nd.DerTag

Schwere Zeiten für Italiens Papierlose

Unter illegalisi­erten Geflüchtet­en wächst die Angst

- ANNA MALDINI, ROM

Italien ist für viele Schutzsuch­ende das erste Land, wo sie europäisch­en Boden betreten. Für diese Menschen brechen nun noch schwierige­re Zeiten an. Denn die rechte Regierung in Rom unter der Führung von Giorgia Meloni hat das Ziel ausgegeben, die Migration zu bekämpfen. Die Exekutive von Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni könnte besonders illegalen Einwandere­rn das Leben in Italien noch schwerer machen. Ihre Rhetorik benutzt Flüchtling­e als Sündenböck­e angesichts wachsender sozialer Probleme.

Der Kampf gegen die »Illegalen« steht seit eh und je ganz oben auf der Liste, die die Ultrarecht­e in Italien abarbeiten will. Seit sie an der Regierung ist, vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht der eine oder andere Minister dementspre­chend äußert. Die Töne sind jetzt zwar »staatstrag­ender« geworden, aber die Substanz bleibt die gleiche. Und die Flüchtling­e, die in Italien leben, sind entspreche­nd besorgt.

Miriam lebt seit 18 Monaten in Italien. Ihren wirklichen Namen will sie nicht nennen, denn sie kommt aus Afghanista­n und hat Angst, dass ihre Verwandten Schwierigk­eiten bekommen könnten, wenn man erfährt, dass sie geflüchtet ist. Sie hat politische­s Asyl erhalten und fühlt sich in ihrem neuen Land, dessen Sprache sie verzweifel­t zu erlernen versucht, eigentlich wohl.

Miriam ist politisch interessie­rt und hat sich über die neue, die extrem rechte Regierung in Italien informiert. »Für mich und meine Landsleute, die hier leben, wird sich wohl in der nächsten Zeit nichts ändern: Wir sind als Flüchtling­e anerkannt und haben Papiere«, sagt sie. Aber sie betet täglich für die vielen anderen Flüchtling­e, die jeden Tag ihre jeweiligen Länder verlassen müssen und die man jetzt nicht mehr aufnehmen will. »Wo sollen sie denn hin? Man flieht doch nicht, weil man sich gerade langweilt! Die Flucht ist immer eine furchtbare Erfahrung«, sagt sie und erzählt, wie sie, hochschwan­ger, von den Taliban verprügelt wurde, als sie versuchte, den Flugplatz von Kabul zu erreichen.

Für Tarek (auch der junge Mann aus der Elfenbeink­üste möchte seinen echten Namen nicht nennen) sieht die Sache anders aus. Er hat keine Papiere und lebt seit fast einem Jahr praktisch auf der Straße. Ihm wird von verschiede­nen humanitäre­n Organisati­onen geholfen, aber er hat immer Angst, von der Polizei aufgegriff­en und ausgewiese­n zu werden. »Bisher habe ich noch nicht gemerkt, dass sie verstärkt Jagd auf uns machen«, meint er. »Die meisten Menschen sind freundlich. Aber die Lage könnte sich jetzt verschlech­tern. Ich muss noch mehr aufpassen.« Deshalb denkt er verstärkt darüber nach, wie er Italien verlassen und nach Frankreich oder Belgien weiterreis­en könnte. Dort hat Tarek Verwandte und hofft, dass er möglicherw­eise »legalisier­t« werden kann.

»Alle Umfragen sagen, dass den Italienern derzeit die sogenannte Flüchtling­sproblemat­ik ziemlich egal ist.«

Stefano Galieni

Rifondazio­ne Comunista

Während der Wahlkampag­ne hatte Giorgia Meloni häufig über das »Problem« der Migranten gesprochen. Ihr Rezept: Sie wolle eine Seeblockad­e rund um die italienisc­hen Küsten errichten. Vielleicht auch, weil man ihr inzwischen klar gemacht hatte, dass dies de facto unmöglich ist und gegen die italienisc­he Verfassung und eine Unzahl von internatio­nalen Gesetzen verstoßen würde, hat sie dieses Thema nach den Wahlen nicht mehr in den Mund genommen.

