Lehrende an Musikhochschulen schlagen Alarm
Eine neue Initiative fordert die Überwindung der existenzbedrohenden Beschäftigungsverhältnisse in der Branche
Ein Leben in der beruflichen Scheinselbstständigkeit und unter dem Mindestlohnniveau: Für viele Lehrende an deutschen Musikhochschulen ist das Realität. Sie hoffen auch auf die kommende Kultusministerkonferenz.
»Die Situation der Lehre an den Musikhochschulen ist geprägt von einem jahrzehntelangen Missbrauch der Rechtsstellung der Lehrenden«, sagt Sebastian Haas. Der 34-jährige Jazztrompeter ist Sprecher der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM) und hat kürzlich zusammen mit Gleichgesinnten in Sachsen die Kampagne »Faire Lehre« gestartet. Das Engagement sei eine Art Pilotprojekt, da im Freistaat gerade das Hochschulgesetz novelliert wird. Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), in der Haas im geschäftsführenden Vorstand sitzt, plane jedoch auch schon eine bundesweite Kampagne im kommenden Jahr.
»Obwohl die Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet sind, die Aufgabe der Hochschullehre und des Studienangebots zu übernehmen, wurde die Lehre in den vergangenen 30 Jahren zu über 50 Prozent an freischaffende Dozenten ausgegliedert«, kritisiert Haas. Viele Lehrbeauftragte leben dadurch seit Jahrzehnten in der Scheinselbstständigkeit und werden schlecht bezahlt. Eine Festanstellung und damit einhergehende Mitwirkungsmöglichkeiten in den demokratischen Prozessen der Hochschulen existieren aufgrund der mangelnden Stellen für sie kaum.
Die Lehrbeauftragten an den deutschen Musikhochschulen sind eine sehr heterogene Gruppe. Teilweise haben sie neben ihrer Lehrtätigkeit eine Festanstellung in einem Orchester oder sind gar bekannte Musikerpersönlichkeiten, die nicht wirklich auf das Lehrhonorar angewiesen sind. Ganz anders aber sieht es bei jenen Selbstständigen und langjährig Lehrenden aus, bei denen der Lehrauftrag an einer Musikhochschule die Haupteinnahmequelle ist. Die bisherigen Bemühungen, diese Gruppe besserzustellen, führten zu keiner Verbesserung ihrer Situation.
Der Regelungsbedarf ist nach wie vor notwendig, bisher verfasste Memorandi zum Umgang mit den Lehrenden reichten eben nicht aus, so Haas, da sie keine rechtliche Bindung haben. Auch fehle eine gewerkschaftliche Wirkungsmacht aufgrund der EU-Regelungen zum Wettbewerbsrecht. »Und durch den Föderalismus sowie die Hochschulautonomie herrscht ein Flickenteppich in den deutschen Musikhochschulen. Der Zukunftsvertrag, der die Lehre durch Bundesmittel verbessern soll, klammert in seiner Betrachtung die Lehrbeauftragten völlig aus«, sagt Haas.
Die nun entstandene Kampagne »Faire Lehre« ist an die im vergangenen Jahr von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gestartete Initiative #IchbinHanna angelehnt. Wie jene fordert sie mehr Dauerstellen und eine faire Bezahlung für die Lehrenden. Dabei wird sie auch von prominenten Musiker*innen unterstützt, beispielsweise dem Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle, Christian Thielemann. »Ohne ein deutliches Umdenken an den Musikhochschulen mit ihrer Lehr- und Honorarstruktur werden viele hoch qualifizierte Musiker und Lehrer im Alter in Armut leben müssen. Das ist unverantwortlich«, so Thielemann.
Auch für den bekannten Jazztrompeter und Musikprofessor Till Brönner ist die Zahl der Lehrbeauftragten an den Musikhochschulen »der Beweis für den Bedarf hoch qualifizierter Arbeit auf Professorenniveau. Das Mindeste sollte dafür eine adäquate und planbare Entlohnung sein«, so der international renommierte Musiker.
Schon die Corona-Pandemie hat die prekären Bedingungen im Kulturbereich wie ein Brennglas verdeutlicht. Viele freie Kulturschaffende können keine Rücklagen bilden, sei es für den Fall unvorhergesehener Ereignisse wie beispielsweise Krankheit oder für das Leben im Alter. Die Folge der sozialen Ausgrenzung ist daher überall in der Branche deutlich spürbar. Und durch die jahrelange Abhängigkeit im Lehrauftrag, ohne jegliche Zukunftsperspektive und angemessene
Bezahlung, leben viele Musiker*innen schon längst unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze, wie aus Zahlen der Künstlersozialkasse hervorgeht.
Die Initiative »Faire Lehre« fordert daher die Überprüfung der Hochschulgesetzgebung auf Landes- und Bundesebene. »Die rechtliche Sonderstellung, die Lehraufträge per Verwaltungsakt zu vergeben, und somit deren Ansiedlung im Verwaltungsrecht muss beendet werden, um einem Missbrauch vorzubeugen und eine diskriminierungsfreie Kulturpolitik zu ermöglichen«, sagt Haas. Nur durch verbindliche Honorarrichtlinien auf Bundesebene könnten Kulturschaffende eine soziale Teilhabe an der Gesellschaft erlangen.
Haas’ Hoffnung ist, dass die nächste Kultusministerkonferenz Ende dieser Woche diese Honorarrichtlinien für Lehrende festlegt. »Dann kämen die Hochschulen als Träger des öffentlichen Rechts auch ihrer Fürsorgepflicht allen Lehrenden gegenüber nach. Und nur so erreichen wir das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, Kunst und Kultur und ihre Vielfalt zu fördern und die soziale Lage von Künstler*innen zu verbessern«, so der 34-Jährige weiter. Konkret fordern er und seine Mitstreiter in Sachsen, dass 75 Prozent der Lehre mit fest angestelltem Personal gedeckt werden, damit die Hochschulen die Flexibilität im Lehrangebot erhalten, »ohne ihre Hauptaufgabe an ›Leiharbeiter‹ auszulagern«, wie Haas es nennt.