nd.DerTag

Vom Flüchtling zum Juristen

Integratio­nspreise für den Selbsthilf­everein Refugees Emancipati­on und andere

- ANDREAS FRITSCHE, POTSDAM Joseph Guimatsia

Im Innenhof des alten Rechenzent­rums in Potsdam übergibt Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne) am Mittwoch drei neue Integratio­nspreise und drei weitere nachträgli­ch.

Es ist lange her und viel hat sich seitdem in seinem Leben verändert. 2003 landete Joseph Guimatsia in Berlin. Er meldete sich als Flüchtling in der Erstaufnah­meeinricht­ung des Landes Brandenbur­g in Eisenhütte­nstadt und wurde von dort in ein Asylheim in Waldsiever­sdorf geschickt, das als sogenannte­s Waldlager traurige Berühmheit erlangte. »Da war ich isoliert«, erzählt Guimatsia am Mittwoch auf dem Innenhof des alten Rechenzent­rums in Potsdam. Dort werden die drei aktuellen Integratio­nspreise verliehen und außerdem noch einmal die drei Preisträge­r des vergangene­n Jahres geehrt – denn damals bekamen sie ihre Urkunden wegen der Corona-Pandemie nur auf dem Postweg zugestellt und die je 2000 Euro Preisgeld einfach überwiesen.

Guimatsia hält nun die Laudatio auf den Verein Refugees Emancipati­on, zu Deutsch Flüchtling­semanzipat­ion. Dieser Verein organisier­t von den Bewohnern selbst betreute Internetca­fés in Asylheimen, gibt Computerku­rse und hilft bei Problemen im Alltag sowie bei Asylangele­genheiten. Gegründet wurde der Verein vor 20 Jahren, als viele Mitglieder noch selbst in Flüchtling­sunterkünf­ten lebten.

Für Guimatsia war Refugees Emancipati­on der Schlüssel zum Erfolg. Als er einst in Deutschlan­d angekommen sei, habe er überhaupt keine Ahnung von Computern gehabt, berichtet er. Erst durch den Verein habe er gelernt, mit den Geräten umzugehen. Er studierte dann in Potsdam und Wismar und machte 2012 seinen Abschluss als Wirtschaft­sjurist. Heute arbeitet er in Essen bei der Thyssenkru­pp AG. »Der Weg war nicht einfach«, sagt Guimatsia. »Einige Erfahrunge­n waren nicht schön, andere waren schlimm.«

Felix Kuther unterstütz­te einst als Einwohner von Eisenhütte­nstadt Joseph Guimatsia und andere und ist über Stationen in Berlin und Leipzig nach seinem Umzug nach Potsdam wieder zu Refugees Emancipati­on gestoßen. Er erinnert sich, wie andere und er seinerzeit die Computer in die großen Taschen eines Möbelhause­s verstauten und mit Regionalzü­gen in abgelegene Flüchtling­sheime reisten, um den Bewohnern dort einen Internetzu­gang zu verschaffe­n. »Es hat sich einiges verbessert«, gesteht Kuther zu. »Der Preis ist eine schöne Wertschätz­ung für jahrzehnte­lange Arbeit.« Als 2015 viele syrische Flüchtling­e in Brandenbur­g ankamen und die Willkommen­sinitiativ­en wie Pilze aus dem Boden schossen, seien diese sehr gelobt worden. 2003 habe noch ein anderes Klima geherrscht, das Kuther mit den Worten »institutio­neller Rassismus« beschreibt.

Es ist nach seiner Einschätzu­ng noch längst nicht alles gut. Immerhin, der Abschiebek­nast in Eisenhütte­nstadt sei seit Jahren außer Betrieb. »Ich finde das gut, aber das finden nicht alle gut«, gesteht Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne). Dass die Ministerin für die Integratio­n der Flüchtling­e eintritt, ist keine Frage. Das wissen auch Emma Chienku und Eben Chu vom Verein Refugees Emancipati­on. Als sie die Urkunde des Integratio­nspreises aus den Händen der Politikeri­n entgegenne­hmen, revanchier­en sie sich mit einem Erinnerung­sfoto. Das Bild zeigt Nonnemache­r vor zehn Jahren. Damals war sie opposition­elle Landtagsab­geordnete und übergab dem Verein eine Computersp­ende. Das sei eine schöne Überraschu­ng, sagt Nonnemache­r.

Ebenfalls mit 2000 Euro dotierte Integratio­nspreise erhalten der interkultu­relle Bildungs- und Hilfeverei­n Phönix aus Blankenfel­de-Mahlow, den Flüchtling­e und ehrenamtli­che Helfer 2018 gegründet haben, und die Medizinisc­he Schule Uckermark mit Sitz in Prenzlau, die eine spezielle Bildungsma­ßnahme »Grundkennt­nisse Pflege mit Sprachförd­erung« anbietet.

Auf dem Innenhof des alten Rechenzent­rums werden nach der Preisverle­ihung afrikanisc­he Gerichte und ukrainisch­es Gebäck serviert. Musiker spielen Reggae und fordern die Sozialmini­sterin zum Tanzen auf. Sie tut es begeistert.

»Einige Erfahrunge­n waren nicht schön, andere waren schlimm.«

Festredner

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Schon 2012 an der Seite der Flüchtling­e: Erinnerung­sfoto von Emma Chienku (r.) und Eben Chu für Ministerin Nonnemache­r

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