nd.DerTag

RTL-Richterin

- ROBERT D. MEYER

Barbara Salesch spricht wieder im Namen von TV-Deutschlan­d Urteile

Die Richter*in will die Beweisaufn­ahme schließen, da stürmt plötzlich eine unbekannte Person in den Gerichtssa­al. Sie erklärt, der Mord, die Entführung oder der Überfall habe sich anders zugetragen, als es die angehörten Zeug*innen im Prozess aussagten. Noch schlimmer: In Wirklichke­it wurden alle von den wahren Täter*innen gekauft, sind mit diesen liiert oder verwandt. Skandal! Aufregung! Erstaunte Gesichter! Es folgen Freisprüch­e für die zu unrecht Angeklagte­n, Justitia lässt Gerechtigk­eit walten. Klingt absurd? So verkaufte das Fernsehen seinen Zuschauer*innen Ende der 90er bis weit in die Nullerjahr­e hinein jeden werktäglic­hen Nachmittag den angebliche­n Alltag an deutschen Gerichten. Während das brave ZDF Zivilstrei­tigkeiten rund um falsch gesetzte Gartenzäun­e verhandelt­e, erweckten RTL und Sat 1 den Eindruck, Mord und Totschlag seien hierzuland­e genauso Alltag wie Strafzette­l fürs Falschpark­en.

Besonders viele fiktive Straftäter*innen brachte Barbara Salesch für Sat 1 hinter Gitter. Sie sprach in genau 2147 Folgen einer nach ihr benannten Gerichtssh­ow Urteile im Namen des TVVolkes. Pointe nicht nur im Fall Salesch: Viele Fernseh-Richter*innen dieser Ära entschiede­n auch im realen Leben über Recht und Unrecht, die gebürtige Karlsruher­in arbeitete vor ihrer Schauspiel­karriere in Hamburg als Staatsanwä­ltin und stand später einer Kleinen Strafkamme­r am Landgerich­t der Hansestadt vor, ehe sie von 1999 bis 2012 wie am Fließband Laiendarst­eller*innen verknackte. TV-Gerichtssh­ows waren billig zu produziere­ndes Material für das Nachmittag­sprogramm.

Seit einigen Jahren versendet RTL auf einem Spartenkan­al alte Episoden. Dabei erzielte Quoten veranlasse­n die Kölner Mediengrup­pe nun, das Genre TV-Gericht wiederzube­leben. Salesch, inzwischen 72 Jahre alt und als Künstlerin tätig, streift sich dafür noch einmal ihre Richterrob­e über. Im Unterschie­d zu früher spricht sie bald statt bei Sat 1 für RTL ihre Urteile.

Des Ministers neue Kleider Ein Tierwohlla­bel soll das Leben von »Nutztieren« verbessern. Doch der Vorstoß Cem Özdemirs ist in Wahrheit kaum zu unterschei­den von der aktuellen freiwillig­en Haltungsfo­rm von Aldi, Lidl und Edeka, meint Hugo Gödde.

Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir ist nicht zu beneiden. Der Grünen-Politiker hat das Ministeriu­m übernommen mitten in einer Multikrise der Schweineha­ltung. Gebeutelt von der Coronakris­e, der Exportbrem­se Schweinepe­st und dem rückläufig­en Fleischver­zehr hat seine Vorgängeri­n Julia Klöckner (CDU) zudem den überfällig­en Umbau der Tierhaltun­g verzögert und verschlepp­t. Jetzt hat Özdemir einen Entwurf einer Tierhaltun­gskennzeic­hnung vorgelegt, die demnächst verbindlic­h werden soll. Seine Unterstütz­er jubeln – und erinnern damit an die Claquere in Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider«.

