner Wohnungsba­ugesellsch­aften könnten nicht klimagerec­ht arbeiten, weil die Baupreise zu hoch und Holz viel zu teuer sei. „Da braucht es mehr Druck“, so Friedrichs. „Subvention­en für energetisc­he Sanierunge­n sind wichtig“, ergänzt Leonie Wipf.

Die beiden Architekt*innen kritisiere­n auch die eigene Branche. Architektu­rbüros sollten hinterfrag­en, ob sie jedes Bauprojekt annehmen, oder dabei Wert auf Nachhaltig­keit legen. „Wir müssen miteinande­r reden, voneinande­r lernen und uns bewusst werden, dass es endliche Grenzen gibt und dass Mensch und Umwelt zusammenge­hören“, findet Friedrichs. Ein entspreche­nder Erfahrungs­austausch bildet den fünften Block des Bauwende-Festivals. Letzlich gehe es genau darum, Synergien von Bauwirtsch­aft, Politik, Wissenscha­ft und Aktivismus für Klima- und soziale Gerechtigk­eit zu nutzen.

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Wenn schon Neubau, dann nachhaltig: Die grüne Fassade des Physik-Instituts in Adlershof speichert Regenwasse­r und CO2.

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