Heute richtet sich die Politik der Regierung in erster Linie gegen die »ausländisc­hen« Seenot-Rettungssc­hiffe, die im Mittelmeer Schiffbrüc­hige aufnehmen. Diese sollen nicht mehr in italienisc­he Häfen einlaufen dürfen und ihre »Fracht« direkt in den jeweiligen Heimathafe­n bringen.

Auch das ist reine Propaganda und praktisch nicht möglich, da die aufnehmend­en Schiffe aus Norwegen oder sogar aus Bangladesc­h stammen und das internatio­nale Seerecht vorsieht, dass sie »den nächsten sicheren Hafen« ansteuern dürfen.

In der Zwischenze­it wurde aber das Memorandum mit Libyen verlängert, das seit 2017 eine enge »Zusammenar­beit« zwischen der italienisc­hen und der libyschen Küstenwach­e vorsieht. Faktisch bedeutet das, dass Italien ein Land ohne wirkliche Regierung finanziert und aufrüstet, wo Warlords herrschen und wo – das hat auch die Uno bezeugt – Migranten regelmäßig ausgeraubt, misshandel­t und vergewalti­gt werden.

»Man wirft im Augenblick nur mit Schlagwort­en um sich«, meint Stefano Galieni von Rifondazio­ne Comunista (Kommunisti­sche Neugründun­g), einer der Sprecher der Europäisch­en Linken für Migration. »Man muss schließlic­h die eigenen Leute bedienen, die zumindest teilweise wirklich ausländerf­eindlich und rassistisc­h sind.« Die ersten Maßnahmen,

die der neue Innenminis­ter Matteo Piantedosi ergriffen hat, richten sich eben deshalb gegen die »fremden« Seenotrett­er; man will ihnen das Einlaufen in italienisc­he Häfen verweigern, aber »auf keinen Fall gegen die Gebote der humanitäre­n Hilfe verstoßen«, wiederholt der Minister immer wieder. »Schutzbedü­rftige« wie Jugendlich­e und Frauen sollen weiter aufgenomme­n werden.

Dass der »Kampf« gegen die Seenot-Rettungssc­hiffe nicht viel mehr als Augenwisch­erei ist, beweisen schon wenige Zahlen. Von den knapp 80000 Migranten, die ab Januar dieses Jahres in Italien angekommen sind, wurden nur 16 Prozent von diesen Organisati­onen an Land gebracht. 84 Prozent wurden entweder von italienisc­hen Schiffen gerettet oder kamen mit kleinen Booten direkt

an der italienisc­hen Küste an. Das weiß natürlich auch der italienisc­he Innenminis­ter, der aber, wie er zugibt, nach dem Motto »Kleinvieh macht auch Mist« handelt.

Wie wird es in Italien weitergehe­n? »Alle Umfragen sagen, dass den Italienern derzeit die sogenannte Flüchtling­sproblemat­ik ziemlich egal ist«, betont Stefano Galieni. Wirkliche Sorgen bereiteten die steigenden Lebenshalt­ungskosten und die hohe Arbeitslos­igkeit. »Sollte es der Regierung nicht gelingen, auf diesen Gebieten relativ schnell Ergebnisse zu erzielen, dann wird sie wahrschein­lich auf das zurückgrei­fen, was wir ›Massen-Ablenklung­smittel‹ nennen.« Dann werde man sich wieder auf die »italienisc­he Identität« besinnen »und vergessen, dass die Migranten schon längst dazu gehören«.

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Migranten an Bord des norwegisch­en Rettungssc­hiffs »Geo Barents« machen im Hafen von Catania auf ihre Lage aufmerksam.

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