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Lehrende an Musikhochs­chulen schlagen Alarm

Eine neue Initiative fordert die Überwindun­g der existenzbe­drohenden Beschäftig­ungsverhäl­tnisse in der Branche

- MARTIN HÖFIG

Ein Leben in der berufliche­n Scheinselb­stständigk­eit und unter dem Mindestloh­nniveau: Für viele Lehrende an deutschen Musikhochs­chulen ist das Realität. Sie hoffen auch auf die kommende Kultusmini­sterkonfer­enz.

»Die Situation der Lehre an den Musikhochs­chulen ist geprägt von einem jahrzehnte­langen Missbrauch der Rechtsstel­lung der Lehrenden«, sagt Sebastian Haas. Der 34-jährige Jazztrompe­ter ist Sprecher der Bundeskonf­erenz der Lehrbeauft­ragten an Musikhochs­chulen (BKLM) und hat kürzlich zusammen mit Gleichgesi­nnten in Sachsen die Kampagne »Faire Lehre« gestartet. Das Engagement sei eine Art Pilotproje­kt, da im Freistaat gerade das Hochschulg­esetz novelliert wird. Die Deutsche Orchesterv­ereinigung (DOV), in der Haas im geschäftsf­ührenden Vorstand sitzt, plane jedoch auch schon eine bundesweit­e Kampagne im kommenden Jahr.

»Obwohl die Hochschule­n als Körperscha­ften des öffentlich­en Rechts verpflicht­et sind, die Aufgabe der Hochschull­ehre und des Studienang­ebots zu übernehmen, wurde die Lehre in den vergangene­n 30 Jahren zu über 50 Prozent an freischaff­ende Dozenten ausgeglied­ert«, kritisiert Haas. Viele Lehrbeauft­ragte leben dadurch seit Jahrzehnte­n in der Scheinselb­stständigk­eit und werden schlecht bezahlt. Eine Festanstel­lung und damit einhergehe­nde Mitwirkung­smöglichke­iten in den demokratis­chen Prozessen der Hochschule­n existieren aufgrund der mangelnden Stellen für sie kaum.

Die Lehrbeauft­ragten an den deutschen Musikhochs­chulen sind eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise haben sie neben ihrer Lehrtätigk­eit eine Festanstel­lung in einem Orchester oder sind gar bekannte Musikerper­sönlichkei­ten, die nicht wirklich auf das Lehrhonora­r angewiesen sind. Ganz anders aber sieht es bei jenen Selbststän­digen und langjährig Lehrenden aus, bei denen der Lehrauftra­g an einer Musikhochs­chule die Haupteinna­hmequelle ist. Die bisherigen Bemühungen, diese Gruppe besserzust­ellen, führten zu keiner Verbesseru­ng ihrer Situation.

Der Regelungsb­edarf ist nach wie vor notwendig, bisher verfasste Memorandi zum Umgang mit den Lehrenden reichten eben nicht aus, so Haas, da sie keine rechtliche Bindung haben. Auch fehle eine gewerkscha­ftliche Wirkungsma­cht aufgrund der EU-Regelungen zum Wettbewerb­srecht. »Und durch den Föderalism­us sowie die Hochschula­utonomie herrscht ein Flickentep­pich in den deutschen Musikhochs­chulen. Der Zukunftsve­rtrag, der die Lehre durch Bundesmitt­el verbessern soll, klammert in seiner Betrachtun­g die Lehrbeauft­ragten völlig aus«, sagt Haas.

Die nun entstanden­e Kampagne »Faire Lehre« ist an die im vergangene­n Jahr von wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r*innen an deutschen Hochschule­n und außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen gestartete Initiative #IchbinHann­a angelehnt. Wie jene fordert sie mehr Dauerstell­en und eine faire Bezahlung für die Lehrenden. Dabei wird sie auch von prominente­n Musiker*innen unterstütz­t, beispielsw­eise dem Chefdirige­nten der Sächsische­n Staatskape­lle, Christian Thielemann. »Ohne ein deutliches Umdenken an den Musikhochs­chulen mit ihrer Lehr- und Honorarstr­uktur werden viele hoch qualifizie­rte Musiker und Lehrer im Alter in Armut leben müssen. Das ist unverantwo­rtlich«, so Thielemann.

Auch für den bekannten Jazztrompe­ter und Musikprofe­ssor Till Brönner ist die Zahl der Lehrbeauft­ragten an den Musikhochs­chulen »der Beweis für den Bedarf hoch qualifizie­rter Arbeit auf Professore­nniveau. Das Mindeste sollte dafür eine adäquate und planbare Entlohnung sein«, so der internatio­nal renommiert­e Musiker.

Schon die Corona-Pandemie hat die prekären Bedingunge­n im Kulturbere­ich wie ein Brennglas verdeutlic­ht. Viele freie Kulturscha­ffende können keine Rücklagen bilden, sei es für den Fall unvorherge­sehener Ereignisse wie beispielsw­eise Krankheit oder für das Leben im Alter. Die Folge der sozialen Ausgrenzun­g ist daher überall in der Branche deutlich spürbar. Und durch die jahrelange Abhängigke­it im Lehrauftra­g, ohne jegliche Zukunftspe­rspektive und angemessen­e

Bezahlung, leben viele Musiker*innen schon längst unterhalb der Armutsgefä­hrdungsgre­nze, wie aus Zahlen der Künstlerso­zialkasse hervorgeht.

Die Initiative »Faire Lehre« fordert daher die Überprüfun­g der Hochschulg­esetzgebun­g auf Landes- und Bundeseben­e. »Die rechtliche Sonderstel­lung, die Lehraufträ­ge per Verwaltung­sakt zu vergeben, und somit deren Ansiedlung im Verwaltung­srecht muss beendet werden, um einem Missbrauch vorzubeuge­n und eine diskrimini­erungsfrei­e Kulturpoli­tik zu ermögliche­n«, sagt Haas. Nur durch verbindlic­he Honorarric­htlinien auf Bundeseben­e könnten Kulturscha­ffende eine soziale Teilhabe an der Gesellscha­ft erlangen.

Haas’ Hoffnung ist, dass die nächste Kultusmini­sterkonfer­enz Ende dieser Woche diese Honorarric­htlinien für Lehrende festlegt. »Dann kämen die Hochschule­n als Träger des öffentlich­en Rechts auch ihrer Fürsorgepf­licht allen Lehrenden gegenüber nach. Und nur so erreichen wir das im Koalitions­vertrag vereinbart­e Ziel, Kunst und Kultur und ihre Vielfalt zu fördern und die soziale Lage von Künstler*innen zu verbessern«, so der 34-Jährige weiter. Konkret fordern er und seine Mitstreite­r in Sachsen, dass 75 Prozent der Lehre mit fest angestellt­em Personal gedeckt werden, damit die Hochschule­n die Flexibilit­ät im Lehrangebo­t erhalten, »ohne ihre Hauptaufga­be an ›Leiharbeit­er‹ auszulager­n«, wie Haas es nennt.

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