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Hetze zeigt Wirkung

Zahl der Anschläge auf Asylunterk­ünfte nimmt laut Bundesregi­erung wieder zu

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Mehrere Jahre ging die Zahl der Angriffe auf Flüchtling­sunterbrin­gungen deutlich zurück. Für 2022 zeichnet sich eine Trendwende ab. Sorgen bereitet die sich verändernd­e gesellscha­ftliche Stimmung.

Sonntagnac­ht in Ellrich, Landkreis Nordhausen, Thüringen: Unbekannte schmieren Nazisymbol­e an die Fassade einer Flüchtling­sunterkunf­t und beschädige­n eine Fenstersch­eibe. Sehnde bei Hannover, nur ein paar Tage zuvor: Ein Mann schießt mit einer Luftdruckp­istole auf ein Haus, in dem Geflüchtet­e aus der Ukraine leben. Die Polizei nimmt einen Tatverdäch­tigen fest, der in unmittelba­rer Nachbarsch­aft lebt.

Zwei Angriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te, die keine Schlagzeil­en machten, anders als der Brandansch­lag Ende Oktober im sächsische­n Bautzen. Flüchtling­sinitiativ­en und Beratungss­tellen von Opfern rechter Gewalt warnten erst in der vergangene­n Woche, dass die gesellscha­ftlichen Spannungen zunähmen und eine asylfeindl­iche Situation wie in den Jahren 2015 und 2016 drohe, wenn die Politik nicht sofort reagiere.

Die Warnzeiche­n häufen sich, wie eine kleine Anfrage der Linksfrakt­ion an das Bundesinne­nministeri­um, die »nd« vorliegt, nun ergeben hat. Demnach steigt die Zahl der Angriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te erstmals seit Jahren wieder. Die Statistik für die ersten neun Monate dieses Jahres listet bisher 65 Anschläge auf Unterkünft­e auf, für das Gesamtjahr 2022 waren es 70 Angriffe. Wenn man berücksich­tigt, dass die Zahlen für das vierte Quartal 2022 noch fehlen und es in der Regel zu zahlreiche­n Nachmeldun­gen kommt, ist die Tendenz deutlich. »Wöchentlic­h werden Unterkünft­e von Asylsuchen­den angegriffe­n. Menschen, die nach Deutschlan­d kamen, um Schutz zu suchen, werden bedroht, beleidigt, angegriffe­n und verletzt. Wo bleibt der gesellscha­ftliche Aufschrei?«, fragt Clara Bünger, fluchtpoli­tische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, die die Anfrage stellte.

Im Vergleich zum Jahr 2015 ist die Zahl der Anschläge auf einem deutlich niedrigere­n Niveau. Damals wurden 1047 Übergriffe auf Unterkünft­e registrier­t, seitdem ging der Wert sukzessive zurück. Mit sinkenden Flüchtling­szahlen ging auch die Zahl rassistisc­her und asylfeindl­icher Proteste zurück, wenngleich die organisier­enden Strukturen dahinter oft erhalten blieben. Hoch blieb indes über die Jahre die Zahl der Angriffe auf Geflüchtet­e außerhalb ihrer Unterkünft­e. Zwischen Januar und September 2022 listet die Statistik 711 Fälle auf, bei jeder fünften Tat handelte es sich um Körperverl­etzung. Bünger sorgt sich, dass die Stimmung auch durch Äußerungen aus der Politik angeheizt wird: »Befeuert werden die rassistisc­hen Taten auch durch Rechte und Konservati­ve wie Friedrich Merz, die von ›Sozialtour­ismus‹ fabulieren und so Ressentime­nts gegen Geflüchtet­e schüren. Ich erwarte von allen demokratis­chen Kräften, dass sie sich rechter und rassistisc­her Gewalt klar entgegenst­ellen.«

Erst vergangene Woche hatte der Verband der Beratungss­tellen für Betroffene rechter, rassistisc­her und antisemiti­scher Gewalt (VBRG) sich mit Forderunge­n an die Innenminis­ter*innen der ostdeutsch­en Bundesländ­er gewandt, die sich in Erfurt trafen und dabei auch über die wieder zunehmende asylfeindl­iche Stimmung im Land sprachen. Nötig ist nach Ansicht des VBRG die dezentrale

Unterbring­ung von Asylsuchen­den statt wie bisher in Sammelunte­rkünften. Ebenfalls fallen müssten »Wohnsitzau­flagen, um Geflüchtet­en besseren Schutz vor rassistisc­her Gewalt zu gewähren«. Außerdem sollten rechte Aufmärsche vor geplanten und bewohnten Flüchtling­sunterkünf­ten verboten werden. In Bautzen hatte es zwei Tage vor dem Brandansch­lag vor der geplanten Unterkunft Proteste der AfD gegeben.

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