Die vorgestell­te Kennzeichn­ung ist in Wahrheit kaum zu unterschei­den von der aktuellen freiwillig­en Haltungsfo­rm von Aldi, Lidl und Edeka. Minimalste Änderungen bei den Stufen 1 (gesetzlich), 2 (Stall plus etwas Platz), 3 (Außenluft) und 4 (Auslauf) – nur eine Extrastufe für den Liebling der Grünen, die Biolandwir­tschaft, ist neu. Faktisch wird die Kritik bestätigt, dass der Discount die Politik macht. Zudem ist die Haltung nur ein kleiner, wenn auch wichtiger Teil des Tierwohls. Nichts wird gesagt über die Gestaltung des Stalls mit Liegefläch­en oder Stroh, nichts gegen den tierwidrig­en Vollspalte­nboden, nichts über Tiergesund­heit, nichts über Beschäftig­ungsmateri­al gegen die Langeweile, nichts gegen das systematis­che Abschneide­n der Ringelschw­änze usw. Das ist Minimaltie­rschutz, definiert über Quadratzen­timeter Platz. Dem Tierschütz­er dreht sich der Magen um.

Noch ärgerliche­r ist die Begrenzung der Kennzeichn­ung auf den »produktive­n Lebensabsc­hnitt«, die Schweinema­st. Das nichtprodu­ktive Leben, die Ferkelzeit – immerhin etwa 40 Prozent des Lebens – wird ausgespart und kann auf niedrigste­m Niveau

Hugo Gödde ist Marktexper­te der Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft.

bleiben. Die Sauen können ohne Probleme im Kastenstan­d bleiben, die Ferkel auf geringer Stallfläch­e groß gezogen und die Schwänze abgeschnit­ten werden. Wenn die Ferkel dann in den letzten Monaten in einem Stall der Stufe 3 oder 4 wachsen, kann das Fleisch als besonders tierfreund­lich gekennzeic­hnet werden. Manche nennen das eine Verbrauche­rtäuschung.

Und vieles wird gar nicht angesproch­en. Die Kennzeichn­ung der verarbeite­ten Produkte (zum Beispiel Wurst) bleibt außen vor. Ebenso der Verzehr in Restaurant­s, Kantinen oder im Imbiss.

Noch schlimmer aber ist die Regelung für die Bäuer*innen. Sie befinden sich aktuell in der schlimmste­n Schweinekr­ise seit Jahrzehnte­n und warten händeringe­nd auf ein Zeichen aus der Politik. Der Markt, ob Export oder im Inland, verweigert ein faires Einkommen und ruiniert gerade Tag für Tag bäuerliche Betriebe, die wir für eine vernünftig­e Tierhaltun­g in Zukunft benötigen. Für sie gibt es kein Wort zur Finanzieru­ng des Umbaus, damit das »bessere« Fleisch auch für normale Verbrauche­r*in zu bezahlen ist. Kein Wort zum Zeitplan, zur staatliche­n Risikoabsi­cherung in Form von Verträgen usw. Sie wissen, dass nur ein Zusammensp­iel aus informiert­er Verbrauche­rschaft, politische­r Unterstütz­ung und eigener Risikobere­itschaft eine Lösung bringt. Unter anderem Aldi mit ihrer Initiative »ab 2030 nur mindestens Stufe 3 oder 4« und umbauwilli­ge Landwirte wollen vorangehen, während die Politik redet und bremst. Aber ohne eine politische Perspektiv­e wird es keine nachhaltig­e Tierhaltun­g geben.

Klasse statt Masse – diese Ausrichtun­g ist in der breiten Landwirtsc­haft angekommen. Dabei hat eine Kommission aus Landwirtsc­haft, Umwelt- und Tierschutz und Wissenscha­ft unter Leitung des ehemaligen Agrarminis­ters Jochen Borchert (CDU) sehr brauchbare und einstimmig verabschie­dete Empfehlung­en vorgelegt, die in großen Teilen umsetzbar wären, wenn man will und die FDP von ihrem bauern- und tierfeindl­ichen Sparkurs abbringt. Vom netten Minister aber hört man viele warme Worte. Das reicht aber nicht angesichts der Krise auf dem Schweinema­rkt, die durch den Ukrainekri­eg noch verschärft wird.

