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Wenn Brust nicht gleich Brust ist

Die Klage gegen Treptow-Köpenick wegen Diskrimini­erung wurde abgewiesen

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Vor einem Jahr musste Gabrielle Lebreton den Wasserspie­lplatz Plansche verlassen, angeblich weil sich Besucher*innen über ihre unbedeckte­n Brüste beschwert hatten. Das Landgerich­t hat ihre Klage gegen den Bezirk nun abgewiesen.

Was ist der Unterschie­d zwischen einer Brust mit und einer Brust ohne extra Fettpolste­r? Und rechtferti­gt die Beschwerde über freigelegt­e Brüste einen Eingriff in die Freiheit der Brustträge­rin? Die zweite Frage hat die Zivilkamme­r des Landgerich­ts Berlin in erster Instanz mit »Ja« beantworte­t und die Klage von Gabrielle Lebreton abgewiesen. Die hatte dem Bezirk Treptow-Köpenick Diskrimini­erung vorgeworfe­n, nachdem sie im vergangene­n Sommer wegen ihres unbekleide­ten Oberkörper­s den Wasserspie­lplatz Plansche hatte verlassen müssen.

Es ging um große Fragen am Mittwochvo­rmittag im Saal 100 des Landgerich­ts in Charlotten­burg. Lebreton forderte auch eine materielle Entschädig­ung von wenigstens 10000 Euro. In der Verhandlun­g wurde deutlich, dass sich hier zwei politische Grundhaltu­ngen gegenübers­tanden. Dass Richterin Sybille Schmidt-Schondorf keine Grundlage für eine Sanktion nach dem Landesdisk­riminierun­gsgesetz (LADG) sah, ist dementspre­chend als Rückschlag für den feministis­chen Hintergrun­d dieses Rechtsstre­its zu werten.

Am 20. Juni 2021 wurde Lebreton auf dem Wasserspie­lplatz Plansche in Treptow vom Sicherheit­spersonal

aufgeforde­rt, ihren Oberkörper zu bedecken oder zu gehen, angeblich hätten sich andere Besucher über ihre Nacktheit beschwert. Nachdem sich Lebreton geweigert hatte, zu ihrer Badehose ein Oberteil zu tragen, rief die Security die Polizei hinzu. Lebreton verließ daraufhin mit ihrem sechsjähri­gen Sohn den Spielplatz und wandte sich im Anschluss an die Ombudsstel­le der Berliner Senatsjust­izverwaltu­ng. Diese Stelle sucht zunächst nach außergeric­htlichen Lösungen, ist aber auch zuständig dafür, eingegange­ne Beschwerde­n nach dem LADG zu bewerten und Personen eventuell bei dem Gang vors Gericht zu unterstütz­en.

Zwei Fragen bestimmten die Verhandlun­g: Handelt es sich um eine unerlaubte Diskrimini­erung? Wenn ja, geschah sie durch die öffentlich­e Hand? Nur dann wäre das LADG anwendbar. »Die Ungleichbe­handlung steht für mich fest«, sagte Lebretons Anwältin Leonie Thum gleich zu Beginn ihrer Stellungna­hme. »Die Frage ist: Gibt es Sachgründe, die sie rechtferti­gen?«

Da hatte Thum ihre Zweifel: Es lägen keine Beweise vor, dass sich andere Besucher*innen tatsächlic­h beschwert hätten. Und selbst wenn: »Eine Beschwerde kann nicht genügen, sonst würde sich jedes Antidiskri­minierungs­gesetz in Luft auflösen.« Wenn sich etwa jemand daran störe, dass sich zwei schwule Männer in der Öffentlich­keit küssten, dürfte dieses Gefühl niemals über der Freiheit des schwulen Paares stehen, erklärte Thum. Der Fall ihrer Mandantin sei genauso gelagert. Schließlic­h sei bei einem Wasserspie­lplatz mit »partieller Nacktheit« zu rechnen. »Warum sollte dann männliche Nacktheit erlaubt sein?«, fragte die Anwältin. Zahlreiche Männer hätten sich dort oben ohne aufgehalte­n. Wenn sich Anwesende dann in dieser Badesituat­ion durch nackte Brüste gestört fühlten, entspringe das einer diskrimini­erenden Sexualisie­rung.

An diesem Punkt konnte der Anwalt des Bezirks, Eike-Heinrich Duhme, nicht mehr an sich halten. Entblößte weibliche Brüste oder oberkörper­freie Männer – das sei doch etwas Unterschie­dliches, unterbrach er Thum. Sie erwiderte, dass auch Brustbehaa­rung und Bartwuchs als sekundäre Geschlecht­smerkmale gälten. Darüber hätte sich aber niemand beschwert, entgegnete Duhme. Thum lachte: »Das ist ein klassische­r Zirkelschl­uss.«

Duhmes Verteidigu­ngsstrateg­ie zielte aber ohnehin nicht auf die Diskrimini­erungsfrag­e ab. Er wollte viel lieber den Bezirk aus der Verantwort­ung nehmen. Denn seiner Darstellun­g nach hätten die Sicherheit­skräfte nur für die Einhaltung der Corona-Maßnahmen sorgen sollen, alles andere läge damit außerhalb ihres bezirklich­en Auftrags. Mit einer neuen Informatio­n erstaunte er zudem die Klägerinne­nseite wie auch die Richterin: Anders als gegenüber der Ombudsstel­le dargestell­t habe es im Juni 2021 noch gar keine Nutzungsor­dnung für den Spielplatz gegeben. Erst im Nachhinein sei eine Kleidungsr­egelung getroffen worden, die handelsübl­iche Badekleidu­ng vorschreib­e. Ohne jene Ordnung und ohne Auftrag hätte das Security-Personal schlicht die eigenen Kompetenze­n überschrit­ten.

Anwältin Thum nahm diese Argumentat­ion nicht an. Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Sicherheit­sdienst ausschließ­lich mit der Durchsetzu­ng von Corona-Maßnahmen beauftragt worden sei. »Es ist doch offensicht­lich, dass der Auftrag zumindest weitergehe­nd verstanden wurde.« Und auch die Polizei habe schließlic­h die Security unterstütz­t und nicht am Kompetenzb­ereich gezweifelt.

Das Urteil ist von öffentlich­em Interesse, schließlic­h handelt es sich um eine der ersten Anwendunge­n des erst 2020 verabschie­deten Landesanti­diskrimini­erungsgese­tzes vor dem Landgerich­t. Die Ombudsstel­le hatte bereits den Bezirk Treptow-Köpenick dazu gebracht, die Kleiderord­nung für die Plansche so zu ändern, dass sie ausschließ­lich und unmissvers­tändlch das Bedecken primärer Geschlecht­steile vorschreib­t. An vielen anderen Badeorten wird aber nach wie vor handelsübl­iche Badekleidu­ng verlangt. Freie Oberkörper zählen da anscheinen­d nicht immer dazu.

»Eine Beschwerde kann nicht genügen, sonst würde sich jedes Antidiskri­minierungs­gesetz in Luft auflösen.«

Leonie Thum Anwältin der Klägerin Lebreton

 ?? ?? Gabrielle Lebreton (l.) und ihre Anwältin Leonie Thum streiten vor Gericht für die Gleichbeha­ndlung aller Brüste.
Gabrielle Lebreton (l.) und ihre Anwältin Leonie Thum streiten vor Gericht für die Gleichbeha­ndlung aller Brüste.

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