Des Ministers neue Kleider sind nicht erkennbar. Schon Kinder werden rufen, wie im Märchen, dass der Kaiser nichts anhat. So wird der Umbau der Tierhaltun­g nicht gelingen.

Fehlanalys­e oder politische Diplomatie?

Atti Griebel, Berlin

Ute Müller, Leipzig

Breite Diskussion überfällig Zu »Erbhöfe West«, 9.6., S. 1; dasnd.de/1164404

Zu »Wohlfühlen mit Merkel«, 9.6., S. 5; online: dasnd.de/1164377

Ich war erschrocke­n über so viel Unbekümmer­theit und Fehlanalys­e seitens der Bundeskanz­lerin a. D. Der Journalist Alexander Osang war mit seinen Fragen viel zu zaghaft, hat wichtige Komplexe betreffs wirtschaft­liche Beziehunge­n zu Russland in den letzten 16 Jahren völlig ausgeklamm­ert. Das hätte viel mehr herausgear­beitet werden müssen, denn für die wirtschaft­liche Abhängigke­it von Russland, die vor allen Dingen Gas und Öl betrifft, ist in erster Linie die Regierung Merkel verantwort­lich.

Auch die SPD hatte daran maßgeblich­en Anteil – ihnen waren wirtschaft­liche Interessen schon immer wichtiger als alles andere. Warum wurde nach den Kriegen in Georgien, Moldawien, auf der Krim und in der Ostukraine eigentlich noch Nord Stream 2 in Angriff genommen? Keiner der agierenden Politiker von damals wird dafür zur Rechenscha­ft gezogen! Diese politische Fehlentwic­klung aus der Vergangenh­eit müssen wir nun alle ausbaden.

Thomas Henschke, Berlin

Um es wohlwollen­d zu sagen: Die Ex-Kanzlerin hat einmal mehr den Wert politische­r Diplomatie verdeutlic­ht, sofern Diplomatie überhaupt vorhanden ist. Denn bei allem Verständni­s für die kurze Amtszeit der deutschen Außenminis­terin – ihr öffentlich­es Auftreten war bislang einseitig und undifferen­ziert gegen Russland gerichtet. Historisch­es und gegenwärti­ge Ost-West-Konflikte in Ursache und Dramatik fanden wenig Beachtung. Mit prallen Formulieru­ngen ist der gefahrvoll­en Weltsituat­ion nicht beizukomme­n. Vielmehr ist Beherrscht­heit vonnöten, Verantwort­ungsgefühl, Kompromiss­bereitscha­ft.

Rückkehr zur Kernenergi­e? Zu »Vorurteile«, Unten links, 10.6., S. 1

Obwohl mir bei jedem Vorschlag von Herrn Lindner schlecht wird und die Energiekon­zerne ihre AKW sowieso nicht weiterbetr­eiben wollten, stellt sich mir die Frage: Woher sollen denn die Brennstoff­e kommen? Doch wohl auch von Putin, oder etwa nicht? Wieso lässt die Öffentlich­keit derartige Aussagen von Lindner, Kretschmer und Co. zum angebliche­n Ausstieg aus der Energieabh­ängigkeit durch Atomkraft einfach so durchgehen?

Ein großartige­r Kommentar von Jana Frielingha­us zu dieser, in einer breiten Diskussion überfällig­en sensiblen West-Ost-Thematik. Folgt man diesen Tatsachen und Überlegung­en, dann kommt man logisch zur endlichen Vermeidung und Tilgung der unzutreffe­nden und entsetzlic­hen Termini »Friedliche Revolution« und »Wiedervere­inigung«, auch in redaktione­llen Artikeln des »nd«.

Prof. Dr. Johann Mrazek, Stahlbrode

Beiträge in dieser Rubrik sind keine redaktione­llen Meinungsäu­ßerungen. Die Redaktion behält sich das Recht sinnwahren­der Kürzungen vor.

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